43 Jahre lang lebte Grünen-Politikerin Valerie Wilms als Mann – mit Vollbart, mit Ehefrau, mit zwei Kindern.
Dann die Wende ihres Lebens: das Outing, Geschlechtswechsel. Plötzlich war sie Frau Wilms, geschieden, alleinstehend, eine Ingenieurin in Rock und Bluse. Sie ging in die Politik, in den Bundestag.
Jetzt hat die 71-Jährige ein Buch geschrieben: „Meine zwei Leben“. Im BILD-Interview erzählt sie über ihr unfreiwilliges Coming-out, über Schminktipps und Föhn-Frisuren und warum sie das neue Gesetz der Ampelregierung für Transsexuelle katastrophal findet.
„Schon in der Pubertät lief das anders bei mir als bei den Schulkameraden“, erzählt Valerie Wilms: „Ich hatte kein Interesse, vor dem Mädchengymnasium zu stehen und nach Mädchen Ausschau zu halten.“ Doch die eigene Neigung „zuzuordnen“, gelang ihr über Jahrzehnte nicht.
Wilms, damals noch „Volker“, studierte Maschinenbau, arbeitete als Aufsichtsbeamter bei der Berufsgenossenschaft – und war viel auf Dienstreise. Montags bis freitags unterwegs. Frauenkleider im Hotelzimmer, bloß nicht das Zimmer verlassen! „Keine Öffentlichkeit“.
1982 hatte sie geheiratet, bekam zwei Söhne. „Mein jüngerer Bruder hatte lange vor mir geheiratet, da gab es einen gewissen Rechtfertigungsdruck: Willst du nicht auch eine Familie gründen? Ich war mir damals noch nicht sicher, was mit mir los war. Und ich wollte den normalen Ansprüchen genügen.“
„Meine Frau erwischte mich mit Nagellack“
Auf Dienstreisen lebte „Volker“ die Fantasie aus, trug Rock, Bluse, Frauenstrümpfe. Alles im Geheimen – bis die Ehefrau ihn zum Jahreswechsel 1996/96 mit Nagellack erwischte: „Hatte ich vergessen abzuwischen.“ Die Folge: sofortige Trennung. Von Frau und Kindern! Das Verhältnis ist bis heute nicht bereinigt. Valerie spricht von „zarten Pflänzchen“ des Kontakts, möchte Ex-Frau und Söhne „aus der Sache raushalten“, „keinen Druck ausüben“.
Als Valerie feiert Wilms 1987 ihre Neugeburt, lässt sich umoperieren, die Barthaare einzeln mit einer Nadel entfernen („Nadel-Epilation hieß das“). Es folgt: Anerkennung als Frau, danach die Zwangsscheidung – denn gleichgeschlechtliche Ehen sind damals noch nicht legal.
Der Geschlechterwechsel ist damals noch mit vielen Hürden, Gutachten, Richterbefragungen belegt. Eine zähe Prozedur, die Wilms nur mit Gesprächskreisen und Psychologen durchsteht.
Dennoch wird Wilms stinksauer, wenn sie auf das Gleichstellungsgesetz angesprochen wird, das die Ampelregierung 2023 eingeführt hat. „Katastrophal“ findet sie das neue Gesetz: einmal im Jahr könne jeder sein Geschlecht wechseln, ohne sich im Geringsten äußerlich zu verändern!
„Und nach einem Jahr können sie wieder hingehen und sagen: Nö, hat mir nicht so gefallen, jetzt bin ich wieder zurück.“ Es fehle mit dem „Geschlechter-Hopping“ jede „Ernsthaftigkeit der Entscheidung“. Die alte Regelung des „Transsexuellengesetzes“ habe zu jahrelanger Orientierung gezwungen – „mir hat das sehr geholfen“, sagt Wilms im BILD-Gespräch.
Fast zehn Jahre nach ihrer Geschlechtsumwandlung startete Wilms ihre Karriere in der Politik, kam 2009 für die Grünen in den Bundestag – Schwerpunkt Verkehrspolitik – „davon hatte ich Ahnung als Ingenieur“. Ihr Hintergrund als Transsexuelle blieb geheim, auch mithilfe von freundlichen Parteikolleginnen, die ihr Tipps für Kleidung, Make-up, Frisuren gaben.
Bis heute ist sie sicher: Nur bei den Grünen konnte sie – dank strengster Frauenquote – einen so steilen Aufstieg absolvieren.
2023 stieg sie aus, verließ die Partei – wegen der „unrealistischen Klimapolitik“. Aber vor allem wegen des Gleichstellungsgesetzes, für das die Grünen sich so eingesetzt hatten. „Da wollte ich einfach nicht mehr mitmachen!“
Was sie heute im Leben anders machen würde?
Wilms denkt kurz nach. „Mit dem Wissen, das ich heute habe, hätte ich wohl keine Familie gegründet. Ich habe als Single mit Frau und Kindern gelebt, und das hat der Familie sicher nicht gutgetan. Andererseits habe ich zwei Kinder gezeugt. Das wird mir erhalten bleiben.“