„Wir Europäer stehen auf dem Speiseplan der imperialistischen Mächte“

Nach dem Streit beim Treffen des ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Donald Trump und Vizepräsident J. D. Vance
kritisieren internationale Medien mehrheitlich den US-Präsidenten. „Trump und sein Vize
J. D. Vance haben sich im Oval Office nicht wie Staatsmänner, sondern wie
Mafiabosse verhalten“, schreibt die Tageszeitung aus
Polen. Sie seien nur daran interessiert, die ukrainischen Ressourcen zu
plündern. „Wie unterscheidet sich dies – eher in der allgemeinen Philosophie
als in der Praxis – vom russischen Vorgehen gegenüber der Ukraine?“

Ebenfalls aus Polen kommentiert die Tageszeitung :
„Selenskyj hat den Kaiser nackt gemacht.“ Er habe gezeigt, wer Trump wirklich ist,
und komme nicht zu Unrecht zu dem Schluss, dass Krieg besser ist als Frieden in
der von Trump vorgeschlagenen Form. „Denn dieser Frieden bedeutet Kapitulation.“

Die französische Tageszeitung vergleicht
Trump mit einem russischen Herrscher: „Der Amerikaner spielt das Spiel eines
Zaren, der vom unvermeidlichen Niedergang des demokratischen und
kapitalistischen Westens überzeugt ist.“

„Fortan ist es angemessener, von ‚Donald Trumps Regime‘ zu sprechen“

In vielen europäischen Medien wird die Sorge laut, was
dieser Eklat im Oval Office für Europa bedeuten könnte. „Das westliche Bündnis
scheint auf der Kippe zu stehen“, schreibt die britische Zeitung . Es sei eine erschreckende Szene gewesen, die jeden in
Großbritannien und Europa beunruhigt haben dürfte, der um die Sicherheit des
Kontinents besorgt ist.

„Europa sieht seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden:
Allianzen sind für Trump austauschbar“, heißt es in der
aus Italien. „Nachdem er Kyjiw seinem Schicksal überlassen hat, ist nun die
atlantische Achse an der Reihe?“

„Wir Europäer stehen auf dem Speiseplan der
imperialistischen Mächte“, schlussfolgert die spanische Zeitung .
„Falls noch Zweifel an der Dringlichkeit bestanden haben sollten, ist eine
eindeutige Botschaft aus dem Oval Office angekommen. Wir müssen unseren Platz
in der Welt mit Mut völlig neu überdenken.“

Die belgische Zeitung spricht von
einem Ende des Westens, das der öffentliche Streit zwischen den zwei Präsidenten
offenbart habe: „Die Ukraine und Europa müssen es nun ohne militärische
Unterstützung der USA mit Russland aufnehmen. Fortan ist es angemessener, von ‚Donald Trumps Regime‘ zu sprechen als
von Trumps Präsidentschaft.“

Auch Kritik an Selenskyjs Auftreten

Die aus der Schweiz rät: „Wenn
die Europäer wirklich einen stabilen Frieden in der Ukraine wollen, müssen sie
vermutlich selbst die Führungsrolle übernehmen, ohne auf eine amerikanische ‚Rückversicherung‘ hoffen zu können.“

Die niederländische Zeitung blickt
eher auf Selenskyj als auf Trump: „Der ukrainische Präsident war ungewöhnlich
konfrontativ und erklärte den Amerikanern, dass sie Moskau zu viel Vertrauen
schenken würden und Präsident Wladimir Putin seine Versprechen schon oft
gebrochen habe. Die Kritik kam schlecht an.“ 

Damit habe Selenskyj mehr kaputt gemacht,
als der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident
Emmanuel Macron Anfang der Woche aufzubauen versucht hätten. „Es ist unklar,
welche Folgen dieses Gezeter für die Sicherheitsgarantien haben wird, die die
Ukraine zu erhalten hofft.“

„Schadensbegrenzung betreiben oder zurücktreten“

Gemischter sind die Pressestimmen aus den USA. Auch die aus den USA vergleicht Trump mit
einem Mafia-Boss, mit Don Corleone aus Bedauerlicherweise habe Selenskyj den Köder
aufgenommen und sei energisch geworden. „Der US-Präsident sollte versuchen,
Putin gegenüber so unhöflich zu sein, wie er es am Freitag gegenüber Selenskyj
war.“

Das konservative kritisiert sowohl Vance
als auch Selenskyj: „Vance tadelte Selenskyj, als wäre er ein Kind, das zu spät
zum Essen kommt. (…) Dies war nicht das Verhalten eines
Möchtegernstaatsmannes.“ Selenskyj wäre aber klüger gewesen, die Spannungen zu
entschärfen, indem er sich erneut bei den USA bedankt und sich Trump
unterordnet. „Aber wie schon den Krieg hat Selenskyj diesen Austausch im Oval
Office nicht begonnen.“ 

Die Tageszeitung schreibt weiter: „In Sachen Ukraine ist es im Interesse der USA, das
imperiale Projekt Putins zu stoppen, ein verlorenes Sowjetimperium wieder
aufzubauen, ohne dass US-Soldaten jemals einen Schuss abfeuern müssen. Dieses
Kerninteresse hat sich nicht geändert, aber die Ukraine vor der ganzen Welt zu
maßregeln, wird es schwieriger machen, es zu erreichen.“

„Die Welt fragt sich nun, wie es mit den Verhandlungen weitergeht und
ob die beiden Staatsoberhäupter ihre Beziehungen so weit verbessern können,
dass die USA den Frieden vermitteln können“, heißt es in einem Bericht des Trump-nahen Nachrichtensenders Fox News. „Einige sagen, Europa müsse sich
einschalten, um die Feindseligkeiten zu beenden, während andere meinen,
Selenskyj müsse entweder Schadensbegrenzung betreiben oder zurücktreten.“

Ukrainisches Portal wendet sich an US-Amerikaner

Auch aus der Ukraine gibt es erste Medienreaktionen. Das
ukrainische Nachrichtenportal meint: „Lassen Sie das sacken.
Der Präsident einer kriegsgebeutelten Ukraine, ein Verbündeter der USA, ist zum
ersten Staatsführer der Geschichte geworden, der aus dem Weißen Haus geworfen
wurde. (…) Sie wollten, dass er um Gnade winselt und vor Trump
auf die Knie fällt. Den Ring küsst.“ 

Selenskyj hätte zwar besser daran getan,
sich zusammenzureißen, schreibt das Portal – aber er sei in eine Situation gebracht worden, in der er
nicht gewinnen konnte. „Hätte er Trump und Vance
(….) mit ihren Attacken gegen die Ukraine widerspruchslos weitermachen
lassen, wäre er sowohl in der Heimat als auch im Ausland als schwach
wahrgenommen worden. Schwäche zu zeigen, kann sich ein Land im Krieg nicht
erlauben.“

Das Nachrichtenportal appelliert außerdem an die
US-Bevölkerung: „Amerikas Präsident mag sich für eine Seite der Geschichte
entschieden haben. Dem amerikanischen Volk steht es noch frei, die seine zu
wählen.“