Jahrelang kam die EU beim Reizthema Asyl, wenn überhaupt, nur in Mini-Schritten voran. Weil es, unter Missachtung des Willens der Bevölkerungsmehrheit, nicht einmal einen Konsens darüber gab, in welche Richtung man gehen wollte.
Jetzt wirkt es so, als wollten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU alles Versäumte auf einmal nachholen: mehr Grenzschutz, Gesetze für leichtere Abschiebungen, Asylverfahren außerhalb der EU. Und in Polen stellt der liberale Premier Donald Tusk (67) – einst EU-Ratspräsident, also Europäer durch und durch – sogar das individuelle Asylrecht infrage.
Von der Leyen setzte den Ton
Europa macht dicht – das ist die Botschaft, die eine überraschend breite Mehrheit der 27 Mitgliedstaaten vom heutigen EU-Gipfel aussendet.
Selbst EU-Chefin Ursula von der Leyen (66) hat sich nach langem Nachdenken an der Seite derer positioniert, die auf eine knallharte Gangart setzen.
In einem Brief an die Gipfel-Teilnehmer erinnerte von der Leyen zu Wochenbeginn daran, dass vier von fünf abgelehnten Asylbewerbern einfach trotzdem in der EU bleiben. Zwischen den Zeilen stand die Botschaft: Wir lassen uns von ihnen zum Narren halten. Ein neues EU-Gesetz soll Massen-Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber deshalb vereinfachen und beschleunigen.
Von der Leyen unterstrich ihre neue Härte, indem sie Italiens lange belächelten Versuch, Asylverfahren für männliche Bootsflüchtlinge außerhalb der EU abzuwickeln, als mögliches Zukunftsmodell für die EU pries. Solche Maßnahmen würden in den Rechtsrahmen passen, wenn sie „vorübergehender Natur“ und verhältnismäßig seien.
Niederlande verhandeln mit Uganda
„Drittstaaten-Lösung“ ist inzwischen ein Zauberwort, das in Brüssel häufig zu hören ist. Die Niederlande etwa verhandeln bereits mit Uganda, mit dem Ziel, möglichst viele abgelehnte Asylbewerber aus möglichst vielen Ländern Afrikas dorthin abzuschieben.
Was genau macht Italien? Es bringt männliche Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in ein Aufnahmezentrum in Albanien, das – ähnlich wie eine Botschaft – de facto unter eigenem Hoheitsrecht steht. Dort wird das Asylverfahren von italienischen Beamten und nach italienischem Recht geprüft, für die entscheidenden Gerichtsverhandlungen sind Videoschalten nach Rom geplant.
Haben die Menschen ein Recht auf Asyl, dürfen sie weiter nach Italien reisen. Wenn nicht, sollen sie direkt aus Albanien abgeschoben werden. Wichtiges Detail: Italien denkt dabei auch an Syrer. Regierungschefin Giorgia Meloni (47) sagte diese Woche im Senat in Rom, sie wolle „die Voraussetzungen für eine freiwillige, sichere und nachhaltige Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihr Heimatland schaffen“.
Deutschland soll sich Beispiel an Italien nehmen
Der Asylexperte Professor Daniel Thym (50) von der Uni Konstanz hofft, dass sich die EU – und auch Deutschland – ein Beispiel an Italien nimmt. Thym zu BILD: „Die Politik ist gut beraten, nicht zu lange zu warten und Modellprojekte zu starten. Um Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten, wie sich die Projekte entwickeln“. Denn: Die letzte EU-Asyl-Reform habe acht Jahre auf sich warten lassen!
Auch CSU-Vize Manfred Weber, der mächtige Chef der Fraktion der Konservativen (EVP) im EU-Parlament, empfiehlt der Ampel-Regierung die Nachahmung. Weber zu BILD: „Italien macht es richtig. Mit dem Albanien-Modell wird das Geschäftsmodell der Schlepperbanden erschüttert. Flüchtlinge haben keine Garantie, in der EU anzukommen.“
Es müsse jetzt klar werden, dass „illegale Migration hat keinen Erfolg mehr“ hat. Weber: „Die Bundesregierung sollte sich offensiv zu diesem Vorgehen bekennen, damit werden auch die Ankunftszahlen in Deutschland verringert.“
Auffällig: Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) kritisierte Italiens Vorgehen nicht explizit. Er betonte lediglich, dass solche Einrichtungen für Deutschland mit seinen jährlich 300.000 illegalen Migranten nur ein Tropfen auf den heißen Stein wären.
Andererseits: Italien würde niemals diesen Aufwand für ein paar Hundert Flüchtlinge betreiben, wenn es nicht darauf setzen würde, damit Zehntausende von ihrer lebensgefährlichen Reise übers Mittelmeer abzuschrecken. Scholz weiß das, spielt aber auf Zeit, weil seine Innenministerin Nancy Faeser (SPD) noch Wochen braucht, um Juristen und Experten anzuhören. Erst spätestens Mitte Dezember will sie sich positionieren.
Kanzler will schnellere Verschärfungen
Scholz verteidigte auch das Vorgehen Tusks in Polen – allerdings mit einer Einschränkung. „Wer der polnischen Regierung abspricht, sich mit dem Problem beschäftigen zu dürfen, der handelt nicht verantwortlich“, sagte der Kanzler nach dem Gipfel. Aber man müsse sich dabei im rechtlichen Rahmen der Europäischen Union bewegen.
Zumindest in Bezug auf die bereits beschlossenen Verschärfungen drückt der Kanzler allerdings aufs Tempo: Es sei wichtig, dass das im Frühjahr reformierte Asylsystem „nicht nur allmählich umgesetzt wird, sondern forciert“, sagte er bei seiner Ankunft in Brüssel.
Deutschland werde die notwendigen Gesetze „sehr schnell“ dem Bundestag zuleiten, auch andere Länder sollten dies tun und bloß nicht die Maximal-Frist bis Juni 2026 in Anspruch nehmen.