Die Deutschen sehnen sich nach Frieden. Die schlimmen
Nachrichten und Bilder aus der Ukraine und dem Nahen Osten haben diesen
ohnehin ausgeprägten Wunsch zuletzt noch wachsen lassen. Die Angst vor einem Krieg hat auch hierzulande zugenommen. Laut Umfragen ist eine Mehrheit der Deutschen für Friedensverhandlungen mit Russland. Viele
sehen die weltweiten Kriege als größte Probleme der Gegenwart an.
Das Bedürfnis, dagegen etwas zu unternehmen oder zumindest
den eigenen Unmut zu artikulieren, ist weitverbreitet. Das zeigt auch eine
Demonstration, die an diesem 3. Oktober in Berlin stattfinden soll. Unter der
Forderung „Nie wieder Krieg!“ rufen Gewerkschaften, Naturfreunde und Politiker
ganz unterschiedlicher Parteien dazu auf, von Linkspartei bis CSU. Als
Starrednerin soll am Nachmittag Sahra Wagenknecht sprechen.
Allerdings zeigt diese Demo bereits im Vorfeld, wie komplex
und heikel es ist, in diesen Tagen für Frieden zu demonstrieren. Denn sofort
stellen sich die Fragen: Mit wem lässt man sich zusammen sehen? Und mit wem auf
keinen Fall? Wofür ist man konkret? Und wogegen ganz entschieden? Wenn man sich
mit den Teilnehmenden unterhält, merkt man: Es ist ein „Minenfeld“, wie es
einer ironisch nennt, wohl wissend, dass der Begriff für eine Anti-Kriegsdemo
schwierig ist. Jeder müsse aufpassen, wo er auftritt.
Er vertrete die Mehrheit der SPD, sagt Stegner
Für Aufregung sorgt diesmal, dass auch SPD-Politiker zur
Demonstration aufrufen. Darunter sind vor allem Ehemalige, etwa der frühere
Parteichef Norbert Walter-Borjans oder Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
Aber auch der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner wird auf der Bühne sprechen,
vermutlich direkt vor Wagenknecht, die sich zuletzt als eine der schärfsten
Kritikerinnen der Ukrainepolitik der SPD-geführten Bundesregierung profiliert
hat.
Stegner seufzt am Telefon, er hat zuletzt viel Kritik für seine Teilnahme einstecken müssen. Er sagt: „Wir dürfen die
Friedensbewegung nicht den Populisten überlassen.“ Die SPD sei immer schon eine
Friedenspartei gewesen und dürfe nicht zulassen, dass „Diplomatie und Friedenspolitik diskreditiert werden“. Sonst würden BSW und AfD richtige Gedanken „aus
falschen Motiven kapern“.
Tatsächlich ist in weiten Teilen der SPD das Bedürfnis
ausgeprägt, weniger über Waffenlieferungen, sondern mehr über diplomatische
Lösungsansätze zu sprechen. Der erfolgreiche Wahlkämpfer in Brandenburg,
Dietmar Woidke, hat die Ampel früh dafür kritisiert, hier zu wenig zu tun.
Der Versuch der SPD, im Europawahlkampf als Friedenspartei zu punkten,
entsprach ebenfalls diesem Ansinnen. Er wurde allerdings dadurch konterkariert,
dass die Bundesregierung der Ukraine in der heißen Wahlkampfphase gestatte,
auch Ziele in Russland zu beschießen. Etwas, das Olaf Scholz zuvor stets
abgelehnt hatte.
Stegner ist überzeugt: Die Position, die er vertrete,
entspräche der „Mehrheitsmeinung“ in der Fraktion und der Partei. Allerdings ist
diese oft nicht lautstark artikuliert worden, auch weil man dem Kanzler nicht
in den Rücken fallen wollte – und den offenen Konflikt mit jenen in der Ampel
scheut, die sich für mehr Unterstützung starkmachen.
Risiko, als unfreiwillige BSW-Helfer mitzulaufen
Kollegen wie Michael Roth zum Beispiel. Der Vorsitzende des
Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, der seit Kriegsbeginn für mehr Geld
und Waffen für Kiew wirbt, lädt seinerseits am Donnerstag dazu ein, sich einer
Gegendemo an der Siegessäule anzuschließen. Und die Parteiführung der SPD?
Saskia Esken, die wie Stegner ebenfalls zum linken Parteiflügel zählt und einst
mit Walter-Borjans gemeinsam die Partei führte, möchte sich dazu öffentlich
nicht äußern.
Relativ nüchtern geht mit der Situation Gesine Lötzsch von
der Linkspartei um, die ebenfalls auf der Demo sprechen wird. Dass sie nun mit Wagenknecht auf einer Bühne steht, nachdem diese die Linke
im Streit verlassen hat. Lötzsch sagt dazu trocken: Sie
habe schon oft vor oder nach Sahra gesprochen, ihre Anwesenheit sei für sie
kein Grund, an einer guten Sache nicht mitzumachen. Aber Stegner und Lötzsch
erkennen beide auch die Gefahr, dass die Berichterstattung um Wagenknecht
kreisen wird – und sie allenfalls als unfreiwillige BSW-Helfer wahrgenommen
werden.
Stegner wie den Linken ist es daher wichtig zu betonen, dass sie
eigene Aufrufe für die Demo formuliert haben. „Russland muss raus aus der
Ukraine“, lautet die Unterzeile des Linkenaufrufs, eine bewusste
Abgrenzung von Wagenknecht. Von der CSU wird Peter Gauweiler auf der Demo-Bühne
sprechen, der freundschaftlich mit Wagenknecht verbunden ist.
Und die Grünen?
Nicht dabei hingegen sind am Donnerstag die Grünen. Sie
waren einst die pazifistische Nummer 1 in Deutschland. Friedenstauben zierten
ihre Wahlplakate. Und heute? Lachen die Demo-Veranstalter höhnisch zur Frage,
warum sich keiner von den Grünen beteiligt. „Wir haben niemanden gefunden“,
sagt Jutta Kausch vom Netzwerk Friedensinitiative. Einer ihrer Mitstreiter
sagt, die Grünen seien „längst“ kein Teil der deutschen Friedensbewegung mehr.
In der Berliner Parteizentrale wird auf Anfrage von ZEIT
ONLINE dieser Darstellung widersprochen. Trotz einiger Recherche könne sich
niemand erinnern, dass die Friedensdemonstranten das Gespräch mit den Grünen
gesucht hätten, sagt eine Parteisprecherin.