Auf Olaf Scholz (66, SPD) wartet am Donnerstag ein bitteres Déjà-vu: Der Kanzler trifft auf die 26 anderen EU-Staats- und Regierungschefs – fünf Monate, nachdem sie sich auf schärfere Regeln im europäischen Asylsystem geeinigt haben. Seitdem haben sich neue Gräben in der Flüchtlingspolitik aufgetan. Sogar noch tiefere als die alten.
Die BILD-Analyse zur bevorstehenden Gipfel-Schlacht.
Deutschland vom Bremser zum Treiber
Aus EU-Perspektive ist die deutsche Flüchtlingspolitik unberechenbares Zickzack: Jahrelang bremste Berlin alles, was die Massenmigration und das schmutzige Geschäft der Schleuser reduzieren sollte – vor allem die Schließung der Fluchtrouten übers Mittelmeer.
Dann kam Solingen (der islamistische Messer-Terror beim Stadtfest) und die Asyl-Wende der Ampel. Plötzlich führte Deutschland Grenzkontrollen ein (ohne sich vorher mit den Nachbarn abzustimmen).
Und: Ausgerechnet Deutschland und Frankreich forderten eine beispiellose EU-Abschiebe-Offensive. Diejenigen also, die bislang immer nur den Zeigefinger hoben.
Erste Reaktion: EU-Chefin Ursula von der Leyen (66, CDU) hat am Montag zugesagt, eine völlig veraltete Rückführungsrichtlinie aus dem Jahr 2008 zu überarbeiten. Vor allem mit dem Weiterreisen abgelehnter Asylbewerber von Land zu Land soll Schluss sein. Jeder nationale Entscheid soll künftig für die gesamte EU bindend sein.
Nur jede fünfte Abschiebung gelingt
Doch bei Abschiebungen versagt Europa bislang kläglich: 480.000 Drittstaatsangehörige wurden 2023 zum Verlassen der EU aufgefordert. Nur in jedem fünften Fall mit Erfolg.
Neue Flüchtlinge aus Nahost – und Faeser trödelt
Von der Leyen warnte die Staats- und Regierungschefs: Während die Brüsseler Bürokraten noch an den neuen Gesetzentwürfen feilen, stehen durch die Konflikte in Nahost womöglich bald wieder Hunderttausende Flüchtlinge vor der EU-Tür.
Peinlich für Scholz und seine Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD): Das elektronische EU-Grenzsystem ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Ab dem 10. November sollten von Nicht-EU-Bürgern endlich Fotos und Fingerabdrücke vor Einreise in den Schengen-Raum genommen werden.
Doch der Termin platzt – nach einem frostigen Statement von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, weil drei Länder (darunter Deutschland) die Umstellung verbummelt haben.
Italien startet Asylverfahren in Albanien
Italien geht unterdessen einen entscheidenden Schritt weiter: Die Rechtsaußen-Regierung von Giorgia Meloni (47) will, dass ein Teil der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr das EU-Festland erreicht.
Italien hat dafür in Albanien geschlossene Asyllager gebaut, um dort Anträge von männlichen Bootsflüchtlingen zu bearbeiten, die ohnehin kaum Aussicht auf Erfolg haben.
Das Experiment dafür startet pünktlich zum Gipfel: Ein erstes Marineschiff mit aufgelesenen Bootsflüchtlingen aus Ägypten und Bangladesch an Bord ist auf dem Weg, soll am Mittwoch in Albanien anlegen.
Ganz Europa schaut auf den Test: Funktioniert er, hat die EU nach BILD-Informationen Pläne für ähnliche Zentren auf dem Westbalkan in der Schublade.
Polen sieht Deutschland als Negativ-Beispiel
Zweite Sprengstoff-Debatte beim EU-Gipfel: Polen will plötzlich das Asylrecht aussetzen, die Einwanderungszahlen gegen Null senken.
Ministerpräsident Donald Tusk (67) begründete dies auch mit dem Negativ-Beispiel Deutschland: Dort sehe man, was passiert, wenn „private Interessen“ über das Wohl der Gesellschaft gestellt werden – und wenn Integration nicht gelingt.
Brisant: Wie Finnland (an seiner Russland-Grenze) möchte Polen offenbar auch das gewaltsame Zurückdrängen von Migranten („Pushbacks“) an der Grenze zu Belarus legalisieren. Beide Regierungen argumentieren, die gelenkten Flüchtlingsströme seien Teil der hybriden Kriegsführung des Kremls gegen ihr Land.
Ungarn treibt Brüssel zur Weißglut
Ungarns Regierungschef Viktor Orban (61) fordert neuerdings die totale Abschottung der EU: „Wir können nur diejenigen in die EU hineinlassen, die eine entsprechende Erlaubnis vorab dafür bekommen haben“, sagte er bei einem Schlagabtausch vor wenigen Tagen im EU-Parlament.
Peinlicherweise bricht der Putin-freundliche Ungar derzeit selbst EU-Recht, indem er russischen Staatsbürgern die Einreise in den Schengen-Raum ermöglicht …
Massiv bekämpft Budapest den Plan, Migranten nach bestimmten Quoten über die EU zu verteilen. Im September drohte Orbans Vize-Innenminister, Migranten direkt nach Brüssel zu bringen, statt sie in Ungarn aufzunehmen. Die dafür vorgesehenen Busse dienten als Kulisse seiner Pressekonferenz.
Vielleicht sollte Migrantenschreck Orban besser mal bei seinem Amtskollegen in Spanien anrufen: Dort boomt die Wirtschaft, die Arbeitskräfte werden knapp. Der sozialistische Premierminister Pedro Sanchez hat deshalb gerade Maßnahmen angekündigt, die Einwanderung nach Spanien zu ERLEICHTERN.
Auch das: Ein Zeichen, wie tief gespalten die Union beim Thema Flüchtlinge ist.