Ahnungslos in Frankfurt und Berlin

Eigentlich könnte die Bundesregierung mit sich zufrieden sein. Fast 16 Jahre nach dem Einstieg während der Finanzkrise hat sie endlich einen Teil der damals übernommenen Commerzbank-Aktien erfolgreich verkauft. Der dabei erzielte Preis liegt zwar deutlich unter dem damaligen Kaufkurs. Und den Fehlbetrag aus der Bankenrettung von insgesamt rund 22 Milliarden Euro mildert der Erlös auch nur unwesentlich. Der bei der Auktion erzielte Aufschlag von rund fünf Prozent auf den aktuellen Börsenkurs der Commerzbank ist dennoch ein achtbares Resultat. Und immerhin zieht sich der ansonsten allzu präsente Staat an einer wichtigen Stelle aus dem Wirtschaftsleben zurück.

Fast eine Woche nachdem sich der Bund von rund vier Prozent der Anteile getrennt hat, fehlt von Zufriedenheit jedoch immer noch jede Spur. Dass sich die italienische Großbank Unicredit die Aktien aus dem Fundus des Bundes gesichert und über den Markt nochmals einen ähnlich großen Anteil gekauft hat, lässt viele Beteiligte noch immer perplex zurück. „Dass die sich so angeschlichen haben, war eine Überraschung“, heißt es in Regierungskreisen in Berlin.

Deshalb fehlt es bisher auch an einer klaren Antwort auf die Avancen aus Mailand. „Wir sind noch nicht so weit zu wissen, wie es weitergeht“, heißt es. Unicredit-Chef Andrea Orcel weiß es dafür offenbar umso besser: Wie zunächst „Bloomberg“ berichtete und Aufsichtsratskreise bestätigen, will Unicredit bei der zuständigen Europäischen Zentralbank (EZB) einen Antrag darauf stellen, bis zu 30 Prozent der Commerzbank-Aktien übernehmen zu dürfen.

Den Vorwurf der Naivität weisen Regierungskreise jedoch entschieden zurück. Dass sich die zuständigen Akteure der Ampel-Regierung nur bedingt vertrauen, erschwert die Meinungsbildung. Von „unterschiedlichen Interessen in Kanzleramt und Finanzministerium“ ist da die Rede. Viel wird darüber gemutmaßt, wer welche Ziele verfolge und wann was gewusst haben könnte. Jörg Kukies, Wirtschaftsberater im Kanzleramt und als früherer Co-Deutschlandchef der Investmentbank Goldman Sachs wahrlich kein ausgewiesener Gegner großer Deals, wolle eine „Megabank“ schaffen, heißt es da etwa.

In den nächsten Tagen wollen Regierungsvertreter die Lage nun auch mit dem Management der Commerzbank besprechen. Deren Vorstandschef Manfred Knof gibt sich zurückhaltend. Wenn jemand gute Ideen habe, werde man diese „verantwortungsvoll prüfen“, sagte er am Montag am Rande eines Termins in Berlin. Der Fokus liege aber darauf, die bisherige Strategie umzusetzen. Eine Fusion sieht diese nicht vor.

Dass Unicredit diese nun offensichtlich anstrebt, stürzt die Regierung in einen schwer auflösbaren Zielkonflikt. Vor Beginn des Verkaufs hatte das Finanzministerium betont, dass dieser „diskriminierungsfrei“ erfolgen solle. Ein Übernahmeversuch war jedoch kaum gewünscht. Der Ärger über die schleppenden Fortschritte bei der Commerzbank-Sanierung war in Berlin zuletzt dem Wohlgefallen darüber gewichen, dass neben der Deutschen Bank eine größere private Alternative existiert, die heimischen Unternehmen in Finanzfragen zur Seite stehen kann.

Staatssekretär verteilt Lob

Die Commerzbank sei „wieder ein stabiles und ertragsstarkes Institut“, lobte der zuständige Staatssekretär im Finanzministerium Florian Toncar (FDP) bei der Bekanntgabe der Trennungsabsichten. Die Reduzierung der Bundesbeteiligung deklarierte er zum Zeichen für die Stärke der Bank und des Finanzstandorts Deutschland. Der umgehende Einstieg der Italiener erinnerte dann nicht nur Toncar daran, dass andere Banken und Finanzstandorte noch um einiges kräftiger sind.

Dabei muss die Regierung einer möglichen Übernahme nicht tatenlos zusehen. Um sie zu verhindern, bräuchte sie vermutlich nicht einmal die verbliebenen Commerzbank-Aktien zu behalten. Dass Unicredit sich das Institut gegen den ausdrücklichen Widerstand Berlins einverleibt, gilt als nahezu ausgeschlossen. Politisch wäre ein Veto jedoch alles andere als einfach. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben sich in den vergangenen Monaten immer wieder als entschlossene Vorkämpfer für einen gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt inszeniert.

Wirklich konsequent war dieses Bekenntnis noch nie: Vor allem auf Druck von Sparkassen und Volksbanken hat sich Deutschland immer wieder gegen Pläne für eine einheitliche europäische Einlagensicherung gestellt. Blockiert Berlin nun auch noch einen entscheidenden Wachstumsschritt einer europäischen Großbank, werden die Absichtsbekundungen völlig unglaubwürdig.

Das könnte ein Grund für den Berliner Ärger über das Ergebnis der Auktion sein. Schon Ende vergangener Woche regte sich deshalb auch Kritik an der in Frankfurt ansässigen Finanzagentur. Diese finanziert die Ausgaben des Bundes, indem sie dessen Anleihen ausgibt. Zusätzlich verwaltet sie die Restbestände aus der Bankenrettung und den Stabilisierungen während der Corona-Pandemie. Mit dem Verkauf der Commerzbank-Aktien hatte die Agentur die US-Bank J.P. Morgan beauftragt.

Das Verfahren beginnt in der Regel mit dem sogenannten Wallcrossing. Bei diesem spricht die Bank Investoren unverbindlich an, um das Marktumfeld zu testen. In Finanzkreisen ist von einer niedrigen zweistelligen Zahl von Großbanken und Anlagegesellschaften die Rede, zu denen auch Unicredit zählte. „Die Einladung zum Wallcrossing kann von einem professionellen Investor nicht als Einladung des Bundes verstanden werden, Anteile der Commerzbank zu erwerben“, heißt es im Finanzministerium. „Das ist eine Missinterpretation.“

Die Auktion selbst sei absolut typisch verlaufen, heißt es weiter in Finanzkreisen. Das einzig Ungewöhnliche sei gewesen, dass Unicredit relativ spät für den gesamten Anteil geboten habe. Da es keine Beschränkungen für den Verkauf gegeben habe, sei der Zuschlag für die Mailänder Offerte alternativlos gewesen. Begrenzungen des Anteilserwerbs seien zwar theoretisch möglich und bei Emissionen auch üblich, heißt es in Finanzkreisen. Sie kämen allerdings nur bei Aktienpaketen zum Einsatz, deren Kauf wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen ermöglicht.

Prüfung durch Bafin ist möglich

Da die bereits bestehende Beteiligung von Unicredit nicht bekannt gewesen sei, habe es keinen Bedarf gegeben. Ob beim Einstieg alles vorschriftsmäßig gelaufen ist und die Italiener ihre Beteiligung vorschriftsmäßig gemeldet haben, könnte die Finanzaufsicht BaFin prüfen. Bisher fehlen Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten.

Von bestimmendem Einfluss ist die italienische Großbank auch mit einem Anteil von gut neun Prozent noch weit entfernt. Über den Markt kann Unicredit weiter zukaufen. Der nächste wichtige Schritt wäre ein Anteil von zehn Prozent, ab dem die Aufsicht die Beteiligung verschärft prüfen würde. Bis die nächsten Bundesaktien auf den Markt kommen, vergehen noch fast drei Monate. Das ist viel Zeit, um sich auf mögliche Überraschungen vorzubereiten.