Hätte einer der mutmaßlichen Nord-Stream-Saboteure womöglich in Deutschland festgenommen werden können?

Wie gemeinsame Recherchen von SPIEGEL, ZDF und dem dänischen Rundfunk DR ergaben, reiste Wolodymyr S. nach den Anschlägen auf die Ostsee-Pipelines im Herbst 2022 wiederholt nach Deutschland ein. Das geschah auch zu einem Zeitpunkt, als die Bundesanwaltschaft ihn bereits als Beschuldigten in ihrem Ermittlungsverfahren wegen verfassungsfeindlicher Sabotage führte.

Demnach fuhr Wolodymyr S. Ende Mai und nur wenige Tage bevor ein Haftbefehl gegen ihn erging, letztmalig durch Deutschland.

Auf der Rückreise aus Dänemark zu seinem Wohnsitz in Polen besuchte er dabei auch eine Verwandte seiner Frau in Berlin. Das belegen Reisedaten von Wolodymyr S., die SPIEGEL, ZDF und DR vorliegen. Auch bestätigte die in Berlin lebende Ukrainerin den Besuch von Wolodymyr S. am 26. Mai.

Polnische Behörden vollstreckten Haftbefehl gegen Wolodymyr S. nicht

Eine weitere Reise nach Dänemark stornierte seine Ehefrau offenbar nur eine Woche, nachdem am 21. Juni ein europäischer Haftbefehl gegen Wolodymyr S. nach Polen übermittelt worden war. Kurz darauf setzte sich S. in die Ukraine ab. Wolodymyr S. ließ eine Anfrage zu den Vorgängen unbeantwortet.

Der Fall ist inzwischen zu einem Politikum geworden. Eigentlich hätten polnische Behörden den europäischen Haftbefehl gegen S. sofort vollstrecken müssen. Stattdessen sollen hochrangige polnische Politiker ihren deutschen Kollegen am Rande der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen Anfang Juli mitgeteilt haben, dass man die Festnahme nicht vornehmen werde. Inzwischen geht man in Sicherheitskreisen sogar davon aus, dass S. vor einer drohenden Festnahme gewarnt wurde. Dahinter sollen polnische Stellen stecken.

Dass auch ukrainische Behörden eingeweiht waren, zeigt S.s Fluchtweg. Demnach überquerte er die Grenze zwischen Polen und der Ukraine am 6. Juli in einem Fahrzeug mit diplomatischen Kennzeichen. Der Wagen soll der ukrainischen Botschaft in Warschau zuzuordnen sein.