ZEIT ONLINE: Lars Jessen, worüber denken Sie gerade nach?
Lars Jessen: Ich bin gerade auf Tour durch Kinos in Ost- und Westdeutschland, wo wir unsere neue Filmkomödie vorstellen. Und ich frage mich, warum wir in unserem Land eine so komische Wahrnehmung von uns selbst haben. Wollen wir einander wirklich nur erzählen, wie zerstritten wir sind, wie schlecht die Welt ist? Wollen wir uns nicht lieber mal davon erzählen, was wir hinkriegen? Ich habe bis vor Kurzem als Regisseur einfach nur für sich gut funktionierende Geschichten erzählen wollen. Aber neuerdings ist das anders. Die Frage nach den Geschichten vom Gelingen ist zur Hauptfrage meines Lebens geworden: Wie kriegen wir es hin, eine spannende Erzählung von uns selbst zu finden, die uns ins Handeln bringt?
ZEIT ONLINE: Warum ausgerechnet jetzt? Die Nachrichtenlage ist schon seit Langem nicht günstig.
Jessen: Es ging für mich los mit der Fridays-for-Future-Bewegung. Die nächste Generation hat mich in Gang gesetzt. Ich bin als Kind in einer Aussteiger-Wohngemeinschaft bei Brokdorf groß geworden. Danach hat man mir aber in meiner Zeit als Student an der Kunsthochschule für Medien in Köln alles Politische ausgetrieben. Ich fand es damals besser, mich mit und auszukennen und habe es mir in der Popkultur gemütlich gemacht.
ZEIT ONLINE: Bis Sie sich dem Verbrechen zugewandt haben …
Jessen: Ja, ich habe Krimis gemacht, über 100 Stück, und irgendwann habe ich gemerkt – das ist meine Lieblingsgeschichte –, dass von der Serie , die ich vor über 20 Jahren mal eingestartet habe, 474 Folgen, also entsprechend viele Morde, gedreht wurden, davon 37 Wasserleichen, während in der gleichen Zeit im realen Wismar nur ein einziger Mord geschah. Es ist absurd: Im letzten Jahr sind in Deutschland 214 reale Morde geschehen, insgesamt, das schafft das Fernsehen in einer Woche. Ich war lange Teil dieser Mordproduktion und möchte das nicht mehr sein.
ZEIT ONLINE: Sondern?
Jessen: Wir Menschen sind eine erzählende Spezies und haben den Weg durch die Jahrtausende nur geschafft, weil wir uns Geschichten erzählen konnten. Als „Homo narrans“ bezeichnen es Samira El Ouassil und Friedemann Karig in ihrem großartigen Buch . Wir konnten uns vom gefährlichen Säbelzahntiger dort hinten im Wald erzählen, möglichst rechtzeitig. Heute können wir uns aussuchen, welche Geschichten wir uns erzählen wollen! Wir können uns eine Welt vorstellen, wie sie besser sein könnte. Wir können durch die Fiktion sozusagen probewohnen in der Zukunft.
ZEIT ONLINE: Für den Film haben Sie sich eine menschenleere verdorrte Gegend in Sachsen-Anhalt ausgesucht, in der in einem Dürresommer den Dorfbewohnern das Wasser ausgeht. Nicht witzig. Aber es geht offenbar nicht nur darum, was man erzählt, sondern auch um das Wie: Denn diese Katastrophe witzig. Es geht nicht anders: Man sieht ins Elend und lacht. Wie kommt das?
Jessen: Die Realität ist gleichzeitig zum Verzweifeln komisch und deprimierend. Es kommt also auf den Blickwinkel an. Und der humorvolle Blick hat viele Vorteile. Wenn wir ins Lachen kommen, passiert im Körper so viel mehr, als wir von außen wahrnehmen. So werden im Gehirn zahlreiche Botenstoffe ausgeschüttet, die beispielsweise unsere Schmerzwahrnehmung verringern und unser Belohnungssystem aktivieren. Wichtig dabei ist: Wir machen kein eskapistisches Angebot. Das Thema ist eines, das für die Zukunft sehr relevant ist, faktenfest recherchiert und anschaulich.
ZEIT ONLINE: Deshalb Klima?
Jessen: Nein, deshalb Wasser. Der Begriff Klima ist viel zu abstrakt, keiner will das Wort mehr hören, keiner kann etwas damit anfangen, also haben wir uns für Wasser entschieden. Das kennt jeder. Wir Menschen bestehen zu 70 Prozent aus Wasser, und im Dorf unseres Films gerät in der Dürre der Wasserkreislauf durcheinander. Von solcher Dürre ist Deutschland durch die Klimaveränderungen tatsächlich besonders betroffen. Plötzlich kommt in unserem Dorf nichts mehr aus der Leitung. Man dreht in der Dusche den Hahn auf, und nichts passiert. Und die Leute sind sprachlos und können sich nicht einigen, wie das Problem zu lösen ist.