60 Prozent der Arbeitgeber planen Jobabbau – die Warnsignale auf dem Arbeitsmarkt

Andrea Nahles ist die Überbringerin der schlechten Nachricht – wieder einmal. Nachdem die Arbeitslosenquote im vergangenen Monat – bis auf das Corona-Ausnahmejahr 2020 – den höchsten Wert seit acht Jahren erreichte, geht es nun weiter nach oben.

63.000 Arbeitslose mehr als im Juli zählt die Bundesagentur für Arbeit (BA) nun im August, daraus ergibt sich eine Quote von 6,1 Prozent. Im Vorjahresvergleich sind es sogar 176.000 Arbeitslose mehr.

„Der Arbeitsmarkt bekommt weiter die Folgen der wirtschaftlichen Stagnation zu spüren. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben in der Sommerpause weiter zugenommen“, sagt BA-Chefin Nahles.

Auch bei Bürgergeld und Arbeitslosengeld geht die Entwicklung in die falsche Richtung. 925.000 Personen erhielten im August Arbeitslosengeld, das sind 109.000 mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der erwerbsfähigen Bürgergeldberechtigten indes ist auf 4.017.000 geklettert, das entspricht einem Anstieg um 72.000 Personen.

Nicht nur die Zahlen aus Nürnberg zeigen: Auf dem Arbeitsmarkt macht sich Unruhe breit. „Eine Stabilisierung des Jobmarktes ist in diesem Jahr nicht mehr in Sicht“, warnt Annina Hering, Ökonomin bei der Jobplattform „Indeed“.

Die Daten der Stellenseite zeigen: Im Vergleich zu August 2023 ist der Anzeigenmarkt in Deutschland um 17,1 Prozent geschrumpft – Tendenz weiter sinkend.

Stellenanzeigen bei Informatikern und für Personalwesen sinken um über 30 Prozent

Dennoch suchen einige Unternehmen weiterhin händeringend Personal. Dabei stehen vor allem klassische Ausbildungsberufe hoch im Kurs. „Fachkräfte sind auf dem Jobmarkt momentan gefragter als Akademiker“, so Hering.

Bemerkenswert in der Indeed-Statistik: In nur zwei Sektoren werden aktuell mehr Anzeigen geschaltet als im Vorjahresvergleich – im Transportwesen sowie der Kranken- und Altenpflege.

In allen anderen Branchen sind es weniger. Regelrecht eingebrochen sind die Offerten für die Softwareentwicklung (-34 Prozent) und dem Personalwesen (-37 Prozent).

Anhaltend pessimistisch klingt auch die monatliche Einschätzung des Münchner Ifo-Instituts. „Die schwache Wirtschaftsentwicklung schlägt sich auch in einer schwachen Beschäftigungsentwicklung nieder“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen.

„Der Auftragsmangel bremst die Unternehmen bei Neueinstellungen. Immer mehr denken über einen Abbau von Arbeitsplätzen nach.“ Akut sei die Lage insbesondere in der Industrie und im Handel. „Nur bei den Dienstleistern gibt es eine positive Einstellungstendenz“, so der Ökonom. Das gelte insbesondere für die IT-Branche und den Tourismus.

Der Pessimismus vieler Unternehmen angesichts der konjunkturellen Lage schlägt sich auch in der Personalplanung nieder. 60 Prozent der Arbeitgeber geben an, dass sie in den nächsten 12 Monaten Entlassungen planen. Das geht aus einer Erhebung des Münchner Softwareunternehmens Personio hervor. Befragt wurden 7000 Arbeitnehmer und 3500 Arbeitgeber aus Unternehmen mit 10 bis 2000 Beschäftigten.

Das hat auch Auswirkungen auf die Beschäftigten – sie schauen sich häufiger nach Alternativen um. „Wirtschaftliche Unsicherheiten haben zwar in jüngster Zeit dazu geführt, dass Arbeitnehmende weniger wechselbereit waren“, sagt Lenke Taylor, Personalchefin bei Personio. „Doch sobald sich die wirtschaftlichen Bedingungen verbessern, könnte eine Phase erhöhter Fluktuation bevorstehen.“

Konkret erwägen 42 Prozent der Beschäftigten, ihren aktuellen Arbeitsplatz zu verlassen, sobald sich die wirtschaftliche Lage verbessert. Fast jeder Zweite sieht den Job nicht mehr als Priorität im Leben.

Stattdessen suchen Beschäftigte nach erfüllenderen Aufgaben – und würden dafür sogar ein geringeres Gehalt in Kauf nehmen.

Die Wechselbewegung auf dem Arbeitsmarkt hat noch eine weitere Folge. Mehr als die Hälfte der Unternehmen wiederum rechnet der Personio-Erhebung zufolge im kommenden Jahr mit steigenden Kosten für das Recruiting sowie mit höheren Personalkosten durch Gehaltssteigerungen. Inwiefern sich die höheren Budgets auf die Preise der Produkte und Dienstleistungen auswirken werden, bleibt abzuwarten.

Immerhin ein Wert entwickelt sich in die richtige Richtung: Die Zahl der Erwerbstätigen wird auch im kommenden Jahr noch einmal leicht ansteigen und damit voraussichtlich einen neuen Rekord erreichen. Die Zahl der aktuell 46,2 Millionen Menschen dürfte 2025 um 0,3 Prozent anwachsen.

Doch auch hier gibt es einen Wermutstropfen. „Die Beschäftigung wird weiter wachsen, aber schwächer war der Ausblick nur zu Corona-Zeiten“, sagt Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Wie WELT kürzlich berichtete, wird die Zahl der Erwerbstätigen wegen der Überalterung ab 2026 bereits sinken – trotz Migration. Für die vom Fachkräftemangel geplagten Unternehmen dürfte die Suche nach talentierten Bewerbern dann nochmal schwieriger werden.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen. Den zugehörigen Newsletter können Sie hier abonnieren.