ZEIT
ONLINE: Derzeit
mehren sich wieder die Stimmen für eine Verhandlungslösung für den Krieg in der
Ukraine. Wie realistisch ist das?
Cindy
Wittke: Einer
Verhandlungslösung sind wir noch nie auch nur irgendwie nahegekommen. In der
ukrainischen Bevölkerung sehe ich keine „Bereitschaft“, sondern eher eine
Zermürbung in diesem Abnutzungskrieg. Territoriale Zugeständnisse zu machen, ist aber immer noch für viele eine rote Linie. Und es geht vor allem darum,
wozu die russische Seite bereit ist. Wladimir Putin beharrt auf seinen Maximalforderungen
und schießt jede Initiative, wie jene von Bundeskanzler Olaf Scholz, von
vorneherein in den Wind. Und auch, wenn es immer wieder Gesprächsformate gibt,
wo verhandelt wird, etwa über Gefangenenaustausch oder die Rückkehr
deportierter Kinder, ist eine Verhandlungslösung heute noch immer in weiter
Ferne.
Mandy
Ganske-Zapf: Die
Debatte ist außerdem vollkommen auf die Frage verengt: Waffen oder
Verhandlungen? Vielmehr muss man sich fragen, wie das Verhältnis zwischen
militärischem und diplomatischem Druck austariert sein muss. Das ist ein Weg,
den man erst beschreiten muss, um einer Lösung überhaupt näherzukommen.
ZEIT
ONLINE: Sie
schreiben in Ihrem Buch, dass in der öffentlichen Debatte ein falsches Bild von Friedensprozessen herrscht.
Wittke: Es gibt keine Roadmap, die irgendwo herumliegt und die man nur anstoßen muss – und dann gibt es
Frieden, wie es einem viele Demagogen glauben machen wollen. Friedensabkommen
sind hochkomplex, langwierig und von vielen Rückschlägen geprägt. Aus der
Forschung wissen wir, dass die meisten Abkommen in den ersten Jahren auch schon
wieder gebrochen werden.
ZEIT
ONLINE: In der deutschen
Debatte geht es oft auch um die Frage, ob sich nicht die Ukraine mehr bewegen
müsse.
Ganske-Zapf: Ich glaube, dass die Debatte gerade auch deswegen so polarisiert ist, weil es diese unsichtbare
Wand im Raum gibt: Dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht von seinen
Maximalforderungen abrückt. Deswegen fordert man ständig Aufweichung auf der
Seite, auf der man sie für möglich hält, also auf der ukrainischen Seite. Das hält man für den vermeintlich einfacheren Weg.
Wittke: Und zugleich versucht man, durch mangelnde Unterstützung für die Ukraine Tatsachen zu schaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass Russland eine Kriegspartei ist, die sich noch nicht einmal zu diesem Krieg bekennt, sondern von einer „militärischen Spezialoperation“ spricht. Was wichtig ist: Russland muss gar nicht konstruktiv verhandeln, um tatsächlich seine politischen und strategischen militärischen Ziele zu erreichen, im Gegenteil. Russlands Ziel ist es in letzter Konsequenz, Stichwort „Denazifizierung“ und „Demilitarisierung“, die Ukraine als souveränen Staat zu zerstören. Es reicht für Russland also, echte Verhandlungen zu verhindern und gleichzeitig immer wieder darauf zu verweisen, die Ukraine stelle unrealistische Forderungen – und verhindere damit einen Friedensschluss. Währenddessen verfolgt Russland auf dem Schlachtfeld seine Ziele weiter. Dazu gehört auch, gemeinsam mit China eine andere Weltordnung zu forcieren. Russland braucht also keinen Frieden, um seine Ziele zu erreichen. Die Ukraine schon.
ZEIT
ONLINE: In Ihrem
Buch beschreiben Sie auch die „Sprachlosigkeit“, die im Umgang mit Russland
herrscht. Wie kann man
mit einem Land verhandeln, das den Krieg nicht einmal beim Namen nennt?
Ganske-Zapf: Russland erzeugt ständig Fiktionen, inszeniert sich als
„Friedensstifter“, obwohl es der Aggressor ist. Die Unterstützer der Ukraine sind nicht einig, wie sie mit der russischen Rhetorik umgehen
sollen. Drohungen können wahr gemacht werden, müssen es aber nicht. Wir tappen durch ein Moor, gerade bei der Verhandlungsfrage. Es gibt keine Gewissheit darüber, dass nach Schritt A auch Schritt B folgt.
Wittke: Wir wissen nicht, welche Aussagen man ernst nehmen soll und welche nicht. Und wann Russland den Krieg tatsächlich noch
weiter eskalieren lassen wird.
ZEIT
ONLINE: Ist es dann
überhaupt möglich, mit jemandem wie Wladimir Putin zu verhandeln? Noch dazu
über etwas, was für die Ukraine unverhandelbar ist – nämlich ihre Existenz?
Ganske-Zapf: Es gibt drei wichtige Faktoren, die
einen Frieden mit Russland erschweren: Russland ist Atommacht, Vetomacht im
UN-Sicherheitsrat und kein ehrlicher Makler. Aus diesen drei Punkten kann man jedoch unterschiedliche Schlüsse ziehen. Manche
sagen, dass man gegen eine Atommacht keinen Krieg gewinnen kann – und deswegen
sofort die Waffenlieferungen einstellen müsse. Andere fordern hingegen, eine klare politische Strategie zu entwickeln. Dass die Ukraine die Kraft aufbringt, auch diplomatisch diesen Weg zu beschreiten, ist erstaunlich.
ZEIT
ONLINE: Sie meinen
den Zehn-Punkte-Plan von Wolodymyr Selenskyj?
Wittke: Alle Punkte dieses Friedensplanes
haben immer auch eine globale Dimension, sei es die nukleare Sicherheit oder
Nahrungsmittelsicherheit. Es geht der Ukraine nicht nur darum, Russland auf dem
Schlachtfeld zu besiegen, sondern auch diplomatisch. Und
seien diese Initiativen auch noch so schwach, wie die Abschlusserklärung vom
Friedensgipfel in Bürgenstock. Aber: Moskau war es in der Vergangenheit
gewohnt, im postsowjetischen Raum bei Konflikten die alleinige
Entscheidungsmacht zu haben. Die Ukraine wehrt sich mit globalen diplomatischen Allianzen
dagegen.
ZEIT
ONLINE: Wird damit das alte Machtgefälle umgedreht?
Wittke: Die Ukraine hat aus ihren Erfahrungen gelernt. Es sind nicht nur leere Worte, wenn die Ukrainer sagen, dass es kein weiteres
Minsk geben soll. Die Abkommen Minsk I und Minsk II …
ZEIT
ONLINE: … die 2014
und 2015 unter der Vermittlung Deutschlands und Frankreichs geschlossen wurden, um den verdeckten russischen Krieg in der Ostukraine einzuhegen …
Wittke: … hatten den großen Baufehler, dass
Russland dabei nicht als Kriegspartei, sondern als Vermittler festgeschrieben
wurde. Deswegen brachten diese Abkommen nie wirklichen Frieden. Eine Neuauflage, also ein Minsk III, wäre ebenso wenig dazu geeignet.