Es gibt keinen Putin light

30 Tage Waffenruhe entlang der ganzen Front, ohne Vorbedingungen: Mit einem Angebot, das einfacher gedacht kaum sein kann, wollten die USA die Friedensbereitschaft der Ukraine und Russlands testen. Die Ukraine ging, wohl auch unter Druck der zeitweise ausgesetzten US-Unterstützung, darauf ein. Russland nicht: Wladimir Putins „Ja, aber“ vom Donnerstagabend war kaum mehr als eine verklausulierte Ablehnung der US-Initiative. Denn hinter dem Aber folgten Bedingungen, die für die Ukraine inakzeptabel wären: keine Waffenlieferungen, keine Mobilmachung. Während Russland selbst weiter Panzer baut und bis zu 1.000 Soldaten pro Tag rekrutiert.

Der US-Präsident hatte darauf keine unmittelbare Antwort. Man erhalte „positive Signale“ aus Moskau, sagte Donald Trump. Am Tag darauf schrieb er auf Truth Social, es habe „sehr gute und produktive Gespräche“ mit Putin gegeben, mutmaßlich mit Bezug auf das Treffen seines Gesandten Steve Witkoff mit dem russischen Staatschef.  

Gleich mehrere Berichte sprechen jedoch, ebenso wie Putin selbst, eine andere Sprache. Sie stammen aus den Tagen vor der Verkündung des Waffenruhevorschlags, sind aber dennoch aktuell. Sogar dann, falls sich Putin doch noch zu der vorübergehenden Kampfpause überreden lassen würde.

Besonders weitreichend sind angebliche russische Leitlinien für Verhandlungen, über die am Donnerstag die berichtete. Sie stünden in einem Strategiepapier, das von einem dem russischen Geheimdienst FSB nahestehenden Thinktank im Februar geschrieben worden sei. Das Dokument soll für die russische Regierung erstellt, von einem nicht genannten europäischen Geheimdienst erlangt und von der eingesehen worden sein. Die US-Zeitung veröffentlichte dessen Wortlaut nicht. Doch ihrer Zusammenfassung zufolge skizziert es eine russische Maximalposition für Friedensverhandlungen, die auf eine faktische Unterwerfung der Ukraine hinausläuft. Die Forderungen, die Russland demnach aufstellen soll, seien:

  • der Ausschluss jeglicher ausländischer Friedenstruppen auf ukrainischem Gebiet zur Absicherung eines Waffenstillstands
  • die völkerrechtliche Anerkennung der kompletten Gebiete Krim, Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als Teil Russlands
  • die Einrichtung einer „Pufferzone“ im Nordosten der Ukraine, angeblich zum Schutz der russischen Grenzgebiete
  • eine demilitarisierte Zone in der Südukraine, die auch die Region Odessa betreffen soll – also den strategisch wichtigen ukrainischen Zugang zum Schwarzen Meer
  • ein Ende der US-Waffenlieferungen an die Ukraine
  • die „komplette Demontage“ der derzeitigen ukrainischen Regierung

Das sind Forderungen, die niemand benötigt, der sich nicht zumindest die Option eines zweiten Angriffs auf ein stark geschwächtes Land vorbehalten will. In dem Strategiepapier wird das laut der kaum verborgen: Sollte die Ukraine die russischen Eroberungen nicht anerkennen, wäre ein Wiederaufflammen der Kämpfe in einigen Jahren wahrscheinlich, „zum Beispiel nach dem nächsten Regierungswechsel in den USA“.

Der Ukraine ist das bewusst. Zwar erkennt ihre Führung längst die Realität an, dass sich die russisch besetzten Gebiete mit militärischen Mitteln derzeit nicht zurückerobern lassen. Als „rote Linie“ bezeichneten ukrainische Amtsträger aber etwa deren völkerrechtliche Anerkennung als russisches Gebiet: Das sei ein Ende jeglicher Möglichkeiten, mit einem künftigen russischen Regime über die Regionen verhandeln zu können. Auch eine Demilitarisierung schließt die Ukraine aus.

Entscheidend ist für Russland aber die Haltung der USA. Deren Regierung soll dem Dokument zufolge mit einer Reihe von Maßnahmen überredet werden, die russische Position zu akzeptieren. So werde der russischen Führung empfohlen, die diplomatischen Kontakte zu den USA wieder auszubauen (worauf sich Russland und die USA kurz nach Erstellung des Dokuments Mitte Februar in Saudi-Arabien bereits geeinigt haben) und Trump Geschäfte mit ukrainischen Rohstoffen in besetztem ukrainischen Gebiet anzubieten (ebenfalls bereits von Putin öffentlich vorgeschlagen). Für ein Ende der US-Waffenlieferungen an die Ukraine könne den USA angeboten werden, dass Russland seine eigenen Waffenlieferungen an Gegner der USA einstellt. Um wen es dabei geht, ist unklar – doch im vergangenen Jahr soll Russland etwa die Huthi-Miliz mit militärisch relevanten Aufklärungsdaten versorgt haben.

Europa spielt, das fällt ebenfalls auf, keine Rolle. Die FSB-nahen Strategen empfehlen dem Bericht zufolge, Spannungen zwischen den USA und China sowie zwischen europäischen Ländern und den USA zu befeuern. Unklar bleibt, wie das geschehen soll – wobei Trump in dieser Hinsicht, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben, keine russische Hilfe benötigt. Sanktionen spielen ebenfalls keine Rolle – die einzige Drohung, die Trump bislang gegen Russland ausgesprochen hat. Ihre Wirkung auf die russische Wirtschaft sei „überbewertet“, ihr Abbau sei keine Zugeständnisse wert. Auch zum Zeitplan möglicher Friedensverhandlungen enthält das Dokument laut der eine klare Aussage: Frieden sei vor 2026 nicht zu erreichen.

Es sei unklar, zitiert die Zeitung russische Diplomatenkreise, inwiefern sich die Führung an solchen Papieren wirklich orientiert. Doch das Dokument reflektiere die „allgemeine Stimmung in Moskau“.

Und offenbar nicht nur dort. In einem weiteren, am Donnerstag veröffentlichten Bericht zitiert dieDokumente von US-Geheimdiensten, wonach Putin die klare Absicht habe, den Krieg bis zum Sieg fortzuführen. Demnach rückt der russische Präsident bislang nicht von seinem Ziel – der Kontrolle über die Ukraine – ab. Im Fall einer Waffenruhe wäre eine von Russland kreierte „Provokation“ für neue Kämpfe wahrscheinlich. 

Weiß das auch der US-Präsident? Dem Bericht zufolge ist unklar, ob Trump mit dieser Einschätzung seiner eigenen Geheimdienste konfrontiert wurde. Die Zeitung zitiert eine mit deren Inhalten vertraute Quelle, wonach es sich um eine Art von Dokument handelt, die US-Präsidenten „traditionell“ vorgelegt wird. Viel sagt das in diesen Tagen nicht aus.

Trumps bisheriger Kurs – und seine freundliche Reaktion auf Putins Ablehnung einer Waffenruhe – lässt vermuten: Der US-Präsident tut weiterhin so, als habe er es mit einem friedensbereiten „Putin light“ zu tun. Damit folgt er, wenngleich in stark überdehnter Weise, der Hoffnung seiner Vorgängerregierung. Die hatte Putin zwar anders als Trump nicht den roten Teppich ausgerollt. Aber mit Ausnahmen von Sanktionen, Reichweitenbeschränkungen für bestimmte Waffen und ähnlichen Maßnahmen baute sie Putin zahlreiche Brücken – und ignorierte, dass er sie, eine nach der anderen, demonstrativ einriss.

Russische Amtsträger verweisen immer wieder darauf, dass sich der „Ukrainekonflikt“ nur lösen lasse, wenn dessen „ursächliche Gründe“ gelöst würden. Gemeint ist damit der Weg der Ukraine zu einem demokratischen, in Nato und EU eingebetteten Staat, ein Weg, den Russland unermüdlich zu unterbinden sucht – wenn nötig, durch Krieg. Ein Krieg, der laut dem russischen Ex-Diplomaten und Analysten Alexander Baunow für Putin längst zum Selbstzweck geworden sei: Putin habe sich längst an Kriegswirtschaft, Legitimation durch äußere Bedrohungen und den Status eines Eroberers angeblich historisch russischer Territorien gewöhnt. „Ein Ende der Feindseligkeiten würde Putin der Mission seines Lebens berauben“, schreibt Baunow. 

Die „ursächlichen Gründe“ des Konflikts wären in diesem Fall ganz andere. Doch solange die relevanten westlichen Akteure auf einen kompromisswilligen Putin hoffen, unter Ignoranz dessen, dass es ihn nicht gibt, folgen sie dem Drehbuch des echten Putin. Juri Uschakow, langjähriger außenpolitischer Berater des russischen Präsidenten, bezeichnete die Idee einer vorübergehenden Waffenruhe als „Imitation“ eines Friedensprozesses, die keiner brauche. Er hat, wohl unfreiwillig, recht.



Das Zitat: Lukaschenko spricht es aus

Donald Trumps bisherige Strategie, um den Krieg zu beenden: Druck auf die Ukraine und Zugeständnisse an Russland. Sollte Letzteres Putin nicht friedenswillig stimmen – wie es bisher den Anschein hat – wäre das „ein enttäuschender Moment“, sagte Trump am Donnerstag: „Hoffentlich tun sie das Richtige.“ Doch hat der US-Präsident auch einen Hebel, um Druck auf Putin auszuüben? Eine entsprechende Frage beantwortete Trump nur vage: „Ich habe Hebel, aber ich will jetzt nicht über Hebel reden“, sagte er. Die Statements aus Moskau vom Donnerstag bezeichnete er als „ziemlich positiv“. 

In Moskau traf sich Putin währenddessen mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. In einem Interview im russischen Staatsfernsehen legte dieser seine Sicht auf Trumps Planung in sehr direkten Worten dar:


Die wichtigste Meldung: Ukraine verlässt Kursk

Der Einmarsch der Ukraine in das russische Grenzgebiet Kursk ist nahezu vorbei. Im August vergangenen Jahres besetzten ukrainische Truppen in einer überraschenden Offensive binnen weniger Tage ein Gebiet von mehr als 1.000 Quadratkilometern um die Grenzstadt Sudscha herum. Einen Monat später ging Russland in den Gegenangriff über und hinderte die Ukraine daran, ihre Flanken in dem Gebiet zu sichern. Das ukrainisch kontrollierte Gebiet, das zeitweise bis zu 25 Kilometer nach Russland hineinragte, wurde immer schmaler – und damit immer schwerer zu verteidigen.

In Kursk kämpften die ukrainischen Soldaten von Anfang an unter schweren Bedingungen: Nur zwei Straßen, die aus der an Kursk grenzenden ukrainischen Region Sumy nach Sudscha führten, dienten als Versorgungswege. Seit Jahresanfang rückte Russland, das zur Rückeroberung des Gebiets Zehntausende Soldaten in Kursk versammelte, immer näher an sie heran und nahm sie unter Beschuss. Beobachter wie das finnische Analystenteam Black Bird Group bezeichneten die Versorgungswege als „Todeszone“.

Vergangene Woche gelang Russland dann der entscheidende Schlag: Russische Truppen trennten das von der Ukraine gehaltene Gebiet nahezu in zwei Teile und zwangen die ukrainischen Soldaten zum Abzug, der nötig wurde, um nicht eingekreist zu werden. Zudem besetzte Russland erstmals seit 2022 mehrere ukrainische Dörfer an der Grenze zwischen Kursk und Sumy. Aus Sorge vor einem weiteren Vorrücken in die Ukraine wird das ukrainische Grenzgebiet nun evakuiert.

Der Angriff in Kursk sollte nach ukrainischen Aussagen vom vergangenen Jahr eine Pufferzone zum Schutz gegen Beschuss aus dem Gebiet schaffen und russische Elitetruppen dort binden, um ihren Einsatz im Donbass zu verzögern. Außerdem sollte so ein Faustpfand geschaffen werden, das in Verhandlungen gegen ukrainisches Gebiet getauscht werden könnte. Letzteres wird nun nicht mehr gelingen. 

Ob sich die Offensive für die Ukraine gelohnt hat, kann auch in anderer Hinsicht bezweifelt werden: Mit jeweils 600 bis 700 verlorenen Militärfahrzeugen liegt das Verlustverhältnis der beiden Kriegsparteien in Kursk bei etwa eins zu eins – im Gegensatz zu einem Wert zwischen eins zu zwei und eins zu drei zugunsten der Ukraine, wie es in den meisten anderen Frontabschnitten der Fall ist. Obwohl mehrere russische Eliteverbände tatsächlich in Kursk gebunden waren, musste auch das ukrainische Militär einige seiner bestausgerüsteten Einheiten in dem Gebiet einsetzen, statt an der Front innerhalb des eigenen Landes.


Waffenlieferungen und Militärhilfen: Bomben und Artillerie

  • Ein Hilfspaket im Wert von fast 200 Millionen Euro aus Frankreich umfasst laut dem französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu neben Artilleriemunition auch Lenkbomben für die kürzlich an die Ukraine ausgelieferten Mirage-Kampfjets. Das Paket wird aus Zinsen auf eingefrorene russische Vermögenswerte finanziert.
  • Schweden hat der Ukraine 18 weitere Artilleriesysteme des modernen Typs Archer zugesagt – mehr als doppelt so viele, wie das Land bisher an die Ukraine lieferte. Auch kündigte Schweden die Lieferung von fünf Radaren an, die gegnerische Artillerie lokalisieren können.
  • Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, wollen die USA der Ukraine wieder GLSDB-Bomben liefern. Dabei handelt es sich um Gleitbomben, die mit einem Raketenantrieb versehen sind und bis zu 150 Kilometer weit fliegen können. Vor einem Jahr hatte die Ukraine die Waffe erstmals erhalten, allerdings erwies sie sich als anfällig für russische Störsignale. Inzwischen sei das behoben worden.

Unterm Radar: Technologietransfer in die USA

Die sicherste Waffe der Ukraine sind Drohnen. Sie prägen nicht nur das Schlachtfeld – nach Schätzungen von Offizieren entfällt mehr als die Hälfte der Verluste auf ihren Einsatz –, sondern machen sie das Land auch ein Stück weit unabhängig von westlichen Waffenlieferungen. Denn 90 Prozent ihrer Drohnen baut die Ukraine selbst. Zwei Millionen waren es im vergangenen Jahr, in diesem sollen es doppelt so viele werden.

In den USA werden hingegen maximal 100.000 militärisch verwendbare Drohnen pro Jahr gebaut, berichtet das (WSJ) Unter Berufung auf Start-ups und das US-Verteidigungsministerium schreibt die Zeitung, dass die USA der Ukraine beim Drohnenbau nicht nur hinsichtlich der Zahl, sondern auch der Qualität unterlegen seien. Die US-Drohnen, die an die Ukraine geliefert worden seien, seien teuer und ineffektiv gewesen. Ähnliche Einschätzungen tauchten auch in früheren Berichten auf.

Dementsprechend versucht die US-Industrie dem WSJ zufolge, von der Ukraine zu lernen. Mehrere Hersteller wollen demnach ihre neuesten Modelle in dem Land testen. Auch wollten sie mit ukrainischen Herstellern Gemeinschaftsunternehmen bilden, während die ukrainischen Firmen ihrerseits interessiert daran seien, ihre Drohnen nach dem Krieg zu exportieren. Eine Hürde für die strategische Zusammenarbeit sei jedoch das schlechte Verhältnis der Trump-Regierung zur ukrainischen Führung. Ob es bald zu einem Export ukrainischer Drohnen in die USA komme, wollte das ukrainische Ministerium für strategische Industrien auf Anfrage des WSJ nicht beantworten.


Über den Tellerrand: Russische Finanzen und öffentliche Meinung

  • : Die russische Wirtschaft hat den westlichen Sanktionen weitgehend standgehalten. Warum eine Bankenkrise dennoch möglich ist, beschreibt das exilrussische Investigativportal
  • : Das Portalwirft mithilfe von Umfragewerten einen Blick auf die Reaktionen von Russen und Ukrainern auf die russlandfreundliche Rhetorik Donald Trumps.

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