Wer das Justizzentrum in München
betritt, muss sich sorgfältigst auf Waffen oder andere gefährliche Gegenstände
untersuchen lassen. Im Gerichtssaal B173 wird an diesem Vormittag trotzdem
scharf geschossen. Mit Worten. „Erhebliche kriminelle Energie“, „grober Eigennutz“,
„besonders verwerflich“ – wie Pfeile zischen die Vorwürfe der Staatsanwältin
durch den Raum, und der Mann, auf den sie gerichtet sind, macht keine
Anstalten, sich zur Wehr zu setzen. Alfons Schuhbeck, 76 Jahre alt, gefallener
Starkoch, schwer krebskrank, sitzt auf der Anklagebank, den Blick auf den Tisch
vor ihm gerichtet. Er lässt alles über sich ergehen.
Vier Jahre und drei Monate Haft lautet schließlich
das Urteil, und auch als der Vorsitzende Richter Uwe Habereder zur
Urteilsbegründung das Wort an ihn richtet, wirkt Schuhbeck nicht wirklich
beteiligt; er wendet den Kopf zu Habereder, doch sein Blick geht ins Leere.
„Was bleibt von seinem Leben übrig?“, hat einer der Verteidiger in seinem
Plädoyer gefragt, und er muss die Antwort gar nicht selbst geben. Sie ist allen
hier klar: nicht viel.
Einst Medienliebling und erfolgreicher
Unternehmer, ist Alfons Schuhbeck abgestürzt. Eine Firma nach der anderen ging
pleite, er wusste sich nicht anders zu helfen, als mit Tricks und Betrügereien
den Laden am Laufen zu halten. Oder wie es der Richter formuliert:
„Letztendlich sind Sie zu groß geworden. Sie haben viel zu spät die Notbremse
gezogen.“ Schuhbecks Vergehen laut Urteil: vorsätzliche Insolvenzverschleppung,
Betrug, Subventionsbetrug, vorsätzlicher Bankrott, Verstöße gegen die
Buchführungspflicht.
Vier Jahre und drei Monate also. Wird
Schuhbeck das durchstehen? Daran glaubt im Gerichtssaal niemand. Erst ein
knappes Jahr hat er infolge eines vorangegangenen Urteils abgesessen, auf Steuerhinterziehung
lautete 2022 die Anklage, drei Jahre und zwei Monate Haft dann das Urteil. Ob Schuhbeck
angesichts seines Gesundheitszustandes überhaupt noch einmal ins Gefängnis
muss, ist fraglich. Im Moment ist die Haft ausgesetzt, damit er medizinisch
behandelt werden kann.
Dabei muss man das Urteil vom heutigen
Montag noch als relativ milde bezeichnen, in ihren Plädoyers bedanken sich die
Anwälte bei der Großen Strafkammer des Landgerichts München I und der
Staatsanwaltschaft für einen fairen Prozess. Bereits vor dem ersten
Verhandlungstag hatte es einen Deal zwischen allen Prozessbeteiligten gegeben:
Das Urteil sollte mindestens vier Jahre und höchstens vier Jahre und acht
Monate betragen. Dass das Gericht nun am unteren Ende der möglichen Strafe
bleibt, entspricht der besonnenen Verhandlungsführung des Richters – und der
Atmosphäre im Saal. Sogar die Staatsanwältin wirkt zwischendurch wohlwollend.
In ihrem Plädoyer lässt sie zwar kein Detail von Schuhbecks Verfehlungen aus.
Doch sie sagt auch, sein Firmenimperium sei ihm „leider Gottes über den Kopf
gewachsen“. Es klingt durchaus bedauernd.
Was in den vier Verhandlungstagen zum
Vorschein kam, wirkte tatsächlich wie ein Lehrstück aus der
betriebswirtschaftlichen Horrorwelt. So analysierte die Staatsanwaltschaft
sämtliche 48 Konten der Schuhbeck-Firmen, mit unschönem Ergebnis: Geld war
schon seit 2017 praktisch keins mehr da, die Forderungen der Gläubiger konnten
„nicht mehr bedient werden“, wie Schuhbecks Insolvenzverwalter als Zeuge aussagte.
Trotzdem stellte Schuhbeck keine Insolvenzanträge, sondern machte einfach
weiter, wie ein Pleitier, der sich weigert, die Post zu öffnen – aus Furcht,
die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. 27 Millionen Euro Schulden waren
es am Ende, rechnete der Insolvenzverwalter vor. Dass Schuhbeck dabei – um die
schlimmsten Löcher zu stopfen – unberechtigte Coronahilfen einstrich, fanden
Staatsanwaltschaft und Gericht besonders verwerflich. Mehr als 140.000 Euro an
staatlichen Hilfen sackte der Koch ein, obwohl die Pleiten seiner Firmen mit
Corona gar nichts zu tun hatten. Andere Unternehmen, sagt Richter Habereder,
die eine Hilfe verdient gehabt hätten, seien deshalb leer ausgegangen.
Allerdings, so räumt der Vorsitzende in
seiner Urteilsbegründung ein, habe es der Staat mit seinen unbürokratisch
vergebenen Subventionen dem insolventen Unternehmer Schuhbeck auch leicht
gemacht, ihn zu betrügen. Und immerhin habe Schuhbeck sich mit dem Geld „nicht
persönlich bereichert“, sondern wollte damit seine Firmen retten. Auch sei es
ihm anzurechnen, dass er im Prozess die volle Verantwortung für seine Fehler
übernommen habe. In seinem „letzten Wort“ entschuldigt sich Schuhbeck bei
allen, denen er geschadet habe. Er sagt: „Das wird mich für den Rest meines
Lebens belasten.“
Minuten nach Prozessende ist auf den
Infoscreens an der U-Bahnhaltestelle Hauptbahnhof die Meldung zu lesen:
„Ex-Starkoch zu vier Jahren und drei Monaten Haftstrafe verurteilt“. Es wird
wohl eine der letzten Meldungen gewesen sein über Alfons Schuhbeck, den
einstigen Star vom Münchner Platzl.