Alles Gehampel ist vergeblich

Das Dresdner Theater schickt seiner Premiere eine smartphoneseitenlange Liste mit Triggerwarnungen voraus – Rücksichtslosigkeiten, schlimme Wörter, Gewalttätigkeiten und so weiter kämen vor, was einen unterhaltsamen Abend verspricht, will heißen: einen vollumfänglichen, komplett ausgestatteten, die halbe Nacht dauernden späten Castorf, selbstverliebt und selbstironisch, ein junges Ensemble auf Touren bringend und es auswringend.

Eine sächsische Theater-Kolonisierung, wenn man so will, schon die zweite nach 2022, dabei generös Castorf-Trash produzierend, das unverständliche Gebrüll und die ewigen Wiederholungen, aber auch ganz große Bilder und sehr intensive Augenblicke – eben eine Ahnung vom totalen Theater, wie sie nur dieser Großmeister den achtsamen Leuten noch zuzumuten wagt, mit seinen Erinnerungen an Dramen und Regime aller Art, mit dem Trotz des Dreiundsiebzigjährigen und der lächelnden Gewissheit über die Vergeblichkeit allen Gehampels, kurz: musste es sein, das Stück, in dem die jungen Leute ihre historischen Hoffnungen fahren lassen, falls sie noch welche hatten.

Das Stück von Georg Büchner ist im Grunde eine grauenvolle Deklamationszumutung. Die gymnasiastenhafte Römerrhetorik darin wird nicht besser, wenn man weiß, dass sie der Originalsprech der Französischen Revolution gewesen ist: Büchner hatte weitgehend Originalzitate collagiert. Castorf kombiniert diese Reden mit Passagen aus Heiner Müllers dem Stück über jene drei Zausel, die auf Jamaika einen Sklavenaufstand anzetteln sollen, nur um zu erfahren, dass der General Bonaparte in Paris die Revolution einfach abgesagt hat. Der Büchner-Müller-Komplex wird vor allem im ersten Teil des Abends zelebriert, und es breitet sich jene Whisky-und-Zigarrenrauch-Stimmung aus, die nach der Wende das Ende von Geschichtsoptimismus und Geschichtspessimismus gleichermaßen umwaberte und die man damals Zynismus nannte. Heute, mit entkräfteten Postkolonialen und einem Trump, der sogar noch das Kapital ruiniert, ist der Zynismus ein Originalzitat.

Trotzdem setzt Frank Castorf mit seinem Sprachmaterial danach noch einmal neu an. Er inszeniert ein großes, völlig unpsychologisches Drama zweier junger Männer, Danton und Robespierre (Jannik Hinsch und Franz Pätzold), die politisch kühn, ja größenwahnsinnig dachten, den Tiger ritten und am Ende bis zu den Knöcheln im Blut des Volkes stehen. Jetzt ziehen sie unterschiedliche Schlüsse aus der Lage.

Richtig gut wird es, wenn die Vorführenden sich dem Flow ihrer Stimmen und Körper überlassen und vergessen, dass sie für die Zuschauer oder den Regisseur spielen. Genau das passiert hier, und wer im Theater etwas anderes als Erbauung und Rücksichtnahme erwartet, sollte sich das in Dresden ansehen. bleibt ein Jungsdrama, genau wie die Revolution, die Französische und alle nach ihr losgetretenen, sodass es die Schauspielerinnen hier nicht ganz bis in den Vordergrund schaffen, auch wenn sie sich nach Kräften bemühen. Dies nur als allerletzte Triggerwarnung.

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