Russland schlägt ukrainische Truppen in Kursk deutlich zurück

Russland hat bei seinem Versuch, ukrainische Truppen aus der russischen Grenzregion Kursk zu vertreiben, die größten Erfolge seit Monaten erzielt. Innerhalb weniger Tage hat sich die Ukraine aus einer Reihe von Siedlungen vor allem nördlich der von ihr besetzten Kleinstadt Sudscha zurückziehen müssen, wie das russische Militär, ukrainische Militärblogger und unabhängige Beobachter basierend auf geolokalisierten Videos mitteilten. Demnach ist auch die ukrainische Präsenz in Sudscha selbst in Gefahr. 

Ziel der Angriffe ist nach Angaben beider Kriegsparteien, die ukrainischen Truppen in Kursk zurück auf ihr eigenes Staatsgebiet zu drängen oder dort zu isolieren. Dafür griff Russland in den vergangenen Tagen zahlreiche Stellungen entlang der Straße H-07 an, wie das US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) berichtet. Die Straße führt aus der ukrainischen Grenzregion Sumy nach Russland hinein und verläuft durch Sudscha. 

Wie aus Daten des ISW und der ukrainischen militärnahen Beobachtungsgruppe DeepState hervorgeht, stehen russische Truppen teils nur wenige Kilometer von der Straße entfernt. Dabei haben sie erstmals seit 2022 ukrainische Grenzdörfer in der Region Sumy besetzt, die westlich des ukrainisch kontrollierten Gebiets in Kursk liegen. 

Ukrainisch kontrolliertes Gebiet in Kursk um 80 Prozent geschrumpft

Die Ukraine war im vergangenen August überraschend in Kursk einmarschiert. Es war der erste Einmarsch eines ausländischen Militärs auf russisches Gebiet seit dem Zweiten Weltkrieg. Innerhalb weniger Tage besetzten ukrainische Truppen mehr als 1.000 Quadratkilometer russischen Staatsgebiets um die Kleinstadt Sudscha herum. Unter anderem durch gezielte Angriffe auf mehrere Brücken über einen nahegelegenen Fluss versuchte die Ukraine, Russland auch von einem ähnlich großen Grenzstreifen westlich von Sudscha zu verdrängen, was jedoch scheiterte.

Im vergangenen Herbst baute das russische Militär in der Region nach und nach einen Verband aus Zehntausenden Soldaten auf, dem auch Tausende Nordkoreaner angehörten. Nachdem sie etwa die Hälfte des von der Ukraine besetzten Gebiets zurückeroberten, stockte ihr Vormarsch jedoch im Winter und kam zwischenzeitlich zum Erliegen. Mitte Februar kontrollierte die Ukraine etwa 450 Quadratkilometer russischen Gebiets um Sudscha herum. Nach den Angriffen vom Wochenende sind es nach Angaben des ISW nur noch knapp 200 Quadratkilometer.

Am Freitag hatten gelokalisierte Videos demnach russische Truppen gezeigt, wie sie bei den Dörfern Schurawka und Nowenke die Grenze zur Ukraine überquerten. Die Dörfer liegen etwa fünf Kilometer nordwestlich der Versorgungsstraße H-07. Auf russischem Gebiet nördlich und östlich Sudschas griffen sie in den Folgetagen die Siedlungen Pogrebki, Malaja Loknaja und Martynowka an und drängten die ukrainischen Truppen in jeder dieser Richtungen um mehrere Kilometer Richtung Sudscha zurück. Dabei sollen sie laut dem ISW mehrere kleinere Brücken um die Stadt herum angegriffen haben – mutmaßlich, um die Abhängigkeit der Ukraine von der Hauptversorgungsstraße zu erhöhen. Drohnenangriffe könnten die Route dabei so gut wie unbenutzbar machen, sobald sich die russischen Truppen ihr auf wenige Kilometer nähern.  

Tagelanger Vormarsch innerhalb von Gaspipeline

Auch Sudscha selbst wurde nach Angaben Russlands und der Ukraine Ziel eines spektakulären Angriffs – zu dessen Ausgang sich die beiden Kriegsparteien unterschiedlich äußern. Am Samstagabend berichtete der ukrainische Generalstab, russische Einheiten hätten versucht, sich Sudscha im Innern einer dort verlaufenden Gaspipeline zu nähern. „Die Einheiten des Gegners wurden rechtzeitig durch die Luftaufklärung der Fallschirmjägertruppen ukrainischer Streitkräfte entdeckt“, teilte der Generalstab mit.

Ukrainische Militärblogger sprachen von etwa 100 russischen Soldaten, die sich durch die Gasröhre bewegt hätten und von denen die meisten durch Artilleriebeschuss getötet worden seien. Bei der Gasröhre handelt es sich demnach um einen Teil der Pipeline, über die bis Anfang 2025 noch russisches Gas nach Europa geliefert wurde. Ihre Rohre hat einen Durchmesser von 1,40 Metern.  

Der Kursker Gouverneur Alexander Chinstein bestätigte den Angriff tags darauf. Der Angriff über die Gaspipeline habe dazu gedient, die Soldaten vor Minen und Drohnen zu schützen, schrieb er auf Telegram. Chinstein sprach von „etwa zehn Kilometern“, die die russischen Soldaten innerhalb der Röhre hätten zurücklegen müssen. Dasselbe meldete der russische Militärblog Rybar, der Russlands Verteidigungsministerium nahe steht. Dank des Manövers hätten mehrere ukrainische Stellungen umgangen werden können. Das exilrussische Investigativmediumberichtet unter Verweis auf eine Reihe russischer Militärblogger, die Soldaten hätten sich knapp eine Woche innerhalb des Rohrs aufgehalten.

Der ukrainische Journalist Juri Butussow berichtete von einer russischen Kompanie, die sich innerhalb der Pipeline bewegt habe. Ein ukrainischer Offizier schrieb auf Facebook, der Angriffsplan sei zuvor aufgedeckt worden, wodurch die russischen Soldaten in einen Hinterhalt marschiert seien. Butussow zufolge soll es den Angreifern hingegen kurzzeitig gelungen sein, die Pipeline am Stadtrand von Sudscha zu verlassen und dort zeitweise ein Gebäude zu besetzen, ehe sie zurückgeschlagen worden seien. Das wiederum passt zu Angaben russischer Militärblogger, wonach russische Truppen zeitweise bis an Sudscha herangerückt seien.

Ausfall der US-Hilfen könnte russische Angriffe begünstigt haben

Für die Ukraine stellt sich die Lage in Kursk somit schwierig dar. Westlich und östlich Sudschas sind die russischen Truppen jeweils nur noch etwa sechs Kilometer von der Versorgungsroute entfernt, die Kleinstadt selbst wird angegriffen. Die ukrainischen Truppen sind mutmaßlich in starker Unterzahl: Laut einem Bericht des Portals sollen sich etwa 10.000 ukrainische Soldaten in Kursk befinden, während ukrainische Militärs von bis zu 50.000 russischen und nordkoreanischen Soldaten in der Region sprechen. 

Wie das ISW in seinen Lageberichten hervorhebt, sei es auffällig, dass der russische Durchbruch parallel zum Stopp der Weitergabe von Geheimdienstdaten von den USA an die Ukraine erfolge. Das ISW verwies auf einen Bericht, wonach die ukrainische Aufklärung in Kursk davon am stärksten betroffen sei. 

Auch habe es in den vergangenen Tagen in Kursk kaum Angriffe der Ukraine mit dem US-gelieferten Raketenwerfer Himars gegeben. Allerdings sind Berichte, wonach die Himars-Systeme durch den Stopp des Datenaustauschs nicht mehr zu Präzisionsangriffen in der Lage seien, nicht bestätigt. Die zeitliche Übereinstimmung sei zwar „bemerkenswert“, eine „klare Verbindung“ zwischen der US-Maßnahme und den russischen Erfolgen in Kursk könne derzeit aber nicht bewiesen werden, schreibt das ISW. 

Kursk hätte Faustpfand bei Verhandlungen sein sollen

Dennoch kommt die russische Gegenoffensive zu einem für die Ukraine sehr ungünstigen Zeitpunkt: Die Planung der kommenden Kriegsmonate ist derzeit von der Unklarheit darüber beeinträchtigt, ob die USA ihre gestoppten Waffenlieferungen und die Versorgung mit Geheimdienstdaten wiederaufnahmen werden. Das hatte US-Präsident Donald Trump davon abhängig gemacht, ob die Ukraine einen „Willen zum Frieden“ demonstriere, den er dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj zuletzt absprach. Konkrete Bedingungen nannte der US-Präsident aber nicht.

In dieser Woche treffen sich für Gespräche über einen Weg zu einem möglichen Waffenstillstand in Saudi-Arabien Vertreter der Ukraine und der USA. Parallel dazu hatten die USA in den vergangenen Wochen Gespräche mit Russland geführt. Ob daraus ein womöglich von den USA moderierter Verhandlungsprozess zwischen den Kriegsparteien startet, ist noch ungewiss. Bei den Verhandlungen wollte die Ukraine das von ihr besetzte Gebiet in Kursk als Faustpfand nutzen und etwa gegen Teile des russisch besetzten Gebiets eintauschen. Die erfolgreichen russischen Angriffe in der Region dürften den Wert dieser Verhandlungsmasse in den vergangenen Tagen deutlich verringert haben. 

Sollten Russland weitere Rückeroberungen in dem Gebiet gelingen, könnte die Ukraine auch zu einem kompletten Rückzug aus Kursk gezwungen sein. In diesem Fall wäre es unwahrscheinlich, dass die derzeit dort kämpfenden Soldaten zur Verstärkung anderer Frontabschnitte, etwa bei der umkämpften Stadt Pokrowsk, frei würden. Denn an der Grenze zwischen Sumy und Kursk stünden sie dann, anders als beim Einmarsch im August 2024, einem Verband von Zehntausenden russischen Soldaten entgegen, die Sumy bedrohen würden.