In Berlin gehen die Lichter aus? Im Gegenteil. Im Stadtteil Berlin-Biesdorf brennen sie derzeit Tag und Nacht. Denn eine Ameisenkolonie hat ein Schalthaus für Straßenbeleuchtung befallen und dort die Elektronik angefressen. Bis alles repariert ist, musste entschieden werden, das Licht entweder für immer aus- oder für immer angeschaltet zu lassen, so erläuterte es eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Um die Verkehrssicherheit in der Nacht nicht zu gefährden, habe man die zweite Möglichkeit gewählt. Und weil in Berlin nichts von heute auf morgen geschieht, schon gar nicht die Reparatur eines Schalthauses für Straßenbeleuchtung, spenden jetzt rund um den Bentschener Weg in Biesdorf bis auf Weiteres 80 Laternen ewiges Licht.
Ozzy Osbourne hätte gewusst, was zu tun ist: Ameisenstraßen pflegte er schlicht zu schnupfen. So berichtet es jedenfalls Tommy Lee, der Schlagzeuger der Band Mötley Crüe, mit der Osbourne im Jahr 1984 auf Tournee war. Eines sonnigen Tages habe man gemeinsam an einem Hotelpool gesessen, dieses und jenes eingeworfen und außerdem noch Eis am Stiel geschleckt, und auf die achtlos weggeworfenen Stiele hin habe sich eine Ameisenstraße gebildet. „Und Ozzy schaut nach unten und schnupft einfach die Ameisen, die zum Eis am Stiel krabbeln“, erinnert sich Tommy Lee. Diese Geschichte ist über die Jahrzehnte hinweg zu einem der beliebtesten Rock-’n‘-Roll-Mythen herangewachsen. Zugleich wurde immer wieder bezweifelt, ob sie sich wirklich so zugetragen hat. Auf Nachfrage pflegte Osbourne entweder zu sagen, dass dies alles genau so stimme – oder aber: dass der Wahnsinn eben die besten Geschichten schreibt.
Ozzy Osbourne ist tot, am 22. Juli ist er im Alter von 76 Jahren gestorben. Aber die Ameisengeschichte wird bleiben – ebenso wie die Musik, die Ozzy Osbourne und Black Sabbath einst in die Welt brachten: der Heavy, Black, Death- und Doom-Metal. Freilich wurde der Metal, wurden all diese Genres seither schon mindestens so oft für tot erklärt wie der liebe Gott, zu dessen Lästerung die Metal-Pioniere sich ursprünglich zusammengefunden hatten. Gott hat sich darum bislang ebenso wenig geschert wie der Metal. Warum auch, eine Musik, die sich Death-Metal nennt, ist nach eigenem Verständnis ja schon immer tot und kann deswegen gar keine Angst vor dem Sterben haben. Metal ist unsterblich, weil es sich beim Metal eben zunächst und zuletzt um spirituelle Musik handelt, um Musik zur Erhebung des Geistes. Und das Bedürfnis nach dieser Art von Musik ist unstillbar, zumal in spirituell so obdachlosen Zeiten wie den heutigen.
Metal erhebt den Geist, weil er den Körper verlässlich zu Boden drückt durch kompetenten Einsatz von Lautstärke und Bass. Der Black-Sabbath-Gitarrist Tony Iommi stimmte sein Instrument tiefer, die Akkorde waren so für ihn einfacher zu greifen, da er bei einem Unfall die Spitzen zweier Finger verloren hatte. So wurde der Sound düster, schlammig und schwer – und zur Signatur einer Zeit, in der die heitere Stimmung der Hippie-Ära gerade dem Gefühl einer universellen Depression gewichen war. Das war Anfang der Siebzigerjahre genauso wie heute. Die besten Metal-Bands, die dem Vorbild von Iommi und Black Sabbath folgten, fokussierten sich ganz auf den Bass und ließen alles andere nach und nach weg. Am besten gelang dies den kalifornischen Krachkuttenmönchen Sunn O))), die seit nun auch schon wieder fast dreißig Jahren bei ihren Konzerten nichts anderes tun, als ihr Publikum mit brüllend lauten Basstönen und den dabei entstehenden Rückkopplungen aus dem Verstärker zu betäuben, bis wirklich jeder einzelne Knochen im Körper vibriert und der Geist sich allmählich aus der Hirnschale löst. Gegenwärtig sind Sunn O))) wieder auf Tour, ihr bestes Album ist und bleibt aus dem Jahr 2005, auf dem der Gastsänger Malefic aus einem mikrofonierten Leichenwagen heraus seine Einsätze röchelt.
Metal ist meditative Musik, gerade die von Sunn O))) eignet sich hervorragend zur inneren Einkehr und zum Yoga. Doom-Metal-Yoga gehörte in den vergangenen Jahren zu den interessantesten Trends in der Yogaszene, in jeder größeren Stadt werden inzwischen Metal-Yoga-Kurse angeboten, Schwarzes Yoga heißt ein sich ausschließlich dieser Sache widmendes Studio in Berlin-Weißensee, und auch beim größten deutschen Metal-Festival, dem Wacken Open Air, das am kommenden Wochenende wieder in der gleichnamigen Gemeinde in Schleswig-Holstein stattfindet, werden eigene Yogakurse angeboten: „Headbangen im herabschauenden Hund“ ist eine der Übungen, die hier praktiziert werden.
Headbangen, so nennt man das energische Herauf und Herunter des Kopfes, mit dem Metal-Freunde sich auf Konzerten in schöne Zustände des Rauschs und des erweiterten Bewusstseins hineinbewegen; wer das ausgiebig tut, läuft freilich Gefahr, die Nackenmuskulatur zu beschädigen, auch hier kann Metal-Yoga helfen. Am schönsten geheadbangt wird bei Black-Metal-Konzerten: Auf der Bühne grunzen finstere Typen schlimme Geschichten von Satansverehrung und Menschheitsapokalypse, und vor der Bühne schütteln dazu große Männer mit sehr langen Haaren ihre Köpfe, und wenn man sich dazwischenstellt, wird man von den wehenden Haaren umpuschelt, umschmeichelt und gelegentlich auch schön gekitzelt. Den allerschönsten Headbanger-Moshpit, den ich je erlebte, rief die norwegische Black-Metal-Gruppe 1349 hervor – auch sie ist an diesem Wochenende beim Wacken-Festival zu sehen. Benannt hat sich die Band übrigens nach dem Jahr, in dem in Norwegen die Pest ausbrach.
Metal ist Musik der Spiritualität und der Meditation; es ist Musik, die fremde Menschen – gerade auch Männer, die sich sonst dagegen wehren – zu zärtlichen Gemeinschaften verbindet; und es ist eine Musik, die dazu geeignet ist, alte Kulturen und archaisches Wissen in die Gegenwart zu retten.
Das tollste Metal-Album des laufenden Jahres – es ist gerade erschienen – stammt von der chilenischen Gruppe Mawiza und trägt den Titel . Das bedeutet „Gesang“ in der Sprache der Mapuche, eines indigenen Volkes, das auf dem Territorium der Staaten Chile und Argentinien lebt und sich über Jahrhunderte mit Kampfeswillen und Entschiedenheit gegen die spanischen Kolonisatoren gewehrt hat. Darum singen Mawiza ihre Lieder in der Mapuche-Sprache Mapudungun, und sie verbinden ihre schweren, basslastigen, gelegentlich auch schön groovenden Riffs mit den rituellen Gesängen ihrer Kultur. Sie rufen die Geister des Mondes und der Bäume an, und sie klagen über die zerstörerische Kraft der Zivilisation. In dem Lied – deutsch: „So wie der Baum“ – beschwören sie die Lieder, die ihre Ahnen einst von den Wäldern lernten, und die Tänze, die ihnen die Tiere des Waldes beibrachten. Im zugehörigen Video sieht man sie auf einer tristen gerodeten Lichtung, alle Natur ist hier tot und zerstört – das Werk skrupelloser Holzunternehmen, die in das Territorium der Mapuche eingedrungen sind.
Ozzy Osbourne präsentierte sich als Fürst der Finsternis. Die Metal-Pioniere aus Europa und den USA beschworen okkultes Wissen als Antidot zur entzauberten Moderne. Mawiza setzen an die Stelle der Satansbeschwörung das indigene Wissen ihrer Kultur; in ihrem Lied bieten sie aber auch eine interessante Perspektive auf die seit Black Sabbath zum Kernbestand des Metal gehörende Kritik der christlichen Religion. ist das Mapuche-Wort für Dekolonisierung. Im Text beschwören Mawiza den Kampf gegen jene, die einst ihre Kultur zerstörten. Sie wollen die erloschenen Vulkane wieder zum Leben erwecken, um die Kolonisatoren zu vertreiben, und im Video zum Lied sieht man die Bandmitglieder von Mawiza in einer heiteren Gruppe von indigenen Gesellen, die einen in Kardinalsrot gewandeten Missionar mit einem Christenkreuz um den Hals in die Mitte ihres Dorfes zerren. Dort wird er dann gesteinigt.
Das sind so die Probleme von Mawiza. Und in Berlin-Biesdorf wären sie schon froh, wenn sich das Licht wieder ausschalten ließe.