Wetter ist auch Klima

Wenn man verstehen will, wie rasant sich die Welt verändert hat, seitdem die sogenannten Boomer Babys waren, empfiehlt sich ein Blick ins Jahr 1966. Damals gleiste die Deutsche Bundesbahn eine Plakatkampagne auf, in der man verschiedene Lokomotiven durch eindrucksvolle Schneewehen brausen sah. Darunter stand der Slogan: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ 1968 – und heute vielleicht noch berühmter – übernahm dann der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) den Spruch und variierte das Motiv: Statt der Lokomotiven sah man beim SDS Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin in Siebdruck weiß auf rotem Grund. 

Es ist einerseits interessant (und lustig), dass sich der heute so chronisch witterungsempfindliche Schienenverkehr in Deutschland mal als Bollwerk gegen schlechtes Wetter inszeniert hat. Noch interessanter aber ist die Botschaft des SDS: Wetter, das war mal das dezidiert Unpolitische, ein laues Thema, mit dem sich selbst der einfallsloseste Friseur noch durch jeden Vormittag plaudern konnte. Heute funktioniert das zwar beizeiten immer noch, aber der Referenzrahmen ist ein anderer. Bemerkungen über „schönes Wetter“ oder den „verflixten Regen“ korrespondieren zwangsläufig mit einem der politischen Großthemen des 21. Jahrhunderts: der Klimakatastrophe.  

Es gibt nun gewiss Meteorologen, die es nicht mögen, wenn Nicht-Meteorologen vom angekündigten Starkregen in Süddeutschland gleich auf „das Klima“ schließen. Und es gibt generell viele wütende Menschen, die beim Thema Wetter und Klima zu mehr Gelassenheit mahnen. Vorsicht ist also geboten mit allzu sportlichen Aussagen zu strukturellen Ursachen für akute Wetterphänomene. Zweifellos aber entsteht zwischen den Menschen ein gewisser Stress, wenn sich aktuelle Wetterereignisse weder (wie ganz früher) zürnenden Göttern zurechnen lassen noch (wie wachsend detailliert seit der Aufklärung) Prozessen in der Atmosphäre, die aber für Generationen lediglich beschreib- und nicht beeinflussbar schienen.  

Beobachten lassen sich heute verschiedene Arten, auf diesen Stress zu reagieren: Die eine und wohl verbreitetste ist, das Thema Wetter eher zu vermeiden, zumindest dort, wo es einen Grundsatzkonflikt zu entzünden droht über die Verantwortung der Menschheit für die Klimakatastrophe. Die andere ist eine Art Trotzgebärde gegenüber denen, die diese Verantwortung anmahnen. Sie lässt sich gerade in diesem feuchten Juli beobachten: Menschen sagen dann mit mal mehr und mal weniger Selbstironie, dass sie nichts hören wollen vom Nutzen des Niederschlags für die sogenannte Natur. Und man sagt ihnen besser nicht, dass sie mit ihren Tiraden gegen die andauernde feuchte Schwüle selbst wiederum ein Wetterphänomen beschreiben, das man noch vor wenigen Sommern in dieser Form in diesen Breiten nicht kannte. Zumindest sagt man das nicht, wenn man kein weiteres politisch eskalierendes Gespräch über das einst so unpolitische Thema Wetter riskieren möchte. 

Das Problem ist, dass dem Wetter so zwischen den Polen Verschweigen und Unernst eine Neutralisierung droht, die es gerade jetzt als politisiertes Thema nicht verdient hat. Denn Wetter ist per se politisch, und zwar im Sinne einer dieser Tage hochinteressanten Rückkopplung: Klimatische Veränderungen haben die Menschheitsgeschichte vielleicht stärker beeinflusst als jede Person, jede Idee, jede Erfindung. Wenn aber der Mensch davon weiß, dass er – wie indirekt auch immer – über das Klima auch das Wetter beeinflusst und just in diesem Moment lieber aufhört, davon zu reden: Was bedeutet das dann? 

Auf Regen folgt Sonnenschein, auf Dürre die Sintflut

Es bedeutet vielleicht, dass man vor der Komplexität dieses Zusammenhangs mit der eigenen Verantwortung kapituliert und sich vor der Realität zurückzieht. In einer neuen Form magischen Denkens igelt man sich so mental vor den erlebbaren Veränderungen ein und hofft, dass die Dinge schon irgendwie gut ausgehen. Auch das ist schließlich anhand des Wetters in unseren noch gemäßigten Breiten gelernt: Auf Regen folgt Sonnenschein. Dass es immer häufiger heißen müsste „Auf sengende Dürre folgt die Sintflut“: Ist nicht auch das schon wieder viel zu politisch für das Thema Wetter?  

Auch das ist schließlich eine Eigenheit des Wetters als materielle Lebensgrundlage: Durch seine Mischung aus Allgegenwart und Veränderlichkeit befördert es Gewöhnung und Relativierung gleichermaßen. Dagegen helfen keine Appelle, es hilft aber vielleicht ein vorsichtig geschulter Blick, auch eine Schwerpunktverschiebung im Denken: In den letzten Jahren war die (korrekte) Mahnung „Wetter ist nicht Klima“ stets laut zu hören als Reaktion auf Klimaschützer, die aus Extremwetterereignissen politischen Handlungsdruck ableiten wollten. Inzwischen ist vielleicht – auch angesichts der immer verfeinerteren Belege aus der Forschung – wiederum Zeit für die Entgegnung auf die Entgegnung: Wetter ist auch (!) Klima. Beziehungsweise ist die Erkenntnis längst da, sonst gäbe es die Gereizt- und Unsicherheiten bei Gesprächen über das Wetter ja gar nicht.  

Diese Gespräche explizit zu politisieren, nachdem sie eh schon nach Jahrtausenden ihre Unschuld verloren haben, die Zeit ist nun vielleicht gekommen. Denn gerade jetzt sollten doch alle vom Wetter reden.

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