Anschaulicher lässt sich die Misere kaum verdeutlichen: Die Ostsee-Promenade ist üppig bepflanzt, abgelegenere Gehwege im Ostseebad Heringsdorf (Mecklenburg-Vorpommern, 8400 Einwohner) hingegen bröckeln.
„Das verstehen die Bürger nicht und mir fehlen da oft auch die Argumente“, sagt Bürgermeisterin Laura Marisken (36, parteilos).
Was ihrer Gemeinde fehlt, ist Geld!
Was in Ordnung ist, wurde mit der Kurtaxe der 3,9 Millionen Übernachtungsgäste bezahlt. Fast elf Millionen Euro im Jahr, die bis auf den letzten Cent in Heringsdorf bleiben, allerdings ausschließlich für die touristische Infrastruktur ausgegeben werden dürfen.
Gehwege hingen muss das Seebad aus dem eigenen Haushalt bezahlen. Die Kasse ist – wie nahezu überall – leer. Dabei nimmt die Gemeinde auf der Insel Usedom jedes Jahr acht Millionen Euro Gewerbesteuer ein.
Dass das Geld nicht reicht, hat banale Gründe: Stromkosten um 300.000 Euro gestiegen, Gas um 315.000 Euro – und 300.000 Euro mehr für die Gehälter der Angestellten. „Auch die Kreisumlage stieg 2024 um eine halbe Million auf 5,6 Millionen Euro. Eine weitere Million Euro kosten jedes Jahr die für Eltern beitragsfreien Kitas“, rechnet Marisken vor.
„An sich ein hervorragendes Projekt“, sagt die junge Bürgermeisterin. Beschlossen vom Land. Einen großen Teil davon muss aber die Gemeinde bezahlen.
Kostentreiber sind Strompreise und Personalkosten
Geldsorgen kennt auch Bürgermeister Uwe Rumberg (66, Wählerbündnis Konservative Mitte) aus Freital (Sachsen, 39.500 Einwohner). Er klagt ebenfalls über „irre Energiekosten“ und „um acht Prozent gestiegene Ausgaben für Personal“.
▶︎ Freital braucht dringend eine neue Feuerwache. Kosten: rund 20 Millionen Euro. Nur drei Millionen hat die Stadt. „Für die fehlenden 17 Millionen werden wir wohl einen Kredit aufnehmen müssen.“
▶︎ In Heringsdorf ist es ein neuer Regenwassersammler für fünf Millionen Euro. Fördermittel gibt es auch dafür keine.
Geld für Bushaltestelle, aber nicht fürs Wartehäuschen
▶︎ „Unser Geld reicht nur fürs Nötigste“, klagt Bürgermeisterin Marisken. Gestrichen wird bei allen freiwilligen Leistungen: Spielgeräte, Abfallbehälter, Bänke. Wenigstens die Bushaltestelle darf erneuert werden (Pflichtaufgabe). Das Wartehäuschen (freiwillige Leistung) aber nicht.
Bayerns Kommunen steuern auf Rekord-Defizit zu
Diese Probleme kennen auch viele Städte in Bayern. „Die Kommunen bei uns steuern 2024 auf ein Rekorddefizit zu“, weiß Dr. Christian Scharpf (53, SPD), Oberbürgermeister von Ingolstadt (142.000 Einwohner).
Obwohl die Heimat von Auto-Gigant Audi zu den Städten mit der höchsten Wirtschaftsleistung gehört (Platz 22), musste der Stadtrat gerade ein Konsolidierungspaket beschließen und den Verwaltungshaushalt um mehr als 90 Millionen Euro „entlasten“. Hintergrund: Die Stadt muss massive Ausfälle von Gewerbesteuern verkraften – unter anderem von Audi.
Kosten für Kitas explodieren
„Wir müssen uns in Duisburg gewaltig strecken, um alle Kinder so gut wie möglich in Kitas und Schulen zu betreuen“, sagt Oberbürgermeister Sören Link (47, SPD).
„Die Belastungen für Kommunen sind im Bildungsbereich in den vergangenen Jahren weit über jedes erträgliche Maß gestiegen. Immer mehr Schülerinnen und Schüler – insbesondere durch Zuwanderung aus Südosteuropa und Geflüchtete aus Krisenregionen – bringen das Bildungssystem in Duisburg an und über seine Grenzen.“
Für Helmut Dedy (66), Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sind „die kommunalen Finanzen inzwischen in einer dauerhaften Schieflage und steuern auf ein Rekorddefizit zu“.
Die Ursache liege in der Regel nicht bei den Städten. „Bund und Länder weisen ihnen immer mehr Aufgaben zu, ohne für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen“, so Dedy.
Dedy sieht zudem „mit Sorge, dass Bund und Länder ihre Haushalte entlasten, indem sie Kommunen zu Ausfallbürgen machen“.
Duisburgs OB Link sieht das auch so, sagt: „Bund und Land lassen die Kommunen im Stich und alleine.“
Und auch Laura Marisken aus Heringsdorf ist sicher: „Das geht nicht mehr lange gut.“