Vitali Klitschko ist der Boxer, zu dem wohl selbst einem Faust- und Stierkampfenthusiasten wie Ernest Hemingway keine gute Geschichte eingefallen wäre. Dreimal wurde Klitschko Weltmeister im Schwergewicht, meistens gingen seine Gegner schon nach wenigen Runden k. o. Zweimal nur verlor er in seiner Profikarriere, jeweils verletzungsbedingt, obwohl er nach Punkten in Führung lag. Humorlos schlug Klitschko ansonsten alles kurz und klein, was sich zwischen 1996 und 2012 vor seine Handschuhe verirrte. Keine Konflikte mit Boxbruder Wladimir, keine Skandale oder nennenswerten Rückschläge. Selbst jene Sport- und Lebensweisheit, nach der es okay ist, auch einmal hinzufallen, solange man wieder aufsteht, lässt sich am Beispiel von Klitschko nicht erzählen: In 47 Profikämpfen ging er kein einziges Mal zu Boden.
Als Boxer also war der Ukrainer so unkaputtbar wie ein Handrührgerät aus den Siebzigerjahren. Und auch so charismatisch, was man ihm natürlich niemals ins Gesicht sagen würde. Es gibt offenbar keine guten Storys über ihn, aber es gibt Rückschlüsse aus seiner Kampfsportkarriere, die der Filmemacher Kevin Macdonald auf den Politiker Vitali Klitschko übertragen hat. lautet der Untertitel zur Doku des schottischen Regisseurs, die jetzt auf Sky und Wow zu sehen ist. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs begleitete er Klitschko, den Bürgermeister von Kiew, bei Trümmerbesichtigungen und Frontbesuchen, auf politischer Mission im Westen und zum Mikrowellendinner nach Hause. Dort filmte Macdonald einen Mann, der seine zweite Karriere genauso stoisch absolviert wie die erste.
Klitschko war eine Schlüsselfigur der Maidan-Revolution Ende 2013, buchstäblich und kamerawirksam stellte er sich vor die Demonstrierenden, als das Vorgehen der Polizei auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew gewaltsam zu eskalieren drohte. Im Mai des folgenden Jahres wurde er nach zwei zuvor fehlgeschlagenen Versuchen zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt.
Die Krim hatte Wladimir Putin zu diesem Zeitpunkt schon annektiert und den Ukrainekrieg de facto begonnen. Es gab also keine Probezeit für den Amtsinhaber Klitschko, er ist von Anfang an Krisen- und Kriegsmanager. Beinahe zwangsläufig sieht man ihn in Macdonalds Doku deshalb als Volksvertreter, der genauso regiert, wie er geboxt hat: fleißig, aber selten elegant, hart gegen sich selbst und die politischen Gegner.
Spannend ist das aus filmischer Sicht, wenn Klitschko mit diesem Stil an Grenzen stößt. Man erlebt ihn in als mechanischen Redner, dem es schwerfällt, politische Ideen zu formulieren oder gar Begeisterung dafür auszulösen. Trifft er in Kiew auf Menschen, die bei russischen Raketenangriffen Angehörige verloren haben, erscheint sein Zuspruch aufrichtig und doch bemüht – trösten lassen will sich kaum jemand von ihm. Bilder aus den frühen Tagen von Klitschkos Bürgermeisterzeit zeigen außerdem Versprecher und Verhaspler, die ihn zum Meme in sozialen Medien und zur Zielscheibe des politischen Kabaretts machten. Besonders laut ist die Häme des Schauspielers und Comedians Wolodymyr Selenskyj.
Selenskyj stellt Klitschko bei seinen Auftritten als Deppen dar, der nicht viel kann, außer Dinge kaputtzuhauen. Man sieht Ausschnitte seiner Comedy in mit denen Macdonald den Beginn einer nach wie vor andauernden Feindschaft dokumentiert. Als heutiger Präsident der Ukraine und Bürgermeister der Hauptstadt sind Selenskyj und Klitschko notwendigerweise Kriegsverbündete. Als Politiker aber gehören sie unterschiedlichen Lagern an und verfolgen vor allem mit Blick auf eine mögliche Nachkriegszeit unterschiedliche Ziele. Getroffen, sagt Vitali Klitschko im Film, habe er den Präsidenten in den letzten zweieinhalb Jahren kein einziges Mal. Das sagt vielleicht etwas über die Kooperationsbereitschaft von Selenskyj, vielleicht aber auch über die Bedeutung von Klitschko.