Fußball ist wie Schach …

Schaun mer mal – der EM-Slowticker

Was passiert während der EM? Der Künstler Christoph Niemann und ZEIT-Redakteur Christoph Amend werfen ihren ganz eigenen Blick auf das Turnier.

26.914. Minute:

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Man hat ja so seine Vorurteile über die Freizeitbeschäftigung der Spielergeneration von heute, ständig an der Playstation daddeln und auf Instagram Stories posten. Dann aber erzählte Leroy Sané auf einer der vielen Pressekonferenzen, die zurzeit stattfinden, dass er an spielfreien Tagen gerne Schach gegen Jamal Musiala spiele, leider aber immer verliere. Daraufhin wurde der vom Spiegel gefragt, wie gut sein Schach sei. “Ich bin leider nicht mehr so gut wie früher in der Schule im Schachklub”, antwortete er mit der bekannten Musiala’schen Bescheidenheit. Ja, er habe einige Mal gegen Leroy Sané gespielt und auch gegen “Jo”, wie Joshua Kimmich unter Spielern offenbar genannt wird. Ob der auch beim Schach so ehrgeizig wie auf dem Platz sei, wollte das Magazin wissen. “Na ja, ich bin auf jeden Fall noch nicht gut genug, gegen ihn zu gewinnen.”

Cristiano Ronaldo wiederum gewinnt plötzlich Sympathien, weil er nach seinem verschossenen Elfmeter bitterlich geweint hat. Ging ja noch mal gut für Portugal. Wir wiederum haben den Verdacht, es könnte auch daran gelegen haben, dass sich sein Sohn im pinken Auswärtstrikot der Deutschen gezeigt hat, mit dem Adidas gerade so gute Geschäfte macht, dass es vielerorts ausverkauft ist.

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Und was machen die beiden deutschen Defensivhelden? Robert Andrich scheint weniger mit Schach seine Zeit zu verbringen als mit seinem Friseur, erst war er plötzlich blond, jetzt ist er pink. Seine Haare sind das Auswärtstrikot unter den Frisuren dieser Europameisterschaft. Der Abwehrchef Antonio Rüdiger wiederum hat der Bild verraten, wie er zu seinem Vornamen gekommen ist. Sein Vater ist großer Fan des spanischen Schauspielers Antonio Banderas, dem Zorro des modernen Hollywoods. Ob er am Freitag auch die Spanier das Fürchten lehren wird?

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Andererseits: Als Deutschland zuletzt ein Pflichtspiel gegen Spanien gewonnen hat, stand die Mauer noch. 1988, auch bei einer Europameisterschaft.

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Damals spielten Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann, Andreas Brehme und Jürgen Kohler.

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Und wer schoss die beiden Tore damals beim 2:0?
Natürlich Rudi Völler, heute Sportdirektor der Nationalmannschaft.

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Als Jo, pardon, Joshua Kimmich auf einer Pressekonferenz jetzt darauf angesprochen wurde, antwortete er jedenfalls: “Vielleicht können wir den Rudi ja einwechseln, ich frage ihn mal.”


25.701. Minute:

Der Turnierbaum. Was für ein schönes Wort, wie aus einem Märchen der Brüder Grimm. Und leider auch genauso brutal wie Hänsel und Gretel und Co. Denn jetzt geht das Rechnen los. Wird es wirklich zu einem deutschsprachigen Halbfinale, gar einem Finale kommen? Wie viele Eigentore braucht Frankreich noch, um weiterzukommen? Jetzt beginnt das Favoritensterben, und wir hier im Team des ZEIT-EM-Slowtickers hoffen, dass es wenigstens am Freitagabend zu einem märchenhaften Happy End kommt.

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24.324. Minute:

Deutschland verdankt seinen Sieg gegen Dänemark, abgesehen vom verteidigenden Akrobaten Antonio Rüdiger und vom nervenstarken Elfmeterschützen Kai Havertz, so objektiv müssen wir sein, auch dem Video Assistant Referee. Der VAR war nach dem Dortmunder Publikum diesmal der 13. Mann. Was Christoph N. natürlich zur Frage geführt hat, ob wir nicht alle einen VAR in unserem Leben brauchen, um unsere anderen täglichen Dispute zu klären.

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“Das Bad war nicht aufgeräumt!”

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“Die Pasta ist noch nicht al dente!”

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“Nie hörst du mir zu”

Auf die Entscheidungen des Allmächtigen im Viertelfinale gegen Spanien müssen wir noch bis Freitagabend warten. Und alle anderen Konflikte müssen wir wohl noch auf die traditionelle Weise lösen: Wenn die Pasta zu weich ist, hilft einfach mehr Soße.


© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

21.804. Minute:

Manchmal, wenn es schon sehr spät im Spiel ist, man liegt hoffnungslos zurück, die Performance ist eine einzige Enttäuschung, die Zuschauerinnen und Zuschauer verzweifeln, das eigene Team hat den Glauben an sich längst verloren, der Gegner spielt unfair, der Schiedsrichter schaut weg, in solchen Momenten hilft nur eins: den Joker einwechseln!


20.578. Minute

Und gestern Abend, heute Abend? Was soll man mit diesen plötzlich so fußballfreien Abenden jetzt anfangen? Etwa Freunde einfach so treffen, Brettspiele mit der Familie spielen? Zum Stammtisch gehen, mal wieder ins Theater? Christoph N. und ich haben uns das natürlich gefragt. Er hat dann eine Zeichnung geschickt.

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Ich habe laut gelacht. Aber versteht das irgendjemand unter 40 heute? Pepe, der portugiesische Abwehrspieler, mit 41 ältester Spieler des Turniers, vielleicht gerade noch. Aber was ist mit dem 16-jährigen Lamine Yamal, dem neuen Star der Spanier? Der würde uns ratlos anschauen wie der junge amerikanische Polizist, der vor Kurzem Justin Timberlake verhaftet – und nicht erkannt hat. Vielleicht funktioniert dieses Bild dann doch generationenübergreifender?

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Oder wir genießen jetzt einfach die Vorfreude aufs Wochenende, denn dann ist endlich jedes Spiel entscheidend. Keine 0:0s mehr, dafür bestimmt das eine oder andere Elfmeterschießen. Und das alles zur besten Familiensendezeit, mit Jung und Alt, ganz wie früher.

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16.976. Minute

Neues Spiel, neues Glück, diese unschuldige Vorfreude bei jedem Anstoß: Es ist, wie wenn man in der Eisdiele sitzt, und der frisch servierte Bananasplit steht noch unangetastet vor einem.

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Gestern gab es sogar zweimal zwei Spiele parallel, und besonders die Österreicher kamen immer wieder zurück, gewannen gegen die Niederlande, und als ich ihren jubelnden deutschen Trainer Ralf Rangnick sah, habe ich noch einmal verstanden, warum er dem FC Bayern vor einigen Wochen abgesagt hat. Nach seiner Arbeit für Hoffenheim, Leipzig und Salzburg wollte er endlich einmal erfolgreich sein – und ein beliebtes Team trainieren. Dann kamen die beiden Spiele am Abend.

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Christoph N. und ich schreiben uns seit Beginn der EM während der Spiele ständig Kurznachrichten, hast du das gesehen, habe ich das gerade richtig verstanden, können wir das für die Kolumne verwerten? Eingeschläfert vom Gekicke der Gruppe C (England, Dänemark, Slowenien, Serbien) wurden unsere Ideen auch immer uninspirierter. “Warum können sich die reichen Fußballclubs keinen ordentlichen Rasen leisten?” “Hatten die Spieler früher auch schon ständig Grashalme im Gesicht?” “Irgendwas mit den Moskitos im Deutschlandlager vs. den Hummeln auf dem dänischen Trikot?”

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Es wurde immer schlimmer, je länger die Spiele liefen. Die einzige spannende Frage an diesem entsetzlichen Fußballabend war, ob vielleicht ein Däne oder ein Slowene eine Gelbe Karte bekommen würde, wegen Fair Play, 2. oder 3. Platz, Sie wissen schon.

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Am Ende stand es überall 0:0. Und ich habe den Mut von Harry Kane bewundert, der nach dem Auftritt seines englischen Teams, we call it rumpelfootball, mate, heute auf Instagram postete: “Top of the group. Our best is still to come.” Die Kommentare unter diesen Sätzen können Sie sich ausmalen, ohne sie gelesen zu haben.

Für ein Sommermärchen jedenfalls reicht das nicht. Dieser Abend war der Frankfurter Rasen unter den Vorrundenspielen.

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15.540. Minute

Und dann weinte der Held, der keiner sein durfte, und es doch für immer bleiben wird. Luka Modrić hat am Montagabend in einem einzigen Fußballspiel durchgemacht, was andere nicht in einem halben Leben erleiden. 0:0 stand es zwischen seinen Kroaten und Italien, sein Team musste gewinnen, um das Achtelfinale sicher zu haben. Es gab Elfmeter – und ausgerechnet der erfahrene Modrić verschoss. Andere Spieler wären vielleicht an der Last, ihr ganzes Fußballland in die nächste Runde zu tragen, zusammengebrochen. Nicht aber er, der beste Spieler Kroatiens, er lief sich sofort wieder in Position, und unglaubliche 31 Sekunden später erzielte er in der 55. Minute das erlösende 1:0. Erlösend?

Unendliche acht Minuten gab der Schiedsrichter Nachspielzeit. Modrić, unter Applaus ausgewechselt, zitterte auf der Bank dem Ende entgegen, und dann traf Italien in der allerallerletzten Minute des Spiels. Aus, vorbei.

39 Jahre alt wird Luka Modrić am 9.9., er ist jetzt der älteste Spieler, der je bei einer Europameisterschaft ein Tor erzielt hat. Seit zwölf langen Jahren spielt er bei Real Madrid, vier Mal ist er spanischer Meister geworden, sechsmal hat er die Champions League gewonnen. Und doch weinte er gestern Abend, bis die Augen rot waren. Das Grausame am modernen Fußball sollte dann erst noch kommen. Die Uefa hatte ihn zum Man of the Match gekürt, man drückte ihm eine kleine Trophäe in die Hand, er schleppte sich zum offiziellen Fototermin. Auf dem Bild wird man in seinen ebenso roten wie leeren Augen für immer sehen, was der große, kleine Luka Modrić in den 98 Minuten dieses Unentschiedens, das zu einer Niederlage wurde, erlebt hat. Kaum war das Foto gemacht, verschwand er in den Katakomben des Stadions. Als er später gefragt wurde, wie es jetzt mit ihm weitergehe, ob er zurücktrete aus der Nationalmannschaft, gab er eine so wunderbar melancholische Antwort, dass man ihn als Fan dieses Sports einfach nur in den Arm nehmen wollte. “Ich würde mir wünschen, auf ewig auf dem Platz zu stehen”, sagte er. “Aber irgendwann muss ich aufhören.”

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

14.100. Minute

“Dass ich im Kopfball gut bin, das wissen wir”, hat Niclas Füllkrug nach seinem rettenden Tor gesagt und seine neue Rolle bei diesem Turnier unterstrichen: Er ist der erste Spielerkommentator des Profifußballs. Schon unmittelbar nach dem Spiel gegen Ungarn trat er mit seinem Handy vor die Kameras und zeigte den verdutzten Reportern eine Szene, in der er von einem gegnerischen Spieler geklammert worden war.

Ein Wermutstropfen des Abends war wiederum das Ausscheiden des Teams mit den sympathischsten Fans. Was soll nur ohne die Schotten aus dieser EM werden? Sie sind jetzt schon die Europameister der Ränge. Ich habe Christoph N. gefragt, ob man überhaupt irgendetwas Schlechtes zu den Schotten sagen kann. Seine einzige Beschwerde ist der Löwe auf dem Trikotwappen. Sie haben doch das einmalige Einhorn als Nationaltier! Warum nehmen sie nicht das? Der Löwe ist das banalste aller Maskottchen: Siebenmal ist er auf Nationaltrikots zu finden – 43 Prozent davon auf dem der Engländer.

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Ähnlich unoriginell ist nur der Adler (sechs Adler, mit insgesamt acht Köpfen).

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Die Schotten haben am Wochenende den Großraum Stuttgart eingenommen, wie Christoph N. dort beobachtet hat. Am Hauptbahnhof wurde herrlich getanzt und gesungen.

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Und selbst weiter draußen auf dem schwäbischen Land haben sie mit fröhlicher Gleichmut den Service der Deutschen Bahn ertragen.

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Christoph N. findet ja, dass die Georgier das beste Wappen des Turniers haben, mit Pferd, dem Heiligen Georg und Drachen. Vielleicht, dachten wir heute, könnten sie es ja zu Ehren der Schotten für ihr Spiel am Mittwoch gegen Portugal noch modifizieren?

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Die Deutsche Bahn wird übrigens gerade zum internationalen Meme. Der Guardian hat über das deutsche Team geschrieben, es sei gegen die Schweiz aufgetreten “wie einer ihrer Züge, strauchelte und stotterte, und war sogar von einer unplanmäßigen Umleitung bedroht”. Bis Niclas Füllkrug doch noch das Ticket für Platz eins löste, Bahn-like leicht verspätet in der 92. Minute.

9.780. Minute

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Das Schöne am Fußball ist ja eigentlich, dass es nur um Fußball geht, aber manchmal gibt es Momente, die gehen darüber hinaus. Wie heute Nachmittag, als die Ukraine, dieses Land, das seit über zwei Jahren vom übermächtigen Russland angegriffen wird, dessen Fußballheimspiele seitdem nicht mehr daheim stattfinden können, plötzlich endlich einmal jubeln durfte. Als ukrainische Fans heute in Düsseldorf zum Stadion gelaufen sind, haben einige von ihnen “Danke, Deutschland” gerufen. Und dann hat ihr Team auch noch gewonnen. Die Ukraine hat das Spiel, das lange nach einer Niederlage aussah, in den letzten Minuten gedreht.


9.660. Minute

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Ein Eigentor würde dem Spiel gut tun, aber was ist mit den armen Spielern? Man konnte nicht anders als Mitleid haben mit dem jungen Italiener Riccardo Calafiori, gerade einmal 22, dem Donnerstagabend in der 55. Minute der Ball nach einer scharf geschossenen spanischen Flanke erst ans Knie und dann ins Tor sprang. Es blieb der einzige Treffer des Spiels. Nach Abpfiff wurde Calafiori selbst von Spielern des gegnerischen Teams getröstet.

Unser Trost für ihn: Du bist nicht allein. Fünf Eigentore sind bereits gefallen in diesem Turnier, meistens trifft es die Innenverteidiger, deren Job es nun mal ist, nun ja, innen, also vor dem Tor, zu verteidigen und dann eben herumstehen, wenn der Ball angeflogen kommt. Antonio Rüdiger, Maximilian Wöber, Robin Hranáč und Klaus Gjasula, der sein Geld bei Darmstadt 98 verdient, sind auch im Team Eigentor, wobei letzterer immerhin auch noch entscheidend ins andere Tor traf und so seiner albanischen Mannschaft das Unentschieden rettete.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Vielleicht können es die vielen guten Innenverteidiger es andererseits als Kompliment betrachten, dass bei der EM so unglaublich viele und so unglaubliche schöne Fernschüsse fallen. Schon über ein Dutzend bereits. Die Schweizer Xherdan Shaqiri und Michel Aebischer! Die Türken Mert Müldür und Arda Güler! Und der Rumäne Nicolae Stanciu!

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Auch Deutschland traf schon aus der Ferne, Emre Can gegen Schottland. Als Jamal Musiala anschließend auf das Ballertor angesprochen wurde, sagte ausgerechnet er, der schönste aller Schönspieler: “Wir wollen nicht in Schönheit sterben.”

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Dann lieber Tore, Tore, Tore, egal wie, egal von wo. 2,61 sind bereits pro Spiel gefallen. Nahe dran am Turnierrekord. Für heute Abend träumen die Franzosen natürlich von Treffern von Kylian Mbappé, der nach seinem Nasenbruch auf Instagram eine Gesichtsmaske in den Nationalfarben gepostet hat. Die er aber nicht tragen darf, die Uefa schreibt Einfarbigkeit vor.

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Portugal hofft am Samstag auf Tore ihres ewigen Cristiano Ronaldo, und am Sonntagabend wird sich zeigen, ob und wenn ja, von wo die deutschen Spieler ihre Tore gegen die Schweiz erzielen werden. Wir hier vom EM-Slowticker der ZEIT würden es ja Leroy Sané besonders gönnen, der bislang als einziger stürmender Deutscher noch nicht so richtig angekommen ist im Turnier. Wie wäre es mit einem seiner berühmten, eleganten Sprints mit Ball über den halben Platz, ein Schuss in den Winkel, völlig losgelöst von der Erde?

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6.780. Minute

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Der bange Blick zum Himmel heute, kennen sich Wettergott und Fußballgott eigentlich? Und wie verstehen die sich so?

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In Dortmund haben sie ja gestern das Wasser mit Besen weggekehrt. In Stuttgart, wo Deutschland heute auf Ungarn trifft, soll die Sonne scheinen.

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Andererseits: Wenn Deutschland auf Ungarn trifft, wäre da dem Fritz sein Wetter gar nicht schlecht? Wie vor 70 Jahren, als im WM-Finale, wie der Radiokommentator Herbert Zimmermann damals so eindrücklich schilderte, das Wetter auch nicht besser war: “… im Wankdorf-Stadion in Bern, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder.”

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Für heute Abendwünschen wir uns jedenfalls, frei nach Herbert Zimmermanns legendären Worten: “Mittelstädt – nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Wirtz schießen – Wirtz schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!”

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5.100. Minute

Frankreich hat gewonnen, aber am Ende Kylian Mbappé mit gebrochener Nase verloren. Er will jetzt mit Maske spielen, hat er aus dem Krankenhaus ausrichten lassen. So werden Superhelden geboren.

Die Belgier hätten in der zweiten Hälfte gegen die Slowakei wohl besser ihren neuen Auswärtslook angezogen, hellblaues Trikot, braune Hosen und weiße Stutzen, um sich die Superpower von Tintin auszuleihen, ihrem Comicnationalhelden. In Deutschland ist Tintin bekannt als Tim (und Struppi), erfunden und gezeichnet wurde er von Hergé. Tintin ist hauptberuflich Reporter, der aber so gut wie nie zum Schreiben kam, weil er sich ständig aus brenzligen Situationen befreien musste – das hätten die Belgier gut gebrauchen können. So aber kam’s zum 0:1.

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Die Albaner hingegen haben zwar auch knapp verloren gegen Italien, setzen aber den ersten Modetrend des Turniers. Sehen sie mit ihren hochgezogenen Strümpfen nicht unglaublich aus wie Elastigirl, die Superheldin von den Incredibles?

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Die Löcher in den Socken, die zurzeit überall zu sehen sind, hinterlassen
selbst mit Nachtreten nicht wirklich einen superheldenhaften Eindruck.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE, Foto: Stuart Franklin/​Getty Images

Polens Trainer Michał Probierz hofft jetzt sportlich im zweiten Spiel
auf den ersten Einsatz seines Superstars Robert Lewandowski, modisch ist
er selbst ein Gewinner, eine Mischung aus Sherlock Holmes und Dr.
Watson.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE, Foto: Carmen Jaspersen/​Reuters

Nur ausgerechnet der italienische Trainer Luciano Spalletti aus dem Land von Armani und Prada ist mit dem viel zu großen Schriftzug auf seiner Jacke der Gru der EM.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE, Foto: Piroschka Van de Wouw

Und was können wir von der Slowakei lernen, der ersten
Überraschungsmannschaft, die gegen Belgien gewonnen hat? Also rein
modisch betrachtet? Weiße Trikots, weiße Hosen, weiße Stutzen, ohne
jeden Firlefanz, Mode kann so einfach sein.


780. Minute

5:1. Wann hat es das jemals gegeben bei einem EM-Spiel der deutschen Mannschaft? Genau: nie. Bis gestern Abend. Wirtz, Musiala, Havertz, Lücke, Can. Sogar das Eigentor haben die Deutschen geköpft. Leichte 7:1-gegen-Brasilien-Vibes, aber wir wollen ja nicht übertreiben. Christoph N. jedenfalls hat sich bei einem morgendlichen Spaziergang heute von der Aufregung erholt und sich an Details der römischen Architektur erfreut.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE
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0. Minute

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Christoph N. ist gerade in Rom und hat als knallharte Vorrecherche eine
Sammelbilderpackung gekauft. Und welchen Spieler hat er als Erstes aus
der Tüte gezogen? Loïc Nego, 33, ungarischer Nationalspieler. Was für
eine europäische Biografie: Er ist in Paris geboren, seine Familie kommt
ursprünglich aus Guadeloupe, heute ist er bei Le Havre unter
Vertrag. Er hat schon in Italien, Belgien, England und einige Jahre in
Ungarn gespielt, ausgerechnet dort hatte er seinen Durchbruch und wurde
2019 eingebürgert. Bei Fußballprofis geht das selbst in Ungarn
erstaunlich schnell. Seitdem spielt Loïc Nego für die ungarische
Nationalmannschaft. Welche Rolle wird er bei der EM spielen? Vor allem
im Vorrundenspiegel gegen Deutschland? Wir werden es beobachten und
weiterhin die Sammelbilderumsätze in die Höhe treiben.

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

0. Minute

Vielleicht wird es ja wirklich eine EM der Duos. Werden Wirtz und
Musiala die neuen Poldi und Schweini, die wiederum die neuen Litti und
Icke waren? Schützt Bodyguard Andrich den Gentleman Kroos? Wird ter
Stegen Neuer die Daumen drücken, dass er im Tor bitte keine Fehler macht
wie so oft zuletzt? Lässt Mittelstädt dem anderen Linksverteidiger, ähm
ja, genug Raum? Findet sich der volksnahe Fülle damit zurecht, dass er
der Reservespieler für den eher reservierten Kai Havertz ist? Wird
Thomas Müller für Julian Nagelsmann der beste Co-Trainer, der nebenbei
auch im Kader steht? Und würde Nike Adidas einen Titelgewinn des
deutschen Teams gönnen? Besingen die Fans im Stadion Peter Schilling und
seinen Major Tom?

© Christoph Niemann für ZEIT ONLINE

Wir zwei Christophs werden diese EM wie so
viele große Turniere zuvor gemeinsam und getrennt verbringen, vor dem
Fernseher, am Laptop und am Handy, wo auch immer wir gerade sind, nur
diesmal zeichnend und schreibend. Und jetzt schon ahnend, dass mit dem
ersten Anpfiff wie immer alles anders werden wird als erwartet. Das
Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland heute Abend wird übrigens
im Zweiten übertragen.



Der Artikel wird fortlaufend aktualisiert.

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