Auf dem Cover dieses betörenden Albums: eine Schneekugel, in der eine rote Trillerpfeife steckt. Auf Englisch heißen die touristischen Souvenirs woran man besser erkennt, wofür die Schneekugel steht, nämlich für die Welt, den . Aber da steckt kein Eiffelturm unter Glas, kein Matterhorn, kein Brandenburger Tor, sondern das Tool eines Schiedsrichters. In Warnrot. Wie eine Erinnerung daran, dass wir ganz viel abpfeifen müssten, wenn dieses Souvenir noch an künftige Generationen weitergegeben werden soll. Klimawandel, Faschismus: Rote Karte, klarer Fall!
Dabei klingt die Musik von Darkside gerade nicht nach Befehlen, wie sie in der Rudelbildung der Künste so oft zu hören sind. Keine hyperpolitisierten Buzzwords, keine Bekenntnisse. ist in der zwölfjährigen Bandgeschichte dieser experimentellen, an elektronischen Landschaften wie an zarten Grooves interessierten kleinen Supergroup erst das dritte Album, aber das musikalisch versierteste und konzeptuell cleverste. Die zweite Single würde als Beweis bereits reichen. Sie heißt etwas kryptisch im Video wird der Titel ausgeschrieben: .
Im Video zu ist die Schneekugel tiefrot, da fällt kein Schnee mehr. Das Souvenir wurde zu einer Glaskugel wie bei einer Wahrsagerin, die in die Zukunft schaut. Über einen einfachen Schlagzeugbeat slappt ein fleischiger Bass den Groove, bis eine verfremdete Stimme am Rand der Erschöpfung von Schlafmangel und Unruhe singt. Der Refrain, eine melancholische Erlösung: Diese Kunst lebt nicht vom Aktivismus, der in die Welt schreit, dass letztere vor die Hunde geht. Darkside kehren die Perspektive um und schauen auf die Menschen der krisengeplagten Kugel. Fazit: Sie fühlen sich leer, . Wenn sie grinsen, dann nur, weil schon das nächste Video auf dem Handy läuft. Aber das ist noch nicht das Ende.
In diesen lässigen, beinahe apathischen Groove grätscht auf einmal ein Clavinet wie beim funky Stevie Wonder der frühen Siebzigerjahre, etwa im Hit . Yeah, hier kommt ein zweiter Wind, wollen wir doch noch etwas bewegen, und sei es nur uns selbst? Zerhackte Stimmfetzen peitschen den Funk in den, nun ja: roten Bereich. Ich habe es aus Spaß getan! Nur was, die Welt angezündet? Darkside erzählen mit in sechs Minuten einen komplexen Zustand: alles abschalten, den Kopf leeren mit Yoga, Sport oder Alkohol, oder nun erst recht etwas reißen, und sei es wegen der Kicks, der Energie, für den Rausch? Das Stück liefert kein Rezept, es zeigt nur, wie grundlegende Fragen – handeln oder nicht handeln? – aus den Fugen geraten sind und kein Zentrum mehr haben, wie es im Titel steht:
Darkside klangen noch nie so sehr nach einer Band wie jetzt, noch nie so organisch, auch wenn das Motiv der Kugel als Bild für die Erde schon auf den Covers der beiden ersten Alben zu finden war. Bisher bestand das Projekt aus dem chilenisch-US-amerikanischen Produzenten Nicolas Jaar und Dave Harrington an vielen Instrumenten, vor allem Gitarre und Bass. Ihr Debutalbum mutete 2013 tatsächlich schick psychedelisch an, als wäre der deutsche Krautrock in den Laptop gekrochen, um dort als Datensatz zu überwintern. Der Nachfolger erschien erst 2021, hieß und arbeitete mit mehr akustischer Percussion. Jaars Stimme war immer schon bearbeitet und blieb meistens im hohen Falsett. Heute hört man diesen Alben den Computer etwas zu gut an, im Vergleich mit wirken sie kontrolliert und selbst in den improvisierten Teilen etwas glatt gezogen, um nicht zu sagen: ein bisschen zu sediert.
Die Coolness von Darkside ist nicht verschwunden auf aber es sprühen mehr Funken in der düster-eleganten Kälte. Das liegt bestimmt an der Dynamik ihres Dreiecks, denn der Schlagzeuger Tlacael Esparza wurde zum Vollmitglied befördert. Darkside ist jetzt ein Trio und somit eine Band, kein bloßes Projekt. Der Unterschied springt ins Ohr. Da ist mehr Atem, mehr Zusammenspiel, mehr Wahnsinn, mehr Komplexität.
„Imagine all the people“
Dunkel bleibt die Stimmungslage nach wie vor. Aber selbst in Stücken wie wenn sich die Mollakkorde einer cleanen Gitarre mit halb gesungenen Worten wie paaren, vermag das Schlagzeug noch eine Idee von Vitalität zu vermitteln. Das reduziert die Gefahr der bloßen Weinerlichkeit. Was auch hilft: Humor wie in . Aus einer freien Eröffnung schält sich ein schunkelnder Schlagerwalzer mit entsprechender Harmonie, gefolgt von den berühmten Zeilen Es brauche nicht viel, sich die Hölle statt des Friedens vorzustellen, singt Jaar und hängt noch ein paar operettenhafte Schlenker an. Diese Ironie, ja dieser Zynismus hätte zu John Lennon, von dem das ursprüngliche ja stammt, fast noch besser gepasst.
Aber die Textzitate, früher sogar Godard auf Französisch, die auf Jaars so avantgardistischem wie emotionalem Debütalbum (2011) noch wichtig waren, verschwinden auf in der Musik selbst. Auch ist so ein Stück, das sich ständig verändert, ohne sich zu verlieren. Ein wiederum wie von Schlafmitteln verlangsamter Shuffle-Groove aus einer gedämpft geschlagenen Gitarre, einer Kuhglocke und etwas Trommel liegt unter dem karibischen Flair von verwehter Stimme und den Reggae-typischen Gitarrenakzenten auf der Zwei und der Vier. Alles so müde hier. Alles muss weitergehen. Aus dieser Trance in hoher Luftfeuchtigkeit meldet sich eine höhenlastige Soulgitarre wie aus dem Alabama der Sechzigerjahre. Die hoch gepitchte Stimme – – erinnert kurz an den Refrain des Mitsingheulers von The Kinks, dem 1970 vielleicht ersten Welthit über eine trans Person oder einen Crossdresser. Aber da geht der Track schon weiter, dreht den verzerrten Synthiebass auf, bis harte Zuckerwatte daraus wird, wie auf einem Neo-Trance-Floor für Zwanzigjährige.
Mit gibt es zwar auch einen durchgehend schroffen Song, und das Schlusslicht stellt die apokalyptische Stimmung am Ende seiner vier Minuten mit entsprechendem Krach dar. Aber der musikalische Reichtum, die Lockerheit, die Fülle der Ideen, ja die Schönheit dieses mit inhaltlich so richtig und musikalisch so falsch betitelten Albums betonen unablässig das Gegenteil von Lähmung. All diese deutlichen Lebenszeichen machen die Apathie der Gegenwart umso dringlicher hörbar. So klingt Musik, die von etwas erzählt, das sie gleichzeitig überwindet.