Was ist eigentlich Kultur, Franz Schuh?

Jüngst spielte ich das Spiel, das
alle Menschen spielen – das „Wer bin ich?“-Spiel. Da fiel mir das verkrampfte
Wort Kulturschaffender ein. Ja, ich bin ein Kulturschaffender. Was „die
Kultur“ ist, weiß man zum Glück nicht so genau. Ein französischer Spötter hat
sie „das Ganze als Rest“ genannt, und das ist eine lustige Umschreibung für das
Nichts. Am liebsten habe ich das Wort Kultursommer, denn im Kultursommer bin
ich auf Urlaub und kann im Hochgebirge jeder Kultur aus dem Wege gehen. Am
Traunstein oben tausche ich die Kultur einfach gegen die Natur aus!

Vor mir war am Traunstein schon Herbert Kickl. „U. a.“ muss
man sagen, was „und andere“ heißt. Ich bin ja auch Rechtswissenschaftler, in
dem Sinne, dass ich – sine ira et studio – studiere, was die Rechten so
treiben. Die sind manchmal, ob in der Stadt oder auf dem Land oder in den
Niederungen oder auf der Höhe, ziemlich hinterwäldlerisch. Der Volkskanzler,
derzeit noch ohne Partner für die Machtergreifung, schwärmt von seinem
Österreich als einer Familie: „Die Familie Österreich“, sagt er wahlwerbend, „mit
einem freiheitlichen Kanzler als guten Familienvater soll aufblühen und ihr
Potenzial entfalten können in der Festung Österreich, der Festung Freiheit.“

Die Familialisierung der Politik, an der Österreich längst
schon leidet, ist in der Propaganda ein Täuschungsmanöver über die beinharte
gesellschaftliche Realität. Es geht in der Familialisierung um die rhetorische
Rückentwicklung von Gesellschaft in Gemeinschaft. Das funktioniert in der
„komplexen Gesellschaft“ nicht. Es gaukelt bloß eine Illusion von
Zusammengehörigkeit vor, die nicht mehr wahr werden kann, auch weil ein Kickl
der Erste ist, der alles, was nicht auf ihn hört, auf seine Fahndungsliste setzt.

Über einen Volksgenossen will ich nicht persönlich werden.
Aber Kickl als Familienvater? Der Mann wirkt eher wie ein kleiner Bruder, wie
eine Art von braunem Schaf der Familie, über den man sich nicht besonders
freut, wenn er zu Weihnachten auch am Tisch sitzt. Gewiss, da gibt es Familien,
die sich sehr auf ihn freuen, aber zu denen kommt er ja nicht.

Man darf daran erinnern, dass seine 30 Prozent nicht „das Volk“
sind, sondern ein Teil. Nicht einer Familie, sondern ein Teil einer größeren
Gruppe von Wahlberechtigten. Er dürfte seine Wähler, vielleicht nicht zu
Unrecht, für ein bißl deppert halten: Das mit „Festung Österreich“,
gleichgeschaltet mit „Festung Freiheit“, ist ein allzu leicht durchschaubarer
propagandistischer Trickbetrug: Es geht dem Volkskanzler um Österreich als
Festung, aber das klingt in den Ohren der normalen Leute, der Bürgerlichen, die
man als deren Sprachrohr ansprechen will, sehr nach dem, was es ja wirklich
ist, nämlich nach Isolation und Eingesperrtsein. Daher packt man die Freiheit
in die Festung, und alles wird gut.

Als Kulturmarxist ist für mich die Kultur, wie man es früher
gesagt hat, der Überbau, der zugleich seine eigene Basis bildet. Man kann das
auch altmodisch „Kulturindustrie“ nennen, jedenfalls ist „die Kultur“ ein
Geschäftszweig, der allerdings der Unterstützung des Staates bedarf, weil der
Markt allein das rege kulturelle Treiben nicht alimentiert. So wird aus dem
Staat über Nacht auch ein Kulturstaat. Gewiss, Goebbels verstand darunter etwas
ganz anderes als jeder Kulturpolitiker heute.

Heute kann die Kulturpolitik so aussehen, wie sie der
Bürgermeister von Linz aussehen lässt: Der schickt einem Haberer die
Prüfungsunterlagen für einen Topjob, und als der Haberer auch juristisch
verhaltensauffällig wird, weiß der Bürgermeister nichts mehr von der
Verhaberung.  

Das ist sie, die Omer­tà, die Familie, die uns in den
verschiedensten Verwandtschaftsgraden regiert, und zwar ganz parteiunabhängig.
Über alle dem könnte ja auch der Schlaucherlsatz des guten Familienvaters Kickl
stehen: Man könne Teil des Systems sein, ohne sich diesem anzupassen.
Aber ja, man kann profitieren, ohne loyal zu sein. Diese Freiheit hat man, bis
dann die illiberale Demokratie kommt, in der nur profitiert, wer loyal ist.

Aber Gott sei Dank, die Linzer SPÖ hat sich „geschlossen“
hinter ihren Bürgermeister gestellt, der hat doch nur gelogen und ist
blöderweise dabei erwischt („überführt“) worden, wofür er sich doch eh
entschuldigt hat. So einem Mann spricht man doch gleich „einstimmig das
Vertrauen“ aus. Man gibt ihm Rückendeckung und kehrt ihm nicht den Rücken zu.
Spät, aber doch sprach der Parteivorsitzende der SPÖ goldene Worte: „Ich
fordere Klaus Luger dazu auf, seine Funktion als Parteivorsitzender
der SPÖ Linz mit sofortiger Wirkung zurückzulegen … Ich bin angetreten für eine
neue Sozialdemokratie. Als Bundesparteivorsitzender heißt das für mich, klare
Konsequenzen einzufordern. In einer Sozialdemokratie unter meiner Führung hat
so ein Verhalten keinen Platz.“

Der Parteivorsitzende gesteht aber mit dieser Intervention
zugleich seine eigene Ohnmacht ein: Der Bürgermeister bleibt vorerst noch im
Amt, weil über das Amt die SPÖ im Linzer Gemeinderat entscheidet, in dem der
Parteivorsitzende nichts zu sagen hat. 

Servas, die Wahlen im September. In Erwartung eines
Rücktritts, und zwar auf der ganzen Linie, verbleibe ich ein einfacher
Kulturschaffender, der hierzulande ohne den Trost seiner Familie so richtig
aufgeschmissen wäre.

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