Man merkt Daniela Gerd tom Markotten an, dass sie sich ungerecht behandelt fühlt. Die Digitalvorständin der Deutschen Bahn muss sich seit Tagen mit Schlagzeilen herumärgern, dass die Digitalisierung der Bahn-Infrastruktur gestoppt würde. „Ich habe mich über die Berichterstattung der vergangenen Tage geärgert, weil es tatsächlich so ist, dass wir bei der Bahn noch nie so viel in Digitalisierung und IT investiert haben wie derzeit“, sagt Gerd tom Markotten am Rande des WELT-KI-Gipfels in Berlin.
Die Digitalisierung werde im gesamten Konzern mehr denn je vorangetrieben. „Von einem Digitalisierungsstopp kann nicht die Rede sein – das Gegenteil ist richtig“, sagt Gerd tom Markotten. „Ein Beispiel: Erst vor Kurzem haben wir im Konzernvorstand einen dreistelligen Millionenbetrag für die Digitalisierung unserer Instandhaltungswerke beschlossen.“
Doch so klar, wie diese Aussagen auf den ersten Blick erscheinen sollen, ist die Lage nicht. Denn der Bericht des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR), der die Vorständin so verärgert hat, bezieht sich eben nicht auf die gesamte Digitalisierung des Staatskonzerns, sondern auf die Infrastruktur.
Und da ist der Bedarf groß: Noch immer ist in vielen Stellwerken historisch anmutende Analog-Technik im Einsatz und auch die Schienenstrecken selbst sollen eigentlich mit einer neuen europäischen Leittechnik, dem European Train Control System (ETCS), für eine digitale Zukunft ausgerüstet werden. ETCS ermöglicht es Zügen automatisch mit der Strecke zu kommunizieren, sie sind dann nicht mehr auf herkömmliche Signaltechnik angewiesen, sondern können enger getaktet fahren. Das soll die Kapazität der vorhandenen Strecken deutlich erhöhen.
Doch dafür sind gleich an mehreren Stellen hohe Investitionen nötig: an den Strecken, aber auch alle Züge, die darauf fahren sollen, müssen mit der entsprechenden Technik ausgestattet werden. Nun könnte die Bahn, so der SWR-Bericht, auf eine günstigere Technik aus den 1990er-Jahren setzen, um Kosten zu sparen.
Der Konzern muss derzeit sein marodes Netz sanieren, das kostet Milliarden – auch ohne die digitale Leittechnik. Insgesamt 41 sogenannte Hochleistungskorridore, die besonders viel befahren sind, will die Bahn bis 2030 sanieren. Derzeit laufen die Arbeiten an der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim.
Der Bund hat der Bahn nicht genug Geld zugesagt
„Wir bekommen für die Bundesschienenwege so viel Geld vom Bund wie noch nie, wir haben aber auch eine Mammutaufgabe vor uns: die marode Infrastruktur zu sanieren“, sagt die DB-Vorständin. „Dabei müssen wir uns auf das Notwendige konzentrieren. Wir nehmen uns das zuerst vor, wo wir die größtmögliche Wirkung erzielen.“
Aus diesem Satz kann man durchaus heraushören, dass es Dinge geben kann, die bei der Bahn derzeit noch wichtiger sind als die Digitalisierung. Zunächst müssen die maroden Strecken saniert, müssen Weichen und Signale wieder in Schuss gebracht werden. „Wir erneuern Hauptstrecken, Nebenstrecken, Stellwerke und setzen auch viele kleine Maßnahmen um“, sagt Gerd tom Markotten. „Insgesamt gilt weiter, dass wir unsere Digitalisierungs-Roadmap weiterverfolgen wollen, das Thema wird weiter hoch priorisiert.“
Aber klar ist auch: Noch hat der Bund nicht genug Geld zugesagt. Lediglich bis 2027 sind die Sanierungen der Hochleistungskorridore gesichert, danach muss eine neue Bundesregierung in neuen Haushaltsverhandlungen erst zusätzliches Geld zur Verfügung stellen. Immerhin: Die Riedbahn soll mit ETCS fit gemacht werden. „Alle Hochleistungskorridore, die wir bis 2027 von Grund auf sanieren, rüsten wir wie geplant mit ETCS aus oder machen sie startklar für ETCS“, sagt die Digital-Vorständin.
Verhandelt wird auch noch über die Finanzierung anderer Strecken. In der Aufsichtsratssitzung in der kommenden Woche soll es dem Vernehmen nach auch um den sogenannten Digitalen Knoten Stuttgart gehen. Das Projekt gehört zu Stuttgart 21, dem Großprojekt des Konzerns, das ohnehin immer länger dauert und teurer wird. Nun stellt sich die Frage, ob auch die sogenannte dritte Stufe des Programms tatsächlich gebaut wird, damit sollen eigentlich weitere rund 300 Kilometer Strecke digitalisiert werden.
„Wir wollen die Störanfälligkeit der Züge verringern“
„Die Digitalisierung wird nicht reduziert, sondern weiter ausgerollt – auf Strecken und in den Knoten“, sagt Gerd tom Markotten. Das gelte für alle Elemente, auch für ETCS. „Aktuell wird ETCS beispielsweise zwischen Karlsruhe und Basel eingebaut. Aber auch im Zusammenhang mit den Generalsanierungen wie auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim und zwischen Berlin und Hamburg setzen wir auf ETCS, ebenso im Knoten Stuttgart“, so die Managerin. Ob der Aufsichtsrat auch der dritten Ausbaustufe beim Projekt um Stuttgart 21 zustimmt, bleibt damit aber weiter offen.
Gerd tom Markotten will die Digitalisierung der Bahn aber nicht nur auf der Strecke vorantreiben, sondern setzt auch in vielen anderen Bereichen auf Verbesserungen durch moderne Technik wie künstliche Intelligenz (KI). „Wir wollen nicht nur die Störanfälligkeit der Infrastruktur, sondern auch der Züge verringern“, sagt sie. „Wir haben beispielsweise in unseren Werken inzwischen 14 Kamera-Tore, durch diese fahren die Züge durch und die Außenhaut wird mittels KI analysiert.“ Die KI helfe auch dabei „Muster zu erkennen und so schon vorher zu wissen, wann bestimmte Teile der Züge repariert oder erneuert werden müssen“.
Auch bei der Instandhaltung der Strecken sei KI bereits im Einsatz. „Früher mussten wir die Strecken relativ langsam mit der sogenannten Gelben Flotte abfahren und Messungen vornehmen“, erzählt die Vorständin. Das könne man inzwischen mit ganz regulären ICE erledigen. „Die Sensoren sind nicht ganz so genau, aber durch viele Messfahrten jeden Tag haben wir so viele Daten, dass wir viel genauer vorhersagen können, wo Probleme auftreten werden.“
Philipp Vetter ist Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er berichtet über das Bundeswirtschaftsministerium, Wirtschaftspolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik, Mobilität und die Deutsche Bahn. Seinen exklusiven WELTplus-Newsletter können Sie hier abonnieren. Er ist seit 2021 Co-Host des WELT-Podcasts „Alles auf Aktien“.