Eine Chance für China in Brasilien. Und das Ende grüner Träume der EU?

Sao Paulo fürchtet sich vor dem „schwarzem Regen“. Der könne zwar die dicken Rauchschwaden aus der Luft waschen, das dunkle Regenwasser sei aber für Mensch und Tier toxisch, gab der Zivilschutz am Sonntag eine Warnung an die Bevölkerung heraus. Der „schwarze Regen“ ist eine Folge der verheerenden Brände im ganzen Land.

Anfang des Monats registrierte die zuständige Behörde INPE bereits 50.000 Brandherde im für das Weltklima so wichtigen Ökosystem Amazonas: ein Anstieg um 83 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im Zehn-Jahresvergleich liegen die aktuellen Waldbrände sogar 38 Prozent über dem Durchschnitt.

Im Amazonas wie im Pantanal, einem weiteren wichtigen Ökosystem im Südwesten Brasiliens, übertrafen die Feuersbrünste sogar die dramatischen Zahlen von 2020 unter dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Damals generierten die Feuerkatastrophen in Brasilien noch weltweite mediale Aufmerksamkeit. Diesmal aber ist das Interesse an apokalyptischen Bildern verkohlter Tierkadaver in den Redaktionen vergleichsweise niedrig.

Die Kritik an der brasilianischen Regierung, die Hilfsgelder in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro unter anderem aus Europa zum Schutz des Amazonas erhält, wächst. Eine Dürre, Brandstiftung und versäumter Brandschutz der Regierung sind die Ursachen der aktuellen Katastrophe.

Während Brasiliens Wälder also auch unter dem linkspopulistischen Präsidenten Lula da Silva brennen, erreichte die Europäische Union in Brüssel nun ein Schreiben aus Brasilia: Absender sind laut „O Globo“ Außenminister Mauro Vieira und Landwirtschaftsminister Carlos Favaro.

Ihre Forderung: Die Europäer sollten in den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur auf den sogenannten Waldschutz-Paragraphen verzichten. Gleichzeitig melden die brasilianischen Medien: Brasilien intensiviert die Freihandelsverhandlungen mit China, weil sich die Lula-Regierung von Brüssel keine Umweltvorschriften lassen machen will.

Lula da Silva spricht von „grünem Kolonialismus“

Der Waldschutz-Paragraph sieht vereinfacht ausgedrückt vor, dass Exporte von Produkten verboten werden, die von Flächen stammen, auf denen nach 2022 – also mit Beginn der Amtszeit des amtierenden linkspopulistischen Präsidenten Lula da Silva – Wald zerstört wurde. Brasilien empfindet das vor allem von den europäischen Grünen vorangetriebene Gesetz als kolonialistisch und übergriffig.

Lula da Silva sprach auf einem der vergangenen Mercosur-Gipfel sogar von „grünem Kolonialismus“. Anna Cavazzini, Europa-Abgeordnete der Grünen, schrieb in den sozialen Netzen vor wenigen Wochen dagegen, das Gesetz gegen Entwaldung sei wichtig: „Es steht nicht zur Debatte.“

„Brasilien ist einer der Hauptlieferanten der EU für die meisten der von der Gesetzgebung betroffenen Produkte, die rund ein Drittel unserer Exporte in den EU-Block ausmachen“, zitiert „O Globo“ aus dem Schreiben. Die Minister fordern Brüssel auf, „ihren Ansatz in dieser Frage dringend zu überdenken“.

Für die brasilianische Regierung sei der Waldschutz-Paragraph ein „einseitiges und strafendes“ Instrument, das die eigene brasilianische Gesetzgebung zur Entwaldung ignoriere. Tatsächlich gelang der Regierung Lula zwar eine Reduzierung der Amazonas-Abholzung, zugleich stieg sie in anderen Regionen wieder an. Zudem ist unklar, ob und wie die Zerstörung der aktuellen Waldbrände in die Statistiken einfließen.

Chinas Vertreter in Brasilien locken wiederum mit Wachstumsversprechen für ein Freihandelsabkommen. Ein solches Abkommen zwischen Peking und dem Mercosur könnte das brasilianische BIP bis 2035 um bis zu 1,43 Prozent wachsen lassen, rechnete der brasilianisch-chinesische Wirtschaftsrat CEBC vor wenigen Tagen vor.

Beide Regionen sind für Brasilien wichtige Handelspartner. Im vergangenen Jahr verkaufte Brasilien Produkte im Wert von 46,3 Milliarden US-Dollar nach Europa. Nach China wiederum exportierte das größte südamerikanische Land laut eigenen Angaben in der ersten Hälfte des Jahres 2024 landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 28,44 Milliarden Dollar. Käme der EU-Mercosur-Freihandelsvertrag zustande, wäre es mit 700 Millionen Einwohnern der größte Binnenmarkt der Welt.

„Der Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens ist überfällig“

„Weder dem Amazonas noch dem weltweiten Klima ist geholfen, wenn Brasilien künftig mehr Handel mit China statt mit der EU betreibt“, sagt Südamerika-Experte Hans-Dieter Holtzmann von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Buenos Aires im Gespräch mit WELT. „Der Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens ist überfällig. Der G-20-Gipfel im November in Rio de Janeiro wäre hierfür ein hervorragender Anlass.“ Die EU sollte nicht „technische Gründe“ für Endlosschleifen vorschieben und das Freihandelsabkommen nicht mit sachfremden Lobbyinteressen überfrachten, sagt Holtzmann.

Für das Misstrauen der Brasilianer gegenüber den europäischen Waldschutz gibt es nach Auffassung von Paulo Velasco, Politikwissenschaftler der Universität UERJ aus Rio de Janeiro, einen einfachen Grund: „Nach brasilianischer Auffassung steckt hinter den europäischen Umweltvorschriften der Druck der Agrarlobby, insbesondere der französischen, die eine weitgehende Liberalisierung des europäischen Agrarsektors, wie sie in den vergangenen Jahren ausgehandelt wurde, nicht wünscht“, sagt Velasco im Gespräch mit WELT.

Der Waldschutz-Paragraph ist für Brasiliens auch deshalb ein Problem, weil sie wichtige infrastrukturelle Pläne der Lula-Regierung infrage stellen können. So zum Beispiel eine neue Eisenbahnlinie zu Amazonas-Häfen, mit denen die gigantischen Soja-Ernten transportiert werden sollen, oder die Fertigstellung der Autobahn BR 319 quer durch den Amazonas nach Manaus.

Wirtschaftswissenschaftler Felipe Rodrigues von der Universität UFF erklärt, dass der Druck der Europäer Brasilien in Verhandlungen mit China treibe: „Fast 30 Prozent unserer Exporte in die Europäische Union wären davon betroffen, da Brasilien ein Hauptexportland ist.“

Rodrigues schlägt zur Rettung des Handelsabkommens stattdessen Reinvestitionsstrategien für den Wald vor. Sie könnten aus den Geldern stammen, die sowohl Brasilien als auch die EU durch einen Freihandelsvertrag erwirtschaften und dann in den Schutz des Amazonasgebiets investiert werden. So wäre der Freihandel möglich und gleichzeitig werde in die Erhaltung und Wiederaufforstung investiert.

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.