Zensur oder Sorgfalt?

Er könne kaum in Worte fassen, wie schockiert er sei, sagt
Rutger Bregman. Die BBC, so behauptet der niederländische Historiker auf X,
habe „aus Angst“ vor Donald Trump einen Beitrag von ihm „zensiert“, in dem
Bregman den US-Präsidenten als den „am offensten korrupten Präsidenten der
amerikanischen Geschichte“ bezeichnete. Die Angelegenheit sei ernst und groß,
sagte Bregman. Denn: „Demokratien kollabieren nicht über Nacht. Sie erodieren
schrittweise“ – und zwar genau dann, wenn Institutionen vor den Mächtigen einknickten.

Es ist eine harte Anklage gegen die BBC, und sie kommt in
einem Moment, in dem der Sender sich immer noch der Drohung einer
Milliardenklage durch Donald Trump ausgesetzt sieht. Die BBC hatte Anfang
November eingeräumt, in einer Folge ihrer Investigativreihe die Rede
Trumps am Tag des Sturms auf das US-Kapitol in Washington, D. C. am 6. Januar 2021 manipulativ
geschnitten zu haben
. Dadurch hatte es so ausgesehen, als habe Trump seine
Anhänger unmittelbar zur Gewalt aufgerufen. Unter anderem dieser „Fehler“, wie
die BBC ihn selbst nannte, führte vor wenigen Wochen zum Rücktritt des
Intendanten und der Nachrichtenchefin
. Das alles reicht Trump aber nicht. Seine
Ankündigung, die BBC auf zwischen einer und fünf Milliarden US-Dollar
Schadenersatz zu verklagen
, hat er bisher nicht zurückgenommen.

Es liegt also erst einmal nahe, die Sache so zu sehen wie
Bregman: Eine stolze, wenn nicht gar die stolzeste Institution des Journalismus
lässt sich einschüchtern vom mächtigsten Staatschef der Welt.

In Wahrheit ist die Sache ein wenig komplexer. Bregman, ein
international bekannter Bestsellerautor (, ), war von der BBC eingeladen worden, die diesjährigen, prestigereichen
zu halten. Es handelt sich um eine Reihe von Vorträgen zu einem
Oberthema, die auf BBC Radio 4 und dem BBC World Service ausgestrahlt werden.
Benannt sind die nach dem ersten Generaldirektor der BBC, John Reith;
zu den Vortragenden gehörten in der Vergangenheit unter anderem der Philosoph
Bertrand Russell und der Physiker Stephen Hawking. Bregman nannte es eine der „großen Ehren
meines Lebens“, die halten zu dürfen. 

Die bereits
aufgezeichneten elf Episoden, die bis zum 1. Januar 2026 ausgestrahlt werden
sollen, stehen unter dem Obertitel und beschäftigen sich mit
dem „Zeitalter der Immoralität“, in der sich die Welt befinde, unter anderem
wegen eines „zunehmenden Trends zur Unernsthaftigkeit innerhalb der Eliten.“

Der ersten Episode mit dem Titel („Eine Zeit der Monster“) stieß dann das zu, was Bregman nicht fassen kann. Die BBC löschte aus der Folge
Bregmans Bezeichnung von Donald Trumps als „den am offensten korrupten
Präsidenten der amerikanischen Geschichte“. Die BBC teilte dazu mit, der Satz
sei nach „rechtlichem Rat“ aus dem Vortrag gelöscht worden. Über die genauen
Gründe oder den Inhalt der rechtlichen Bedenken machte die BBC keine Angaben.

Das eröffnet natürlich einigen Raum für die Lesart, dass die
BBC nicht auch noch eine zweite Auseinandersetzung mit einem klagefreudigen
US-Präsidenten riskieren wollte. Denn während die angedrohte Milliardenklage wegen des
Schnitts seiner Rede wenig Aussicht auf Erfolg hätte, ist es bei den anders.

Die -Sendung, in der die gekürzte Kapitol-Rede vorkam,
war in den USA nicht abrufbar. Sie war geogeblockt, konnte also nur von
BBC-Nutzern in Großbritannien abgerufen werden. Die Behauptung Trumps, die
Sendung habe seine Chancen auf Wiederwahl beeinträchtigt, ist also ziemlich
unplausibel; ebenso unplausibel wäre der Versuch einer Klage Trumps, jedenfalls vor einem
amerikanischen Gericht, da die Sendung in den USA nicht ausgestrahlt wurde. Die hingegen sind auch in den Vereinigten Staaten abrufbar. Und: Anders als bei dem Schnitt der Trump-Rede ließe sich
argumentieren, dass es sich bei dem Satz von Bregman um eine
Tatsachenbehauptung handelt. Und Tatsachenbehauptungen, die verbreitet werden,
müssen stimmen, dafür trägt die BBC wie jedes andere Medienunternehmen die
Verantwortung.

Wenn das so ist, ließe sich die Angelegenheit auch ganz
anders betrachten: Die BBC hätte dann lediglich dafür gesorgt, dass über ihre
Kanäle keine unbelegbare oder gar falsche Behauptung in die Welt gesetzt wird.
Die Institution wäre also nicht eingeknickt, sondern hätte vielmehr ihren Job
gemacht – ohne Ansehen der Person, sondern nach Betrachtung der Sache.

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