„Gänsehaut <3"

Kürzlich hat sich ein Mann ins Fernsehen
zurückgeboxt und den Eurovision Song Contest zur „Chefsache“ erklärt.
Staatsmännisch steht er im Anzug vor eingeblendeten Flaggen der Schweiz,
Deutschland und Europa und sagt: „Mein Name ist Stefan Raab und dies hier ist
ein wichtiger Abend für Deutschland.“

Die Moderatorin Barbara Schöneberger wird ihn
gleich den „Bundes-Musik-Kanzler“ nennen und seine Aufgabe verkünden: Es gäbe
derzeit so viel Trennendes auf der Welt, man wolle deshalb Vereinendes
schaffen. Zusammen Musik machen. Also die Rätselfrage: Was könnte das
ESC-Publikum lieben? Oder noch herausfordernder: Wie könnte Europa uns Deutsche
lieben?

Die Geschichte von Stefan Raab und dem ESC ist
fast dreißig Jahre alt. Er komponierte für Guildo Horn, schrieb für Max Mutzke,
trat sogar mit dem Lied selbst an. Im Jahr 2010 gewann
schließlich Lena Meyer-Landrut, die Raab damals im Vorentscheid entdeckt hatte. „Ich will nicht Zweiter werden“, sagt Raab. „Ich
will gewinnen.“ Und: „Ich mag wissen, ob die Leute meine Gedanken teilen.“ 

Weil man ein Event wie den ESC ungern allein
schaut, schaltet man sich mit 1.445 anderen in einen Stream auf Twitch. Man selbst ist da ganz wie Raab: Man mag auch wissen, ob
die Leute die eigenen Gedanken teilen.

In drei Shows haben Raab und seine Jury zuvor die Zahl
der Acts von 24 auf die neun reduziert, die an diesem Samstagabend im Finale
stehen. Ursprünglich sollte das Publikum vor den Fernsehern aus den neun
Deutschlands Kandidaten oder Kandidatin für den Eurovision Song Contest
auswählen. Aber vor ein paar Tagen hieß es auf einmal, es gäbe doch eine Jury-Vorauswahl. Nachdem die Künstlerinnen und Künstler
jeweils ein Cover und ihren eigenen ESC-Song gesungen haben, werden sich Raab und
seine Mitjuroren für die top fünf entscheiden, erst danach können die
Zuschauerinnen und Zuschauer für sie anrufen oder online abstimmen. 

Neben
Stefan Raab sitzen Yvonne Catterfeld, Nico Santos und ESC-Gewinnerin von
2014 Conchita Wurst auf den Jurysesseln und essen Salzstangen.

Die erste Band heißt The Great Leslie, sie
spielt erst, so will es die Regel, einen Coversong, dann hat sie, wie jede
Band an diesem Abend, dreieinhalb Minuten Zeit, sich für ihren ESC-Song
umzuziehen, den sie angeblich alle selbst geschrieben haben. 

The
Great Leslie, zwei Briten, ein Norweger und immerhin ein Deutscher, hat sich
für entschieden, damit hat ABBA 1974 für Schweden den Eurovision Song Contest gewonnen. In pinkem Blazer und Glitzerhose hopst die Band durchs Scheinwerferlicht.

Nico Santos beißt sich begeistert auf die
Unterlippe, um die man sich im Laufe des Abends ein bisschen Sorgen macht. Yvonne Catterfeld federt auf ihrem Stuhl, Conchita Wurst wiegt den Kopf. 

Auf Twitch
hingegen:

  

Als die Band ihren eigenen Song gespielt hat, irgendwas
Richtung Franz Ferdinand und Arctic Monkeys, und erwartungsvoll Richtung Jury
blickt, sagt Raab: „Es hat auch so Dreck, den normale Popmusik nicht hat.“
Dreck: das neue Kriterium für zumindest interessante Musik. 

Raab ist 58 Jahre alt, er war mehr als ein
Jahrzehnt raus aus dem ESC-Business, kann er überhaupt noch wissen, was
funktioniert und was nicht? Und wenn ja, weiß Raab es trotzdem besser als
tausende Deutsche, die an diesem Abend für ihre Lieblingskünstlerinnen und -künstler anrufen werden?

Nach den Auftritten von mit seinen Locken einem
jüngeren Olaf Scholz ähnelnden Benjamin und von Leonora, für die Raab „einen
Besen fressen würde“, wenn aus ihr nichts wird, kommt die Metalband
Feuerschwanz. Aufgeschminkte Kratzer im Gesicht, schmiedeeiserne Sixpacks, die sich von
Schöneberger tätscheln lassen. 

Feuerschwanz startete auf einem
Mittelaltermarkt, inzwischen haben sie elf Alben veröffentlicht, sie waren auch
schon in Wacken. Auf einem Bein spielt ein Bärtiger auf einer zierlichen Flöte,
dann walzt das Lied los. Die
Bühne steht in Flammen. „In the Knightclub, Party in the Nightclub. Dieser
Club ist nur für Knights, du kommst hier nicht rein.“

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