Er ist ehemaliger Präsident der Ukraine, gilt als Erzfeind des aktuellen Staatschefs Wolodymyr Selenskyj: Petro Poroschenko regierte von 2014 bis 2019 das Land, ist als Anführer der größten Oppositionspartei unter Sanktionen gestellt. Er darf nicht mehr aus dem Land ausreisen, hat keinen Zugriff mehr auf sein Vermögen (besitzt unter anderem den Schoko-Konzern Roshen).
Die Gründe dafür: bislang im Dunkeln. Spekuliert wird, dass es um „Hochverrat“ gehen soll. Oppositionelle wittern dagegen eine politisch motivierte Kampagne von Selenskyj, um einen politischen Konkurrenten mundtot zu machen.
Im exklusiven BILD-Interview erhebt Poroschenko jetzt schwere Vorwürfe gegen Selenskyj.
„Werden nicht zulassen, dass in der Ukraine eine Diktatur entsteht“
Poroschenko sagte in einem Interview am Montag in Kiew über Selenskyj zu BILD: „Er ist ein unglücklicher Anführer eines Teams, das die Nation in Richtung Diktatur bewegt. Aber die Ukraine ist nicht Russland, und wir werden nicht zulassen, dass in der Ukraine eine Diktatur entsteht. Das ist der große Unterschied.“ Er bezeichnete die Sanktionen gegen sich und seine Partei als „Angriff auf die Freiheit und Demokratie“.
Poroschenko weiter: „Das ist auch ein Angriff auf unsere europäische Zukunft, denn die Rechtsstaatlichkeit, die jetzt brutal verletzt wird, ist entscheidend für unsere europäische Integration.“
Auf die Frage, warum er unter Sanktionen steht, hat Poroschenko keine Antwort. „Ich bin der einzige politische Anführer, der einzige Oppositionsführer, ohne jegliche Erklärung. Es ist verfassungswidrig, was hier passiert, es ist illegal, es gibt keine Gerichtsentscheidung. Das ist einfach eine sehr dumme, illegale, kriminelle Verletzung des Gesetzes.“
Ein Sprecher von Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte nicht auf mehrere Anfragen von BILD.
„Der Diktator ist Putin“
Poroschenko sagte, dass er davon ausgeht, dass Selenskyj die aktuelle politische Situation fürchtet. Deshalb wolle er „alle Konkurrenten (…) loswerden“.
Auf die Frage von BILD, ob US-Präsident Donald Trump (78) mit Teilen seiner Vorwürfe gegen Selenskyj und die Ukraine recht habe, sagte Poroschenko: „Ich kann es so sagen: Wenn Sie mich nach einer Diktatur fragen, dann ist die Antwort klar – der Diktator ist Putin. Aber es ist absolut inakzeptabel, wenn sich die Ukraine an die Grenzen der Demokratie und der Freiheit bewegt, wenn Angriffe auf die lokale Selbstverwaltung erfolgen, wenn der Oppositionsführer illegal und verfassungswidrig angegriffen wird. Das muss sofort gestoppt werden. Nicht, weil es um mich geht, sondern weil wir die Einheit bewahren müssen. Und Einheit ist ein entscheidender, sehr starker Faktor, um Putin zu stoppen.“
Derzeit könne er nicht als Parlamentarier auftreten. „Ich kann keine Treffen mit meiner Schwesterpartei abhalten, nicht nach Deutschland reisen, nicht an der politischen Versammlung des Europäischen Volksparteikongresses teilnehmen.“
„Trump vertraut Putin nicht“
Poroschenko sprach in dem Interview mit BILD auch über die derzeitigen Verhandlungen für einen Waffenstillstand.
Er geht davon aus, dass es nur in den nächsten zwei bis drei Monaten die Chance auf einen Waffenstillstand gibt. „Entweder passiert es oder nicht. Wenn es nicht innerhalb von zwei oder drei Monaten passiert, dann passiert es überhaupt nicht.“
Der Ex-Präsident verlangt einen Plan B für den Fall, dass es keine Lösung gibt. „Wenn Putin Bedingungen, Vorbedingungen, Ablehnungen, Verweigerungen und alles andere stellt, dann erwarte ich einen Plan B von Präsident Trump. Und Plan B sollte sein: erstens mehr Waffen für die Ukraine; zweitens mehr Sanktionen gegen Russland; drittens die transatlantische Einheit erneuern; viertens finanzielle Unterstützung; fünftens: die Möglichkeit eines Nato-Beitritts.“
Auf die Frage von BILD, wie er damit umgehe, dass Trump öffentlich sagt, er vertraue Putin, entgegnete Poroschenko: „Das ist nur Trumps Verhandlungsstil. Ich bin absolut zuversichtlich, dass Trump Putin nicht vertraut. (…) Ich habe drei Jahre lang mit Trump zusammengearbeitet. Ich kenne Präsident Trump, und das ist sein Ansatz.“
„Wir müssen sofort aufhören, Menschen zu verlieren“
Über die genauen Inhalte der früheren Gespräche von Poroschenko mit Trump über Putin wollte der Ex-Präsident nicht ins Detail gehen, sagte aber: „Ich bin nicht sicher, ob ich das Recht habe, darüber zu sprechen und dies offenzulegen, aber ich habe den vollen Eindruck, dass er Putin nicht vertraut.“
Zuletzt hatte es Berichte gegeben, dass Trump einen Rücktritt von Selenskyj will. Auch BILD hatte darüber berichtet. Poroschenko sagte dazu: „Das ist nicht Trumps Entscheidung. Wer der Anführer der Ukraine sein wird, ist eine Frage für das ukrainische Volk. (…) Wissen Sie, was Selenskyj in seinem Wahlprogramm im Jahr 2019 gesagt hat? Er sagte: ‚Ich werde nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren. Ich höre nach der ersten Amtszeit auf.‘ Wenn das sein direktes Versprechen ist, warum sollte ich dann meine eigene Meinung dazu äußern? Ich verlasse mich auf ihn.“
Poroschenko sprach in dem Interview auch über die schweren militärischen Verluste, die die Ukraine derzeit zu verzeichnen hat. Zuletzt geriet die ukrainische Armee vor allem in der Region Kursk in Russland unter Druck, musste sich dort teilweise zurückziehen. Poroschenko: „Meine Botschaft ist folgende: Wir müssen sofort aufhören, Menschen zu verlieren, und sofort aufhören, Gebiete zu verlieren. Und wir müssen sofort aufhören, Zeit zu verlieren.“
„Wir sollten das Wort ‚Offensivoperation‘ vergessen“
Tatsache ist, dass den Ukrainern in vielen Frontabschnitten auch Soldaten fehlen. So klagen viele Rekruten darüber, dass sie kaum Pausen bekommen, weil es zu wenig einsatzfähige Soldaten gibt.
Poroschenko sagte über den Personalmangel: „In dieser Situation brauchen wir keine zusätzlichen Soldaten. Wir haben genügend Leute. Wir haben nicht genug für Sturmoperationen an der direkten Frontlinie. (…) Wir müssen Befestigungen aufbauen. Wir müssen uns um das Leben jedes einzelnen Soldaten kümmern. Wir sollten das Wort ‚Offensivoperation‘ vergessen. Hört auf damit. Hört auf, Menschen zu töten. Stoppt es! Versucht, die russischen Truppen zu stoppen. Die Verteidigung des Territoriums hat oberste Priorität. Nutzung von Befestigungen, Minenfeldern, modernster Luftabwehr gegen gelenkte Bomben. All diese Maßnahmen können Russland stoppen und sie zwingen, einen höheren Preis zu zahlen.“