„Wir sind weder der Hinterhof der USA noch der Russlands“

ZEIT ONLINE: Herr van Aken, die Linke hat inzwischen doppelt so viele Mitglieder wie noch vor einem Jahr. Wissen Sie überhaupt noch, welche Außenpolitik Ihre Basis will?

Jan van Aken: Schwierig. Ich bin täglich in Kontakt mit Leuten auf verschiedenen Ebenen der Partei. Da kriegt man ein Gefühl dafür, was die Menschen beschäftigt. Aber ganz ehrlich: Wenn ich eine Abstimmung machen würde unter unseren 110.000 Mitgliedern: Bist du für Blauhelmeinsätze, also für leicht bewaffnete Friedenssoldaten, die von den Vereinten Nationen zur Überwachung eines Friedensvertrages geschickt werden – oder bist du strikt dagegen? Ich wüsste nicht, was dabei herauskommt.

ZEIT ONLINE: Die Linke hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder über außenpolitische Fragen zerstritten. Haben Sie nicht die Sorge, dass das jetzt wieder losgeht?

Van Aken: Nein, ehrlich gesagt nicht. Wenn es Konflikte gibt, muss man die austragen, sonst hat eine Partei schon verloren. Aber viele von denen, die immer wieder extreme Perspektiven vertraten oder mit sehr kremlnahen Äußerungen provoziert haben, sind nicht mehr Mitglied in unserer Partei, und das ist gut so.

ZEIT ONLINE: Ist das so? Im Februar 2022, kurz nach Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine, gaben mehrere Abgeordnete der Linken eine Erklärung ab, in der sie behaupteten, die Politik der USA trage eine „maßgebliche Mitverantwortung“ an dem Angriff. Unter den sieben Autoren war auch Sören Pellmann. Und der ist jetzt Fraktionschef Ihrer Partei im Bundestag.

Van Aken: Die allermeisten von denen, die das erklärt haben, sind jetzt beim BSW, und ich weiß, dass Sören Pellmann da eine sehr differenzierte Position hat. Wobei ich es genauso wichtig finde wie er, auch die Vorgeschichte von Russlands Krieg in der Ukraine kritisch zu beleuchten. Aber das kann natürlich niemals eine Rechtfertigung für diesen Angriffskrieg sein. Das sieht die übergroße Mehrheit meiner Partei so. Bei der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gibt es bei uns deutlich kontroversere Meinungen.

„China hat den Krieg in der Ukraine klar verurteilt“

ZEIT ONLINE: Die Linke lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine bisher kategorisch ab. Aber viele Menschen, die sie bei der Bundestagswahl gewählt haben, sehen das offenbar gar nicht so streng. Nur 21 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler fanden laut einer Befragung, dass Deutschland die Ukraine militärisch weniger unterstützen sollte. Und 72 Prozent sagten, sie hätten Sorge, dass der Einfluss Russlands auf Europa weiter zunehme. Verändert sich da gerade die Haltung Ihrer Partei?

Van Aken: Nicht zwangsläufig. Denn wir als Linke sagen immer, dass wir die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland unterstützen wollen. Aber dass es eben viel mehr Optionen gibt zwischen immer weiteren Waffenlieferungen und Nichtstun. Deshalb fordern wir echte Friedensverhandlungen für die Ukraine, und damit meine ich nicht diese aufgezwungenen Gespräche, die US-Präsident Donald Trump da gerade führt. Die USA wollen die Ukraine plündern, sie zu Rohstoffdeals zwingen. Friedensgespräche müssen auf Augenhöhe stattfinden.

ZEIT ONLINE: Ohne Waffen kann sich die Ukraine aber nicht mehr lang verteidigen, und dann fehlt ihr genau die Augenhöhe für solche Gespräche, oder?

Van Aken: Deswegen fordern wir als Linke ja schon lange einen Waffenstillstand und dass China als Vermittler eingebunden wird. So könnten echte Friedensgespräche stattfinden.

ZEIT ONLINE: Nach allem, was wir hören, versuchen die Ukrainer immer wieder, die Chinesen an den Tisch zu kriegen. Die wollen aber nicht. Gleichzeitig kämpfen nordkoreanische Soldaten in Kursk – an der Seite Russlands, offensichtlich gebilligt durch China.

Van Aken: China hat den Krieg in der Ukraine klar verurteilt. Und es hat im letzten Mai noch eine Einladung an die EU geschickt und gesagt: Wir sind bereit, wenn ihr bereit seid. Friedrich Merz sollte direkt nach seinem Amtsantritt ein Format zwischen Brüssel und Peking für Friedensgespräche anregen.

ZEIT ONLINE: Warum sollten ausgerechnet die Chinesen an Deeskalation interessiert sein? Es gibt ja begründete Sorge, dass sie in Taiwan Vergleichbares planen wie Russland in der Ukraine.

Van Aken: Ja, ich sehe das Problem mit Taiwan. Aber wenn die Alternative ist, dass Trump jetzt das Gegenteil von Verhandlungen macht und die Ukraine unter den Bus wirft: Was kostet es denn, das zu versuchen? Natürlich wäre es eine außenpolitische Aufwertung Chinas, aber ich finde: Das ist es wert.

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