Das Drama hinter der Bühne

Dieses Stück erinnert an einen jungen Menschen, der keine Ahnung hat, was aus ihm werden soll, wenn er mal groß ist: Es stecken so viele Talente in ihm, dass er keins entschlossen verfolgt. hat Züge eines Melodrams und eines Musicals, und bisweilen breitet sich befriedigende Rührseligkeit im Zuschauerraum aus. Doch während sich Tränen der Anteilnahme in unseren Augenwinkeln sammeln, merken wir, dass man uns in einen Hinterhalt gelockt hat: Hier wird Drama nur parodiert! In Wahrheit herrscht Sarkasmus. Die Figuren auf der Bühne verdienen unsere Einfühlung gar nicht. Sie haben kein eigenes Lebensrecht, sie sind an die bizarre Institution gekettet, deren Zustand sie illustrieren sollen: Theatermenschen. Sie arbeiten in einem Gewerbe, dessen Angehörige auf dem Markt nicht ihre Arbeitskraft verkaufen, sondern sich selbst.

Falk Richter, selbst ein Theatermensch, zeigt uns mit kaltem Blick, wie sie sich hinter der Bühne verhalten. Es geht in seinem Stück ums Unglück von Spielern, die ihr Leben in Verwandlungen verbringen, stets auf der Suche nach geistiger Wahrheit, um am Ende zu begreifen, dass es immer nur um eine ganz andere Wahrheit ging, die des Körpers. Richter, der den Text an der Berliner Schaubühne jetzt selbst zur Uraufführung gebracht hat, wählt als Protagonistin eine Schauspielerin namens Hannah Zabrisky; das ist ein Name, auf den er wohl durch Michelangelo Antonionis Film kam. Naheliegender wäre es, die Titelfigur an einen anderen Hollywood-Film anzulehnen und sie Norma Desmond zu nennen – so hieß die in den Wahnsinn hineingleitende alte Schauspielerin aus Billy Wilders

Hannah Zabrisky ist noch immer ein Star, aber die Frauen, die sie auf der Bühne darstellt, sind schon seit einiger Zeit jünger als sie selbst; die schwindende Anziehungskraft zersetzt ihr Selbstbewusstsein, was die Schauspielerin Jule Böwe mit einem Jammer in der Stimme beglaubigt, der bodenlos ist. Als Hannah sich für den Auftritt umzieht, entblößt sie kurz ihre Brüste, und ihre Ankleidefrau fragt sie, ob sie früher oft nackt auf der Bühne gewesen sei. Hannah sagt „oft“ – und dann schweigt sie. Ihr Schweigen gibt uns eine Ahnung vom Horror des Theaters – einer Anstalt, die es denen, die ihr verfallen, möglich macht, die Zeit anzuhalten, allerdings nur für die Stunden, in denen sie auf der Bühne stehen. Aber dann ist der Moment auch schon vorbei.

Ansonsten klingen die Dialoge, als habe der Autor sie beim Zappen durchs Nachmittagsprogramm eingesammelt („Da draußen löst sich die Welt auf, und wir schauen zu“). Momentweise hat das Stück Züge einer Screwball-Comedy – das Gehetzte, den Schlagabtausch-Charakter der Dialoge, jedoch: Es fehlt der Esprit. Wäre dies eine angelsächsische Produktion, dann ließe sich jede Figur durch die Art und Weise charakterisieren, wie wir über sie lachen; aber es ist ein deutsches Stück, und wir Zuschauer werden nur von einer Baustelle zur nächsten geleitet. Hier, sagt das Ensemble, während es uns durch den Abend führt, müsste jetzt eine unwiderstehliche Pointe kommen, leider ist die nicht fertig geworden (wir sind ja in Berlin), wir kredenzen stattdessen einen Kalauer, lacht doch bitte bis auf Weiteres über den. Was wir denn auch tun. Wir sind das ja gewohnt.

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