Die meisten Herausforderungen der deutschen Wirtschaft wurden bereits ausgiebig analysiert, zum Beispiel Themen wie Arbeitskosten und -kräftemangel, überbordende Regulierung, Steuerniveau oder geopolitische Verschiebungen. Die zwei grundlegenden Ursachen jedoch werden meines Erachtens in der öffentlichen Debatte nicht ausreichend benannt:
Erstens: Die deutsche wie auch die europäische Industriepolitik waren in den vergangenen 15 Jahren nicht pragmatisch, sondern ideologisch – insbesondere im Gegensatz zu unseren Wettbewerbern USA und China.
Zweitens: Infolge der ideologischen Haltung verfolgen die EU und Deutschland keine globale Industrie- und Klimastrategie. Zudem reagiert die EU in ihren internationalen Handelsmaßnahmen und Vorschriften nur unzureichend auf Verschiebungen der Weltwirtschaft.
Insbesondere im Kampf gegen den Klimawandel ist unser Ansatz zu ideologisch. Vorab möchte ich betonen: In keiner Weise bestreite ich die Notwendigkeit, den Klimawandel entschieden anzugehen oder empfehle, unsere Ambitionen zurückzuschrauben. Ich stelle jedoch die Art und Weise infrage, wie wir es aktuell tun.
Die Liste der Industrien, die transformiert werden müssen, ist lang und entspricht dem Rückgrat der deutschen Industrie: Energie, Automobil, Chemie, Zement, Stahl. Zudem werden die Bedeutung dieser Schlüsselindustrien und die Folgeeffekte, beispielsweise auf die Beschäftigung im Zulieferer- und Dienstleistungsbereich, massiv unterschätzt.
Im Gegensatz zu China und den USA folgt unsere grüne Transformationspolitik der „Lead by Example“-Philosophie. Sie soll der Welt zeigen, dass eine kohlenstofffreie Wirtschaft unter Beibehaltung des Wohlstands aufgebaut werden kann.
Doch diese Strategie hat eine entscheidende Schwachstelle: Was machen wir, wenn andere nicht folgen? Die EU ist für weniger als sieben Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Allein werden wir das Problem nicht lösen. Hinzu kommen schwerwiegende Fehler bei der Umsetzung.
Wirtschaftliche Folgen der grünen Transformation
Bei der grünen Transformation fokussiert sich die EU vornehmlich auf Klimaziele zur Reduktion von Emissionen. Die Frage, wie Wohlstand gesichert und unsere Volkswirtschaft von der Umstellung auf eine kohlenstoffarme beziehungsweise -freie Wirtschaft profitiert, wird dabei vernachlässigt.
Einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor haben wir besonders außer Acht gelassen: unsere Energiepreise im Vergleich zum globalen Wettbewerb.
Derzeit liegt der durchschnittliche Großhandelsstrompreis in Deutschland bei über 100 Euro pro Megawattstunde (EUR/MWh). Dem stehen stabile Strompreise in den USA von etwa 30-45 EUR/MWh und von durchschnittlich etwa 60 EUR/MWh in China gegenüber.
Vor der Energiewende war das umgekehrt – Strom in Deutschland kostete nur knapp über 20 EUR/MWh. Seitdem hat sich der Strompreis durch CO₂-Zertifikate stetig verteuert. Das derzeitige Niveau von etwa 75-80 Euro pro Tonne (EUR/t) bringt dabei keine relevanten Umweltvorteile.
Der Umstieg von Kohle auf Gas erfolgte bereits bei 30 EUR/t. Der Umstieg von Gas auf grünen Wasserstoff findet hingegen selbst bei 100 oder 200 EUR/t CO₂ nicht statt.
Beim Gas ist die Situation komplexer. Der US-Gaspreis von 13 EUR/MWh ist nicht erreichbar, doch ein pragmatischerer Ansatz könnte unseren aktuellen Preis von rund 50 EUR/MWh knapp halbieren.
Verpasste Chancen für den Aufbau neuer Industrien
Besonders deutlich werden die verpassten Chancen unserer Industriepolitik im Bereich erneuerbarer Energien. Die EU – allen voran Deutschland – war hier weltweit führend.
Doch statt diesen strategisch auszubauen, überließ man China naiverweise die Marktführerschaft. Heute dominiert die Volksrepublik die Produktion von PV-Modulen mit 85 Prozent Weltmarktanteil und Windturbinen mit 65 Prozent Weltmarktanteil.
Richtig ist, dass die Marktmechanismen das wettbewerbsfähigere China begünstigt haben. Jedoch mussten europäische Haushalte und Unternehmen 15 bis 20 Jahre lang hohe Einspeisevergütungen für Solarstrom zahlen, ohne dass diese Milliarden-Investitionen unserer Wirtschaft einen strategischen Vorteil gebracht hätten.
Noch gravierender trifft es die Automobilindustrie. Die Initiative zur Dekarbonisierung des Verkehrs kam von der EU-Ebene – getrieben von Deutschland. Während der Weltautomobilmarkt stark gestiegen ist (fast 65 Prozent seit 2000), sinkt die europäische Produktion und liegt mittlerweile unter dem Niveau von 2000.
Im Jahr 2000 produzierte China nur zwei Millionen Fahrzeuge, heute sind es fast 40 Millionen. Während China konsequent eine Elektrofahrzeuge-Strategie verfolgt, drängt die EU ihre eigene Kernkompetenz, den hocheffizienten Verbrennungsmotor, aus dem Markt, ohne zuvor eine wettbewerbsfähige Elektrofahrzeugindustrie aufzubauen.
Ein ähnlicher Fehler droht in der Stahl- und Chemieindustrie mit dem unwirtschaftlichen und frühzeitigen Vorstoß bei grünem Wasserstoff.
Verdrängung unserer Schlüsselindustrien
Für viele Industrien wurden Ziele festgelegt, die physikalisch unmöglich oder unwirtschaftlich sind. Dies führt zu hoher Verunsicherung in den betroffenen Branchen.
Unternehmen, die ihre Produktion verlagern konnten, haben dies größtenteils getan. Andere versuchen, in der Hoffnung auf klarere Rahmenbedingungen und realistischere Ziele, ihre Investitionen zur Dekarbonisierung zu verschieben.
Und diejenigen, die bereits investiert haben, werden am Ende bestraft, da Ziele zwangsläufig angepasst und regulatorische Rahmen weiterentwickelt werden.
Zur Unsicherheit in Bezug auf Zielvorgaben kommt die Ungewissheit über die langfristige CO₂-Preisentwicklung. Der Industrie fehlt jegliche Planungssicherheit.
Jedoch entscheiden bereits kleinere Preisunterschiede, welche Technologien wirtschaftlich und wettbewerbsfähig sind. Somit sind langfristige Investitionsentscheidungen de facto unmöglich.
Die deutsche Industrie verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen gehen drastisch zurück und viele Produktionen sind abgewandert. Noch sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt kaum spürbar, doch sie nehmen zu und werden strukturelle Konsequenzen nach sich ziehen.
Trotz unserer bisherigen Bemühungen und unter Inkaufnahme der Schwächung unserer Wirtschaft, stiegen die globalen Emissionen von 49 Gigatonnen CO₂ im Jahr 2015 auf 53 Gigatonnen CO₂ im Jahr 2023. Dies zeigt: Unser „Lead by Example“-Ansatz funktioniert nicht.
De facto folgt kein relevanter Nicht-EU-Staat unserem Beispiel. Die Dekarbonisierung findet vor allem dort statt, wo es wirtschaftlich sinnvoll ist – Umstellung von Kohle auf Gas in den USA, Chinas Elektrofahrzeuge-Strategie – oder wo es andere strategische Gründe gibt, wie im Falle von Chinas Luftverschmutzung in Großstädten oder die Reduzierung von Chinas Abhängigkeit von Energieimporten. Kurzum: Die wirtschaftlichen Chancen der Dekarbonisierung werden vor allem von China und den USA genutzt.
Die aufgeführten, vor allem die traditionellen Industrien betreffenden Faktoren, die Führungsposition der USA in der digitalen Wirtschaft und Elektrofahrzeugproduktion sowie die chinesische Staatsstrategie zum Aufbau neuer Industrien hat das globale Wirtschaftsgleichgewicht massiv verschoben. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem unsere Schlüsselindustrien einen strategischen Schutz benötigen – insbesondere vor der chinesischen Konkurrenz.
Instrumente wie das europäische CO₂-Grenzausgleichssystem CBAM sind Teil der Lösung, allein aber nicht ausreichend. Denn CBAM gleicht lediglich Kostennachteile für CO₂-Emissionen bei Importen aus, aber berücksichtigt Kostenfaktoren für den Export wie höhere Strom-, Arbeitskosten und Qualitätsanforderungen nicht.
Zeit für einen neuen Ansatz
Daher ist es Zeit, für einen neuen Ansatz: Statt „Lead by Example“ brauchen wir einen „We bring Solution“-Ansatz.
Konkret schlage ich daher unter anderem vor: Während die EU ihre lokalen Emissionsreduktionsziele auf ein realistisches Niveau setzt, verpflichten wir uns im Gegenzug, ein höheres Volumen als die verbleibenden Emissionen bis 2050 durch EU-Maßnahmen außerhalb Europas einzusparen.
Dazu sollte die EU einen globalen „Marshall“-Klimaplan aufstellen, um hochgradig verschmutzende Technologien in Drittstaaten zu modernisieren und hierbei Investitionen der europäischen Wirtschaft ermöglichen. Mit solch pragmatischen und globalen Lösungen werden wir resilienter, wirtschaftlich stärker, global relevanter und werden mehr Emissionen einsparen.
Daniel Křetínský ist Mehrheitseigentümer der Holding EPH, der Metro und er besitzt einen nennenswerten Anteil an ThyssenKrupp. Zudem ist er in Medien und Fußballvereine investiert unter anderem bei West Ham United.
Eine ausführlichere Version des Gastbeitrags von Daniel Křetínský sowie weitere Lösungsvorschläge finden Sie hier auf Deutsch und Englisch.