NDR vorläufig kopflos

Der NDR hat keine neue Intendantin. Die einzige Kandidatin, Sandra Harzer-Kux, bekam am Freitag nicht die nötige Zweidrittelmehrheit im
Rundfunkrat. Sie fiel durch, weil sie in der entscheidenden Sitzung weder erkennen ließ, dass sie den
öffentlichen-rechtlichen Sender in der Tiefe kennt, noch dass sie einen Masterplan für den NDR
für die kommenden fünf Jahre hat. Das war für die Mitglieder des Rundfunkrats
zu wenig. Und das ist nachvollziehbar.

Um die Sache einzuordnen, gilt es, das Auswahlverfahren zu
kennen. Der NDR hat einen Rundfunkrat, besetzt mit 58 Vertretern gesellschaftlicher
Gruppen. Er blickt vor allem auf das Programm und soll überwachen, ob der NDR
seinen Auftrag erfüllt. Zu seinen Aufgaben gehört alle fünf Jahre aber auch die
Wahl des Intendanten, des obersten Senderchefs. Daneben gibt es ein zweites Gremium,
den Verwaltungsrat mit zwölf Mitgliedern. Dieser kontrolliert die Finanzen des NDR
– und er schlägt dem Rundfunkrat vor, wer der nächste Intendant werden
sollte.

Nun hat der Verwaltungsrat also am Freitag, nach einem
monatelangen Auswahlverfahren, in das auch ein Headhunter und ausnahmsweise auch der Vorsitzende des Rundfunkrats eingebunden waren, einen
Vorschlag gemacht: Sandra Harzer-Kux. Der Rundfunkrat sollte diesem Vorschlag
zustimmen, hat es aber nicht getan, nachdem Harzer-Kux auf viele Fragen eher
vage geantwortet
hatte. Wo sie Schwachstellen und Stärken im Programm sehe?
Wie sie dazu stehe, dass der NDR mehrere erstklassige Orchester unterhalte? Wie
sie die Zukunft der Landesfunkhäuser plane? Der NDR sendet in vier
Bundesländern und hat deshalb eine entsprechend kleinteilige Struktur mit
Studios, Außenstellen, Immobilien überall in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Wer Chefin eines solchen Labyrinths
werden will, sollte sich auskennen oder wenigstens sagen, wie ihr Ariadnefaden
aussieht, mit dem sie sich in diesem Labyrinth zurechtfinden will.

Harzer-Kux hat darüber hinaus nicht erkennen lassen, wie sie
auf die strukturelle Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die
jüngsten Vorgaben der Ministerpräsidenten für die ARD
reagieren will. Der
NDR ist aber eine der vier großen und damit wichtigsten Landesrundfunkanstalten in
der ARD. Weder der Sender noch die ARD können es sich leisten, die neue Chefin
erst mal anzulernen.

Aber wer ist Sandra Harzer-Kux eigentlich? Sie war Verlagsmanagerin bei
dem inzwischen aufgelösten Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr und hat zuletzt die
Firma Territory, einen erfolgreichen Anbieter für sogenanntes Corporate
Publishing geleitet. Territory bewirbt sich bei Konzernen darum, deren Werbebroschüren,
Firmenzeitschriften, Webseiten, Podcasts und Auftritte in sozialen Medien zu
erstellen und zu betreiben. Das Unternehmen wirkt in einer harten, wettbewerbsintensiven Branche. Die Gewinnmargen
sind oft klein, entsprechend viel verlangt Territory von seinen Mitarbeitern.
Die Bezahlung ist nicht immer hoch, dafür die Fluktuation.

Corporate Publishing hilft Unternehmen, mit den eigenen
Mitarbeitern und mit den Kunden und der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Es
ist ein Geschäft, das technisch hochmodern und sehr auf messbare Erfolge
ausgerichtet ist. Deshalb ist bei Territory viel Wissen darüber vorhanden, wie man auch
junge Menschen erreicht. Hier hätte Harzer-Kux dem NDR sicher helfen können,
und sie ist offenbar auch gut darin, ein finanziell nicht immer einfaches Geschäft
zu führen. Dem Rundfunkrat reichte das nicht.

Am Ende bleibt die Frage, wieso der NDR-Verwaltungsrat nach einem monatelangen Verfahren in Sandra Harzer-Kux
die beste Kandidatin sah? Ist der Posten einer Intendantin inzwischen so
unattraktiv, dass all diejenigen zögern, die wissen, was auf sie zukommt? Fast
scheint es so. Denn was in jedem Fall auf Intendanten wartet, ist kübelweise Kritik.
Das haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender aus vielen Gründen und über
Jahre verdient, aber es trifft jetzt auch diejenigen, die antreten, um die Institution
zu erneuern, jene, die wissen, dass die Sender mitten in einem Umbruch stecken
und noch über Jahre stecken werden, dass sie sich erneuern und dabei oft
schrumpfen müssen.

Der SWR-Intendant Kai Gniffke, der bis vor Kurzem für zwei
Jahre den Vorsitz in der ARD innehatte, wirkte am Ende seiner Amtszeit ziemlich
aufgeraut. Als der RBB in Berlin vor einiger Zeit einen neuen Intendanten
suchte, sagte mindestens ein Kandidat ab, weil ihm das Ausmaß des zu erwartenden
Stresses und der öffentlichen Schmähungen gepaart mit sinkenden Bezügen offenbar
nicht erstrebenswert genug erschien. Als die Intendantin des Bayerischen
Rundfunks wiedergewählt wurde, hagelte es Kritik. Und auch aus dem
Auswahlverfahren des NDR haben sich Kandidaten zurückgezogen.

Nun ist die Nichtwahl in Hamburg natürlich ein Eklat, aber
es ist gut, dass es ihn gibt. Der bisherige Intendant Joachim Knuth wird den Sender noch ein paar Wochen länger verwalten müssen, und das wird sicher geräuschlos geschehen. So hat der NDR-Rundfunkrat die Chance, eine neue Kandidatin oder einen Kandidaten zu suchen. Der Sender braucht einen Kopf, der weiß, in welche Richtung er schauen
muss.

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