Das sitzt! Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel (65) hält nichts von den Themen, auf die seine Partei aktuell und für den anstehenden Bundestagswahlkampf setzt. Im Interview mit t-online rechnet er mit der Strategie seiner Genossen um Kanzler Olaf Scholz (66) und dem frisch gebackenen Generalsekretär Matthias Miersch (55) ab. Vor allem mit den neuen Steuerplänen geht der frühere Wirtschaftsminister hart ins Gericht.

„Wer interessiert sich angesichts von Krieg in Europa, wachsender Aggression Russlands im Cyberbereich gegen Deutschland, einer wirtschaftlichen Rezession und einer damit im Zusammenhang stehenden schleichenden Deindustrialisierung eigentlich für Mini-Steuersenkungen?“, fragt Gabriel. Statt sich mit den großen Problemen zu beschäftigen, ziehe sich seine SPD „lieber in die sozialdemokratische Wärmestube zurück“.

Hintergrund: SPD-Generalsekretär Miersch will die Steuern für einen Teil der Besserverdiener erhöhen, um dadurch die Mittelschicht und Geringverdiener zu entlasten.

Sigmar Gabriel gibt den Mathe-Nachhilfelehrer

Gabriel: „Wer den Menschen verspricht, dass man mit einer ‘mäßigen‘ Steuererhöhung für das eine Prozent der ‘Reichen‘ am Ende 95 Prozent der Steuerpflichtigen entlasten kann, der muss bei den Grundrechenarten nicht aufgepasst haben.“ Rumms! Müssen Scholz, Esken und Miersch zurück in die Grundschule?

Gabriel gibt Mathe-Nachhilfeunterricht und rechnet vor: „400.000 Steuerpflichtige sollten also 41 Millionen Lohn- und Einkommensteuerzahler entlasten. Da kommt bei einer 10-prozentigen Erhöhung der ‘Reichensteuer‘ ein Betrag von 8 Milliarden Euro raus.“ Verteile man diese 8 Milliarden an die 95 Prozent der Steuerpflichtigen, ergebe das gerade mal 55 Cent mehr pro Tag in der Tasche.

„Blanker Unsinn“

Zwar betont Gabriel, dass er nichts gegen eine höhere Steuerbelastung der Besserverdiener habe. Diese Einnahmen sollten dann aber sinnvoller ausgegeben werden, zum Beispiel in der Bildung. „Wir werden jedes Jahr in den internationalen Vergleichen schlechter, jammern über den Fachkräftemangel, machen aber überhaupt nichts dagegen.“ Außerdem sei da ja noch immer der Haushalts-Zoff in der Ampel. Dass seine Partei ausgerechnet in dieser Situation Steuersenkungen verspreche, sei „doch blanker Unsinn“, lautet das klare Fazit des ehemaligen Chef-Genossen.