Sicherheitsrisiko Putzkolonne

Wenn der Abgeordnete Roderich Kiesewetter morgens sein Büro aufschließt, tritt seit einiger Zeit etwas mit hinein, das da nicht sein sollte. Unbehagen, ausgerechnet hier, wo er sich in Staatsgeheimnisse einliest. Kiesewetter, 61, ist ein Mann, dessen Sensoren auf Alarm geschaltet sind, von Berufs wegen. Denn er sitzt für die CDU im Auswärtigen Ausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium, heikle Jobs im Parlament. Weshalb Kiesewetters Zweifel brisant ist – ob Geheimnisse hier noch sicher sind.

Grund dafür ist Putin und sein Krieg, ist die russische Sabotage und Spionage. Sicherheitsgewissheiten sind dahin, auch im Bundestag. Wie vorsichtig Kiesewetter ist, zeigt sich, wenn man ihn dort, im Parlament, trifft. Er möchte das dann am liebsten in einem sterilen Konferenzraum tun, den eine Mitarbeiterin bucht und in dem kein persönlicher Schreibtisch steht. Denn was, wenn den jemand heimlich durchsucht. Das wäre ernst, sagt Kiesewetter. Zuletzt dachte er, dass er die Reinigungskräfte nicht gut genug kennt, womit man mitten beim Problem ist.

Denn die Sorge ist gerade größer denn je. Die Herzkammer des deutschen Parlamentarismus könnte unterwandert, ausgeforscht oder angegriffen werden. Sie steht im Visier wie nie, vor allem weil Russlands hybrider Krieg Europa nicht nur abstrakt trifft, sondern konkret auch deutsche Verfassungsorgane wie den Bundestag. Die Sicherheitsbehörden befürchten Spionage, Sabotage, Hacking.

All das wird nun dem Parlament selbst langsam klarer. Recherchen der ZEIT zeugen von der neuen Unsicherheit, die vom Paul-Löbe- bis ins Otto-Wels-Haus reicht. Wie kann man den offenen Charakter des Hauses wahren, ohne sich seinen Feinden auszuliefern? Wie kann intern die Sicherheit erhöht werden, ohne dass die Transparenz des Parlamentsbetriebs leidet? Den Grad angemessener Abschottung diskutieren hinter den Kulissen vor allem die Sicherheitspolitiker. Sie wissen, dass man einige Auflagen mit dem Einzug der nun 630 Abgeordneten verschärfen muss.

Bisher war der Bundestag in Sicherheitsfragen oft bequem, zuweilen naiv. Da rutschte Anfang des Jahres sogar ein dringend nötiges Sicherheitsgesetz von der Tagesordnung, obwohl sich so gut wie alle einig waren, dass es ein solches und damit eine bessere Bundestagspolizei braucht. Die Gefahren sind immens: Manche fürchten Angriffe von außen, andere von innen, insbesondere wegen der gestiegenen Zahl von 152 AfD-Abgeordneten. Schon vor deren Einzug gab es Abgeordnete, etwa bei den Grünen, die angefangen hatten, sich abends allein im Büro einzuschließen. Nun geht es um eine angemessene Sicherheitskultur im Haus, das Staatswohl – und die Resilienz der Demokratie.

Die Sicherheitsfrage beginnt an der Pforte: Dort zückt man den Hausausweis, manche Firmen – wie etwa Winkels Servicegesellschaft mbH, die einen Großteil des Reinigungspersonals stellt – haben spezielle Zugangskarten, ein potenzielles Sicherheitsrisiko.

6.300 Büros hat der Bundestag, aufgeteilt in Reviere, für die externe Reinigerinnen und Reiniger allerhand Schlüssel brauchen. Beim Einlass kommt es vor, auch im Beisein der ZEIT, dass eine dieser Kräfte durch eine Sicherheitsschleuse tritt, den Putzwagen aber nebenher schiebt. Eine andere soll auch schon mit der Zutrittskarte des Cousins reingekommen sein. Fotoabgleiche gibt es an den Pforten nicht, es werden keine Fragen gestellt.

„Die Überprüfung ist miserabel“, sagt selbst ein Firmenangestellter. „Das geht so lange gut, bis etwas passiert.“ Drinnen putzt man unbeaufsichtigt, selbst beim Verteidigungsausschuss, wo es um deutsche Militärgeheimnisse oder Verschlusssachen zur Ukraine geht – spannend für fremde Mächte.