Im fahlen Schein der
Schreibtischlampe sitzt ein Mädchen einem Polizeibeamten gegenüber, ihr Blick
ist standhaft, er mustert sie skeptisch. Es ist spät abends und so still im
Raum, dass man hört, wie sie Luft holt: „Ich bin Karla Ebel, 12 Jahre alt und möchte
Anzeige erstatten.“ Der Grund: „unzüchtige Handlungen“, § 176 StGB.
Der Angeklagte: Karl Ebel, ihr Vater.
So beginnt eine
Geschichte, die sich vor etwa 60 Jahren im unmittelbaren Umfeld der
Drehbuchautorin Yvonne Görlach tatsächlich so ereignete. Über zehn Jahre lang
begleitete Görlach die Betroffene und rekonstruierte den Fall – ein
Unterfangen, das angesichts lückenhafter Aufzeichnungen der Gerichte zu einem
Langzeitprojekt heranwuchs. Schritt für Schritt arbeitete sich die Autorin
durch Prozessakten, sprach mit Anwälten und Richtern und verdichtete die
gesammelten Versatzstücke zu einem fiktionalisierten Drehbuch. Vor allem aber
sprach sie immer wieder mit der betroffenen Person selbst: „ein Mensch mit
unglaublicher Selbstwirksamkeit und Resilienz – mit einer
Geschichte, die erzählt werden musste“.
Die Regisseurin Christina Tournatzés nahm sich des Stoffes für ihren Debütfilm an, der beim diesjährigen
Filmfest in München Premiere feierte – und dort für Drehbuch und Regie zweifach
mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet wurde. Nun ist
auch in den Kinos zu sehen – und stellt Fragen: Wie sprechen wir über das, was
sich Worten entzieht? Was passiert, wenn ein Kind sich dazu entscheidet, seine
Rechte einzufordern – gegen den Willen des eigenen Vaters? Und wie kann man ihm
beistehen, wenn es ganz allein ist?
Davon erzählt der Film in
langen, reduziert ausgeleuchteten, oft statischen Einstellungen. In der
Anfangsszene eilt die 12-Jährige Karla
mit hastigem Schritt durch die nächtlichen
Münchner Straßen des Jahres 1962. Der Mantel hängt schwer über ihren Schultern,
sie huscht von Laterne zu Laterne auf dem Weg zur örtlichen Polizeistation, um
den jahrelangen Missbrauch durch ihren Vater zur Anzeige zu bringen. Weil die
Mutter ihren Mann deckt, ist sie auf sich allein gestellt. Schutzlos und doch mit Bestimmtheit betritt sie
die Topografie der juristischen Welt: Auf ihrem Weg durch die Gänge des
Polizeigebäudes folgt ihr die Kamera wie eine Zeugin, hält fest, wie Karla das
Grundgesetz umklammert. „Artikel 2, Recht auf ein gutes Leben. Gilt das
auch für Kinder?“, fragt sie den zuständigen Richter namens Lamy (mit
sympathischer Ruhe gespielt von Rainer Bock), der von da an ihr Verbündeter
wird.
Was folgt, ist eine
Geschichte, die sich vor allem zwischen Karla und Lamy abspielt und das Hadern
der beiden Figuren spürbar macht: Karla, die sich mit jedem ausgesprochenen
Satz ein wenig näher an den Beamten herantastet, wenn sie ihn zögerlich fragt: „Spielen
Sie ein Instrument?“ Und der Richter, dessen anfängliche bürokratische Strenge
einer Empathie für dieses Kind weicht, das immer wieder von traumatischen
Flashbacks heimgesucht wird. An diesen Stellen verbindet der Film schemenhafte,
unscharfe Rückblenden mit Karlas durchdringenden Schreien, während Lamy das
Kind zu beruhigen versucht. Solche intimen, schwer aushaltbaren Momente werden
mit kühlen Szenen am Schreibtisch des Richters kontrastiert, in denen Karla auf
die starren Gesetzmäßigkeiten der Rechtsprechung stößt. Zum Beispiel wenn der
Richter sie fragt: „Kannst du mir sagen, wie oft es passiert ist? Ich brauche
eine Zahl.“
Die Autorin Yvonne Görlach hat den Film als Kammerspiel
angelegt, die Regisseurin Christina Tournatzés macht daraus eine Erzählung, bei
der die Kamera der Protagonistin kaum von der Seite weicht. Es ist, als würde
man mit Karla einatmen, bevor sie spricht, als würde man mit ihr im
Gleichschritt durch die halligen Gänge des Polizeipräsidiums laufen, ihre
kindliche Perspektive einnehmen, die dennoch nie naiv ist.
