Unweigerlich denkt man beim Titel des neuen Films von Azazel Jacobs an Anton Tschechows doch der Vater in der Netflixproduktion ist noch nicht tot. Er wird in wenigen Tagen an Krebs sterben, und um ihn zu begleiten, finden sich Katie, Christina und Rachel in seinem kleinen Apartment in der Bronx ein. Das Krankenbett steht in einem eigenen Zimmer, man wird es nicht zu sehen bekommen, nur das Piepen eines Monitors verweist darauf, dass Vincents Herz noch schlägt. Eine Krankenpflegerin sieht täglich nach ihm, und ein Hospizmitarbeiter mit dem klangvollen Namen Angel versucht, die Schwestern auf das Unvermeidliche vorzubereiten.
Die drei Schwestern werden dabei nicht nur durch die Formalitäten des nahenden Todes herausgefordert: Wer schiebt die Nachtschicht? Wer schreibt den Nachruf? Wer kocht? Es geht zwischen ihnen auch um die Frage, was diese Formalitäten bedeuten könnten: Wer kümmert sich am meisten? Oder gar: Wer liebt am meisten? Eine Zerreißprobe für Geschwisterbande, denn gewinnen kann dabei keine der drei Töchter.
Katie (gespielt von Carrie Coon), die älteste, schnauzt in einem Eröffnungsmonolog sogleich die jüngste, Rachel (Natasha Lyonne), an, warum sie sich nicht um eine Patientenverfügung gekümmert habe. Katie lebt auf der anderen Seite des East River in Brooklyn und hat augenscheinlich genug Stress mit einer Tochter im Teenageralter. Rachel hingegen lebt in der Wohnung mit dem Vater, sie verdient etwas Geld mit Sportwetten und kifft, wie sie Katie entgegenwirft, „drei oder vier Joints“ am Tag. Die solle sie draußen rauchen, findet Katie.
Das Eindringen der Älteren ist der Katalysator für die sich fortan stetig verändernde Dynamik der Schwestern. Coon spielt Katies herrische Art und gleichzeitige Verzweiflung mit einer Präsenz wie für die Theaterbühne (auf der sie das Schauspielern lernte). Und da die nächsten 100 Minuten fast ausschließlich in denselben vier Wänden stattfinden, stellt sich der Film gar als Kammerspiel dar – ein psychologisches Stück, in dem sich (wie bei Tschechow) drei durch den Vater verbundene Frauen mit sich selbst und miteinander konfrontiert sehen. Der Konflikt wird sich vor allem an der Ältesten und der Jüngsten entfalten.
Christina (Elizabeth Olsen), die Mittlere, ist derweil um Konsens bemüht. Sie ist als Einzige weit weggezogen und, wie man erfährt, angewiesen auf Spiritualität und Yoga (und früher einmal psychedelische Pilze). Es ist der erste Film außerhalb des Marvel-Universums, in dem Olsen seit sechs Jahren mitspielt. Sie verkörpert Christina mit glasiger Stimme, und ihre Zartheit zwischen den beiden zähen Schwestern versinnbildlicht, woher ihr Wunsch nach Harmonie rührt. In einer Szene hat sie ein buntes T-Shirt ihrer alten Lieblingsband aus Jugendzeiten übergestreift: In deren Fankult, sagt sie, habe man die Unterstützung finden können, die einem woanders versagt geblieben sei.
Es ist eine der Fragen, die den Film bewegen: Was ist eigentlich Familie, und wie sieht Rückhalt in einer solchen aus? Dass nur die beiden älteren Schwestern blutsverwandt sind, dass nur diese beiden Mütter geworden sind, macht Rachel zur Aussätzigen – wortwörtlich sogar, wenn sie zum Kiffen nach draußen gehen muss. Zugleich bringt ihr das Geplänkel auf einer Parkbank mit einem Wachmann Sympathien bei den Zuschauern ein. Man kann sich bei diesen Szenen schon denken, wofür Katie noch ein wenig brauchen wird: Rachel muss sich nicht beweisen. Sie wohnt ja mit dem Vater zusammen, hat ihn lange gepflegt, bevor die Krankenschwester und Angel und ihre Schwestern kamen, um sich zu verabschieden.