Die Schutzhülle des Atomkraftwerks Tschernobyl hat nach einem
Drohneneinschlag im Februar ihre primären Sicherheitsfunktionen
verloren, einschließlich der Fähigkeit zum Einschluss von radioaktivem Material. Dies teilte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), Rafael Mariano Grossi, mit.
Es seien zwar keine dauerhaften Schäden an tragenden
Strukturen oder Überwachungssystemen festgestellt worden, Messungen zufolge blieben die Strahlenwerte zunächst stabil. Vorläufige
Reparaturen am Dach seien bereits durchgeführt worden, doch eine zeitnahe umfassende
Wiederherstellung sei notwendig, um eine Verschlechterung zu verhindern und die langfristige nukleare Sicherheit
zu gewährleisten, sagte Grossi.
Der russische Drohnenangriff mit einem hochexplosiven Sprengkopf im Februar hatte die Schutzhülle getroffen und einen Großbrand in
der Außenverkleidung der massiven Stahlkonstruktion verursacht. Die Schutzhülle, auch Sarkophag genannt, wurde nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 errichtet, um das Austreten von radioaktivem Material zu
verhindern.
Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gilt als die schwerste in der Geschichte der zivilen Atomkraft. Unmittelbar nach der Explosion starben mindestens 30 Menschen an akuter Strahlenkrankheit; langfristig wird die Zahl der strahlenbedingten Todesfälle auf bis zu 200.000 geschätzt. Radioaktive Wolken breiteten sich über weite Teile Europas aus und führten zu massiven Umwelt- und Gesundheitsbelastungen, einschließlich erhöhter Krebsraten in betroffenen Regionen.
Die Ukraine kämpft seit beinahe vier Jahren mit den Folgen des russischen
Angriffskriegs, der auch ihre Kernkraftwerke bedroht. Erst kürzlich war
der Sarkophag über dem Tschernobyl-Reaktor ohne Strom. Das seit März
2022 von russischen Truppen besetzte Kernkraftwerk Saporischschja war im
Herbst rund einen Monat von der externen Stromversorgung abgeschnitten.
IAEA in der Ukraine
Ein Team der IAEA bereist diesen Monat die Ukraine, um den Zustand der
für die nukleare Sicherheit und Sicherung kritischen Umspannwerke zu
bewerten, nachdem es kürzlich zu militärischen Angriffen auf die
Energieinfrastruktur gekommen war. Allein in der Nacht auf diesen Samstag haben
russische Drohnen und Raketen die Energieinfrastruktur in acht
ukrainischen Regionen
getroffen. Dabei sei es zu Stromausfällen gekommen, teilte das
ukrainische Energieministerium auf Telegram mit. Wo es die
Sicherheitslage erlaube, seien bereits Reparaturen im Gange. Die
Energieunternehmen täten alles, um die Versorgung so schnell wie
möglich wiederherzustellen.
Der Besuch der IAEA vom 1. bis 12. Dezember konzentriert sich auf mehr als zehn Umspannwerke – wichtige Knotenpunkte im Stromnetz der Kernkraftwerke –, um die Schäden zu begutachten, die Reparaturmaßnahmen zu überprüfen und praktische Schritte zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der externen Stromversorgung der Kernkraftwerke des Landes zu ermitteln, von denen drei weiterhin Strom erzeugen. Es handelt sich um die jüngste einer Reihe solcher Expertenmissionen seit September letzten Jahres.
IAEA empfiehlt umfassende Schutzmaßnahmen
Die IAEA empfiehlt nun weitere Wiederherstellungs- und Schutzmaßnahmen. Dazu zählen unter anderem eine verbesserte Feuchtigkeitskontrolle, ein erweitertes Korrosionsüberwachungsprogramm sowie die Modernisierung des automatischen Überwachungssystems des Sarkophags. Weitere vorläufige Reparaturen sollen im kommenden Jahr erfolgen, um die Eindämmungsfähigkeit der Hülle zu stärken.
Grossi unterstrich, dass eine umfassende Wiederherstellung entscheidend sei, um die langfristige Sicherheit des ehemaligen Reaktors zu gewährleisten. „Nur mit stabilen Strukturen und funktionierender Überwachung kann das Risiko für die Bevölkerung und die Umwelt minimiert werden“, erklärte er.
Internationale Unterstützung
Die IAEA warnte zudem, dass die Wiederherstellung und Sicherung der nuklearen Anlagen nur durch internationale Unterstützung zuverlässig gewährleistet werden können. Dabei gehe es nicht nur um Reparaturen, sondern auch um langfristige Maßnahmen zur Sicherung der Energieinfrastruktur, die essenziell für die Sicherheit der Kernkraftwerke sei.
Im Jahr 2026 werden mit Unterstützung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) zusätzliche vorübergehende Reparaturen am Standort Tschernobyl durchgeführt, um die Wiederherstellung der Einschlussfunktion der Schutzhülle zu unterstützen und den Weg für eine vollständige Sanierung nach Beendigung des Kriegs zu ebnen.
„Die IAEA, die über ein ständiges Team vor Ort verfügt, wird weiterhin alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Bemühungen zur vollständigen Wiederherstellung der nuklearen Sicherheit und Sicherung am Standort Tschernobyl zu unterstützen“, sagte Generaldirektor Grossi.
Im Rahmen des umfassenden Hilfsprogramms organisierte die Organisation drei neue Lieferungen von Ausrüstung und Hilfsgütern in die Ukraine, womit sich die Gesamtzahl seit Beginn des Konflikts auf 188 erhöht hat. Die medizinische Einheit am Standort des Kernkraftwerks Tschernobyl erhielt Medikamente, und das zentrale Unternehmen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle bekam verschiedene persönliche Schutzausrüstungen. Die Lieferungen wurden mit Mitteln der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs unterstützt.
Mit diesen Lieferungen übersteigt der Gesamtwert der Ausrüstung und der Hilfsgüter, die seit Beginn des bewaffneten Konflikts für die nukleare Sicherheit und Sicherung in die Ukraine gelangt sind, 21 Millionen Euro.
