Atomkraft-Befürworter wollen beim ARD-Sommerinterview gegen Grünen-Chef protestieren

Das „Sommerinterview“ der ARD mit der Vorsitzenden der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, Alice Weidel, hatte am 20. Juli für Schlagzeilen gesorgt – nicht unbedingt wegen des Inhalts, sondern wegen der äußeren Umstände. Eine Gruppe politischer Aktivisten namens „Zentrum für Politische Schönheit“ hatte einen Lautsprecher-Bus vor der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses am Bundestag geparkt. Sie störten die TV-Aufzeichnung mit lautstark übertragenen Schmähliedern, Trillerpfeifen und Sprechchören. So laut war der Geräuschpegel, dass Weidel ihren Interviewer mehrfach kaum verstehen konnte und nachfragen musste. Gesendet wurde das Interview trotzdem.

Diese Aktion findet am Sonntagnachmittag womöglich Nachahmer, wenn sich der Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Felix Banaszak, in diesem Interview-Format den Fragen von Matthias Deiß stellt, dem stellvertretenden Studioleiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio. Jedenfalls wurden am Ort der Aufzeichnung an der Paul-Löbe-Allee gleich zwei Demonstrationen angemeldet, bestätigt die Berliner Polizei gegenüber WELT.

Das Störpotenzial der einen Gruppe dürfte begrenzt sein: So hat der Pro-Atomkraft-Verein „Nuklearia“ nur sechs Personen angemeldet: „Wir protestieren für die Wiedereinführung der Kernkraft in Deutschland aus Gründen des Umweltschutzes und der sicheren, günstigen Energieversorgung“, heißt es im Demo-Aufruf. Ein Sprecher des Vereins versicherte auf Nachfrage von WELT, dass keine akustische Störung mit Lautsprechern oder Megaphonen geplant sei. Allerdings habe man das Ziel, die Demo-Transparente „im Blickwinkel der Fernsehkameras“ zu platzieren.

Mit welchen Mitteln die andere Protestgruppe arbeiten will, ist unklar. Laut Berliner Polizei wurde ein offenbar satirischer Grund für die Demonstration genannt: „Mehr Demogeld für Antifa-Demonstrant*innen.“ Gefordert wird die „zusätzliche Übernahme aller Auslagen (Anreisekosten, Verpflegung, Verdienstausfall, Kinderbetreuung, Kundgebungsmittel)“ sowie eine „jährliche Anpassung in Höhe der Steigerung der Lebenshaltungskosten.“

Die im Meldeformular suggerierte Existenz eines „Demogeldes“, mit dem linke Demonstranten angeblich entlohnt würden für ihren Protest, wird in sozialen Medien immer wieder verbreitet und satirisch zitiert, es handelt sich aber um eine Verschwörungstheorie ohne jede reale Grundlage.

Doch nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden für diese Demonstration „bis zu 100 Personen“ angemeldet. Die Versammlung wurde nach Informationen von WELT am Freitagnachmittag auch genehmigt. Zu den amtlichen Stellen, die über ein Demo-Verbot zu befinden haben, gehören neben dem Bundesinnenministerium auch das Land Berlin und das Präsidium des Bundestags.

Die Behörden dürften durch den Präzedenzfall des Weidel-Interviews allerdings unter einem gewissen Genehmigungsdruck gestanden haben. Nachdem die Polizei gegen die Störer des AfD-Interviews erst relativ spät, nach rund 30 Minuten vorgegangen ist, würde sie sich dem Vorwurf der Ungleichbehandlung aussetzen, wenn sie Störaktionen gegen den Grünen-Chef von vornherein verbieten oder sofort kompromisslos unterbinden würden.

Obwohl die Demonstrationen in dem früher als „Bannmeile“ bekannten, „befriedeten Bereich“ am Bundestag stattfinden, gilt dort nicht automatisch ein generelles Demonstrationsverbot. „Im Hinblick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit haben Bürgerinnen und Bürger nach § 3 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes einen Anspruch auf die Zulassung einer Versammlung“, teilte das Bundesinnenministerium mit.

Voraussetzung dafür sei allerdings, dass „eine Beeinträchtigung der Tätigkeit der geschützten Verfassungsorgane und eine Behinderung des freien Zugangs zu ihren in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist“.

Da gerade Parlamentsferien sind, droht eine Störung des Bundestags durch die Versammlungen in der Tat nicht. Sorgen machen muss sich freilich die ARD über ihr prominentes TV-Format „Sommerinterview“, das traditionsgemäß von der hochgelegenen Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit ihrem malerischen Blick auf Spree und Reichstagsgebäude gesendet wird.

Sollten sich in der Folge des Weidel-Interviews hier jetzt regelmäßig die unterschiedlichsten Aktivisten und Protestgruppen zu einem Schaulaufen einfinden, droht das TV-Format in seiner bisherigen Form Schaden zu nehmen. Auch an diesem Sonntag beim Banaszak-Interview kann niemand ausschließen, dass es nicht doch noch zu spontanen Sprechchören oder ähnlichem kommt.

Darauf, wie die ARD mit der Herausforderung umgeht, darf man gespannt sein. „Wir haben uns mit dem Sommerinterview vom 20.7. intensiv beschäftigt und unsere Schlüsse gezogen“, erklärte eine Sprecherin des Hauptstadtstudios auf Nachfrage. „So haben wir unser Sicherheitskonzept überprüft, stehen im engen Austausch mit den zuständigen Sicherheitsbehörden und haben technische sowie redaktionelle Vorkehrungen getroffen, um ein störungsfreies Sommerinterview führen zu können.“ Man bitte um Verständnis, „dass wir aus Sicherheitsgründen nicht weiter ins Detail gehen.“

Eine Veränderung gegenüber dem verunglückten Interview mit Weidel wird es aber auf jeden Fall geben: Zwar wurde auch das Gespräch mit der AfD-Chefin am Sonntagnachmittag aufgezeichnet und erst am Abend um 18 Uhr im Hauptprogramm der ARD ausgestrahlt. Das Weidel-Interview wurde aber laut ARD auch als „Watchparty ‚tagesschau together‘ live im Internet auf Twitch, Instagram, YouTube, TikTok, und auf Tagesschau24 übertragen. So wurden die Internetnutzer Zeugen der Störaktion.

Das soll am Sonntag beim Interview mit Banaszak nicht möglich sein. Zwar plant die ARD auch diesmal wieder eine solche „Watchparty“, allerdings soll das Interview nicht live gestreamt werden. Stattdessen findet der Stream des aufgezeichneten Gesprächs im Internet zeitgleich mit der Ausstrahlung im Hauptprogramm „Das Erste“ statt: am Sonntag, 3. August, um 18.00 Uhr.

Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.