Russlands Präsident Wladimir Putin
hat der Ukraine bei einem öffentlichen Auftritt weitere Eroberungen angedroht – und dabei erneut die Souveränität des Landes bestritten. Er sehe Russen und Ukrainer als ein Volk, sagte Putin beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. „In dem Sinn
ist die ganze Ukraine unser“, sagte er unter großem Beifall im Saal.
Auf die Frage des Moderators, inwieweit er die Ukraine erobern wolle,
antwortete Putin unter weiterem Applaus: „Wo der Fuß eines russischen Soldaten steht, das gehört
uns.“
Der russische Präsident stellt regelmäßig das Existenzrecht einer souveränen Ukraine infrage und bezeichnete sie bereits mehrfach als „künstlichen“ Staat. In dem mehr als drei Jahre andauernden
Angriffskrieg hat Russland bisher die ukrainischen Gebiete Donezk,
Luhansk, Saporischschja und Cherson annektiert, bis auf Luhansk allerdings keines der annektierten Gebiete vollständig erobert. Zuletzt drohte Russland damit, dass weitere Regionen folgen könnten, wenn die Ukraine nicht den
russischen Maximalforderungen für ein Kriegsende zustimme.
Putin droht mit Angriff auf Sumy
In St. Petersburg konkretisierte Putin diese Drohung: Erstmals sprach er von einer möglichen Eroberung der ukrainischen Gebietshauptstadt Sumy im Nordosten des Landes. „Wir haben nicht das Ziel, Sumy einzunehmen, aber im Prinzip
schließe ich das nicht aus“, sagte er. In der gleichnamigen nordostukrainischen Region ist die russische Armee derzeit in der Offensive und hat in den vergangenen Wochen mehrere Dörfer erobert, die Front liegt knapp 20 Kilometer vor der Stadt Sumy.
Die Einnahme einer Gebietshauptstadt ist Russland seit Beginn der Invasion im Februar 2022 allerdings erst ein Mal gelungen, beim Angriff auf Cherson in den ersten Tagen des Krieges. Im November 2022 befreite die Ukraine die Großstadt. Die jeweils gleichnamigen Regionalhauptstädte Luhansks und Donezks waren seit 2014 von russisch geführten Milizen besetzt, die Halbinsel Krim annektierte Russland ebenfalls 2014.
Der russische Präsident begründete den Krieg bei seinem Auftritt erneut mit der Osterweiterung der Nato. Einen möglichen ukrainischen Beitritt zum Bündnis wolle Russland auf keinen Fall zulassen. Die Ukraine sei
1991 aus der Sowjetunion als neutraler Staat in die Unabhängigkeit „entlassen“ worden, sagte Putin. Zu dem neutralen Status solle sie zurückkehren, forderte er.
Vor dem Krieg hatten mehrere Regierungschefs führender Nato-Länder Putin in persönlichen Gesprächen zugesichert, sie hätten keine Absicht, die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Derzeit fordert die russische Regierung eine Abgabe aller von ihr bislang
beanspruchten Gebiete, Neuwahlen in der Ukraine, eine dauerhafte
Neutralität des Landes sowie eine umfassende Demilitarisierung. Die
Ukraine hatte mehrfach eine bedingungslose Waffenruhe gefordert, lehnt
aber die anderen Forderungen ab.
Ukraine wirft Putin Missachtung von Waffenruhe-Gesprächen vor
In Kyjiw reagierte der Redenschreiber von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Putins
Aussagen: „Für jedes Bein eines russischen Soldaten gibt es eine
ukrainische Drohne“, schrieb Dmytro Lytwyn im Netzwerk X. Außenminister
Andrij Sybiha schrieb auf X in Anspielung auf Putins „zynische“ Formulierung, wohin immer ein russischer Soldat seinen Fuß
setze, bringe er „Tod und Zerstörung“.
Zudem warf Sybiha Russland vor, den von den USA initiierten Gesprächsprozess über eine mögliche Waffenruhe mit den Drohungen zu missachten. Die US-Regierung von Donald Trump hatte immer wieder ein Signal der Friedensbereitschaft von Putin gefordert, vage angedrohte Sanktionsdrohungen für den gegenteiligen Fall aber nicht konkretisiert.
Bei seinem Auftritt kündigte Putin eine weitere Aufrüstung Russlands an. Angesichts der Warnungen von
Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow vor einer möglichen Rezession,
sagte Putin: „Stagnation oder sogar Rezession darf auf keinen Fall
zugelassen werden.“
Einschätzungen, wonach der Krieg gegen die Ukraine Russlands Wirtschaft ruiniere, wies Putin zurück. Er nannte anhaltendes Wachstum, niedrige Verschuldung und wirtschaftliche Diversifizierung als Zeichen der Widerstandsfähigkeit Russlands, während führende Wirtschaftsvertreter sich besorgt über den Zustand der russischen Wirtschaft äußerten.