„Die wechselseitige Empörung ist der Brennstoff“

DIE ZEIT: Herr Hader,  schildert in aller Härte, wie ein Dorf verroht, und wie der Schuster Julius Kraus zum Opfer wird, weil er Jude ist. Sie spielen nicht so häufig in Filmen mit. Was hat Sie an diesem Stoff interessiert?

Josef Hader: Ich spiele vor allem deswegen nicht so oft in Filmen mit, weil ich so viele Kabarett-Termine habe. Die stehen meistens schon ein bis zwei Jahre vorher fest, da kommt man nur schwer raus. Aber diesmal hab ich alles freigeräumt, und das liegt vor allem am Regisseur Matti Geschonneck. Alle, die vor einer Kamera stehen, träumen davon, mit ihm zu arbeiten, weil er so viele großartige Filme gemacht hat. Drehbuch gab es noch keines, aber ich habe die Romanvorlage gelesen:  von Oskar Maria Graf. Da hab ich dann sofort zugesagt, weil ich das Gefühl hatte, die Figur liegt mir.

ZEIT: Was ist dieser Schuster Julius Kraus für ein Mensch?

Hader: Ein inwendiger Mensch. Er sagt wenig, aber innen brodelt es. Mir war wichtig, dass ich ihn als Menschen spiele, der nicht mutig ist, eigentlich feig. Am Anfang gar nicht sympathisch. Und als er dann das Wegducken endlich aufgibt, tut er das nicht, weil er plötzlich einen Anfall von Mut hat, sondern weil ihm alles wegbricht. In seinem Trotz denkt er sich: Jetzt ist das auch schon wurscht.

ZEIT: Sie spielen ihn als einen Menschen, der sich aus allem raushalten will. Das spürt man schon an seinem Gang, an seiner Art sich zu bewegen.

Hader: Solche Rollen liegen in meiner Reichweite. Bei Figuren, die sehr extrovertiert sind, komme ich an meine Grenzen. Ich hab gern wenig Dialog und eine gewisse Lakonie. Es passt nicht jede Rolle zu mir. Und wenn das Genre Drama ist, bin ich überhaupt vorsichtig.

ZEIT: Sie sind selbst in einem kleinen Dorf in Oberösterreich aufgewachsen. Hat das geholfen, die gesellschaftlichen Mechanismen in der im Film gezeigten Gemeinschaft zu verstehen?

Hader: Ja, für die Vorbereitung der Figur war es praktisch, dass ich den Mikrokosmos eines Dorfes von Kindheit an kenne. Meine Großmutter, die mir sehr wichtig war, hat mir viel über diese Zeit des beginnenden Nationalsozialismus erzählt. Sie gehört genau der Generation an, die ich im Film verkörpere. Später war ich dann im Internat, aber den Kontakt zum Dorf habe ich nie verloren. Mein Bruder ist jetzt der Bauer auf unserem Hof, und einen guten Schulfreund hab ich auch noch dort.

ZEIT: Zeigt der Film exemplarisch, wie Faschismus entsteht?

Hader: Das Spannende an einem Dorf ist ja, dass man sich dort nicht dauerhaft zerstreiten sollte, es ist in jeder Hinsicht klüger, zusammenzuhalten. Also rauft man sich trotz aller Gegensätze zusammen. Normalerweise. Im Film zeigen wir, wie das plötzlich nicht mehr funktioniert. Wie die Ideologie einbricht. Die politische Überzeugung wird so stark, dass einem die Dorfgemeinschaft egal ist.

ZEIT: Das Große im Kleinen zeigen – gilt dieses Prinzip auch sonst für Ihre Arbeit?

Hader: Ja, das Politische im Privaten zu zeigen, hat mich immer mehr interessiert als die Tagespolitik. Ich schreibe meine Kabarettprogramme eigentlich wie Theaterstücke. Ich versuche, ein Thema zu finden, das mit der momentanen gesellschaftlichen Stimmung zu tun hat. Das umkreise ich beim Schreiben und versuche, mich immer tiefer hineinzubohren. Wenn es funktioniert, wird so ein Stück dann idealerweise nicht nur lustig, sondern geht automatisch auch ins Existenzielle.

ZEIT: Ihr aktuelles Programm heißt . Wo liegt da das Existenzielle?

Hader: Das Programm ist eine Etüde über den alten weißen Mann meiner Generation. Zunächst ist er souverän und ein bissl unverschämt und hat alles im Griff, dann wird der Spielraum enger und der Mann auf der Bühne immer wütender. Und am Ende hat er einen Altersschub und mutiert zu einem tattrigen Zittergreis mit übergroßen Augen aufgrund seiner Lesebrille. Die Idee dazu hatte ich 2019, es war kurz vor Corona, in Trumps erster Amtszeit. Salopp gesagt, verabschiedeten sich damals bereits viele Menschen von den Errungenschaften der Aufklärung. Ich dachte mir, man kann diese Art von allumfassender Dummheit nicht mehr intellektuell widerlegen. Sondern man muss ein groteskes, pralles, barockes Satirentheater machen. Es ist die Tradition von Hans Jakob von Grimmelshausen und Jonathan Swift. Von denen kann man lernen, das Groteske so zu übersteigern, bis das Grausen im Publikum stattfindet.

ZEIT: Sie treten am Abend unseres Interviews im superkatholischen Wallfahrtsort Altötting auf. Wie unterscheidet sich das Publikum in der Provinz von dem in der Großstadt?

Hader: Die Stimmung hängt mehr vom Raum als vom Ort ab. In einem Theater funktioniert es besser als in einer Halle. In der Großstadt ist die Resonanz nicht unbedingt besser, an manchen Tagen hat man so eine Art Ausgeh-Publikum. Auf dem Land kommen die Leute aus der ganzen Umgebung in die Vorstellung, die wissen dann oft genauer, warum sie hier sind.

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