Sechs Tage vor der Bundestagswahl diskutiert das ganze Land über Politik – so emotional wie selten zuvor. Bei der Arbeit, an der Supermarktkasse, im Kreise der Familie: Überall geht’s um die Wahl!
BILD hat jetzt Menschen zusammengebracht, die völlig unterschiedliche Meinungen haben und miteinander diskutieren wollen. Im Zuge der Aktion „Deutschland spricht“ – gemeinsam mit ZEIT Online und FAZ. Und mitdiskutieren wollten gestern ebenfalls prominente Gesichter: neben BILD-Chefredakteurin Marion Horn auch Schauspielstar Uschi Glas und Ex-„Tagesschau“-Chef Jan Hofer.
Bürgergeld-Debatte
Sie sind ein echtes Streitpaar, dabei aber stets respektvoll. Ob Russland, Corona oder Presse – bei keinem Thema sind sich Alexander Suden (59, Erzieher) aus Berlin und Riccardo Pehns (53, Kundendienstberater) aus Birkenwerder einig. Ebenso wenig beim Bürgergeld.
Pehns sagt: „Das jetzige Bürgergeld halte ich für falsch. Es erzieht die Leute zum Ausruhen. Ich bin für soziale Unterstützung, aber in Gutscheinform, damit das Geld so verwendet wird wie gedacht.“
Dem widerspricht Suden, der einst selbst Hartz IV bezog. Er sagt: „Die Gutscheine gibt es längst, aber die Menschen wissen nichts davon. Durch meinen Job habe ich mit vielen Bürgergeld-Familien Kontakt. Viele wollen arbeiten, finden keinen Job. Viele arbeiten, ihr Lohn ist aber so gering, dass sie mit Bürgergeld aufstocken müssen.“
Beim Thema Migration knirscht es
Schauspielerin Uschi Glas ist mit Dieter Hartung aus Berlin in die Diskussion gegangen. Hartung fordert: „Am Wahl-Sonntag muss eine große Änderung der politischen Landschaft her!“ Der TV-Star: „Wir brauchen einen Schub in der Republik.“
Vor allem benötige es „unbedingt eine funktionierende Wirtschaft. Dass Firmen auswandern – das kann doch nicht sein“, so Glas.
Beim Thema Migration knirscht es bei Glas und Hartung. Er meint: „Hat Merkel 2015 etwa vergessen, klug die Sache vom Ende her zu denken, als sie die Schleusen öffnete?“ Sie findet: Bei der Flüchtlingsdebatte nie die Nächstenliebe und das Christentum außer Acht lassen. Sie schränkt aber ein: „Hilfe bei Notfällen – ja! Aber in allen anderen Fällen – da benötigt es ganz klar eine kontrollierte Migration!“
Uschi Glas schüttelt den Kopf über die Tatsache, dass man sich in manchen Städten in einige Straßenzüge nicht mehr wagen könne. Rentner Dieter Hartung zeigt klare Kante: „Der Rechtsstaat muss funktionieren.“
Ärgernis Wohnen
Ex-TagesschaumoderatorJan Hofer wohnt auf Mallorca. Er trifft auf Nikolaus von Bargen aus Berlin. Es wird viel über Innenpolitik gesprochen: Koalitionen, die Ampel-Regierung und besonders über die SPD. Nikolaus sagt: „Ich bin SPD-Mitglied und habe bei der letzten Wahl für die SPD gestimmt. Bei dieser Wahl wähle ich die vielleicht die Grünen“, ergänzt er.
Jan Hofer stellt daraufhin die Frage: „Was glaubst du denn, was im Land los wäre, wenn es eine Rot-Rot-Grün-Koalition geben würde?“ Man merkt: Beide sind gebildet und wortgewandt. Die größte Übereinstimmung: Lob an den Öffentlich-Rechtlichen. „Ich muss zugeben, ich bin ein großer Befürworter“, erklärt der Rechtsanwalt. Jan Hofer stimmt zu: „Als ÖRR-Journalist habe ich nur Gutes mitbekommen.“
Der größte Unterschied: die Baupolitik. Nikolaus sei „wohnungspolitisch eher links“ und sagt: „Die Bauministerin hat ihren Job gut gemacht.“ Jan Hofer kontert: „Als Immobilienbesitzer habe ich unter Habeck selbst Wertverluste gemacht, es muss sich etwas ändern.“
Trotz kleiner Meinungsunterschiede bleibt das Gespräch locker. Es wird gelacht und über Persönliches gesprochen. Hofer: „Manchmal wollten die Zuschauer kein Gespräch, sondern sich nur beschweren.“
Kontroversen beim Klimaschutz
Unterschiedlicher könnten die Ansichten zwischen Autopfleger Uwe Asthalter und Start-up-Führungskraft Anna Leweling, beide aus Berlin, kaum sein.
Asthalter hält den staatlichen Fokus auf Klimaschutz für übertrieben, Leweling hingegen fordert mehr Investitionen. Auch beim Verbrennungsmotor sind sie sich uneinig: Während der Autopfleger den Verbrennungsmotor als Innovations- und Jobmotor sieht, betrachtet Leweling ihn als Klimaproblem.
Asthalter: „Ich würde keine Partei wählen, die Verbrenner verbietet – da hängen Arbeitsplätze, Innovation und die Zukunft des Landes dran. Deshalb wähle ich schwarz.“ Leweling: „Wenn man die Klimaziele erreichen will, hilft der Verbrenner nicht dabei. Aus dieser Perspektive muss man ihn also schlecht finden.“
Zwei Meinungen zur Gerechtigkeit
Berufsschullehrer Friedhelm Diesch diskutiert mit Referatsleiter Oliver Schollmeyer, beide aus Berlin. Bei der Frage, ob Deutschland ein gerechtes Land ist, spalten sich die Meinungen.
„Gerecht ist das, was für die Gesellschaft insgesamt zu gerechten Lösungen führt. Dafür muss man in Kauf nehmen, dass der ein oder andere hinten überfällt“, so Schollmeyer.
Das überzeugt Diesch nicht: „Aus welchem Elternhaus ein Schüler kommt, bestimmt, welche Perspektiven er hat. Um viele Kinder kümmern sich die Eltern nicht. Statt Fußball zu spielen, lungern sie nachmittags am Bahnhof. Laut CDU soll sich der Staat in Familien nicht einmischen. Diese Kinder haben einfach Pech. Das finde ich ungerecht.“
Unstimmigkeit über Waffenlieferungen an die Ukraine
BILD-Chefredakteurin Marion Horn trifft auf Onlinehändler Jens Haufe, beide wohnen in Berlin. Sie ist für eine „Migrationsbremse“ und „mehr Recht und Ordnung“. Er sagt: „Geflüchtete sollen weiterhin aufgenommen werden.“
Das Gespräch bleibt freundlich, Meinungsunterschiede werden zwar wahrgenommen, aber akzeptiert (Horn: „Ich weiß, du denkst anders, aber …“). Die Hauptthemen sind Migration und Krieg. Beide sind sich einig: Man müsse bei diesen Themen „menschlich bleiben“.
Marion Horn fragt viel nach, eben weil sie in grundlegenden Themen verschieden denken. Ein großer Meinungsunterschied: Waffenlieferungen an die Ukraine. Horn betont: „Deutschland soll Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern.“ Jens Haufe ist dagegen. Daraufhin fragt sie ihn: „Was wäre, wenn Deutschland angegriffen würde?“ Darauf geht er nicht wirklich ein.
Das Problem sehe er eher darin, dass „Migranten unterschiedlich behandelt werden“. Er sagt: „Ukrainer sind oft Flüchtlinge 1. Klasse, man muss auch Asylsuchende aus anderen Ländern stärker fördern.“
Sie diskutieren über Ost- und Coronapolitik und sind sich einig: „Es wurde vieles versäumt, nachträglich kann man jedoch nichts mehr ändern.“ Gestritten haben sie sich nicht. Die Chefredakteurin sagt: „Es war ein tolles Gespräch!“
Dissens bei Schuldenbremse
Beide arbeiten beim Bund, aber für unterschiedliche Ministerien: Louis Fuhrmann beim Finanzministerium, Stephan Haufe beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Besonders bei der Schuldenbremse gehen ihre Meinungen auseinander …
Fuhrmann befürwortet diese, sagt: „Wenn man Schulden macht, muss man sich auch überlegen, wie man diese wieder abbaut. Das fehlt mir momentan. Aber wenn wir bei der Digitalisierung endlich anpacken würden, können wir viel Geld sparen.“
Haufe sagt hingegen: „Ich bin eher gegen diese Art der Schuldbremse. Kürzungen, um schnell Geld zu sparen, bringen nichts. Ich bin dafür, einmal mehr Geld auszugeben, um Abläufe zu modernisieren und damit langfristig zu sparen.“
Das Triell über Billigprodukte und faire Waren
Uschi-Glas-Ehemann Dieter Herrmann aus München trifft Bauingenieurin Karin Schnabel aus Berlin und Professor Martin Lutzenberger (Volkswirtschaftslehre) aus Berlin.
Der größte Gegensatz dieser Runde besteht beim Kauf von Billigprodukten und fair produzierter Qualitätsware. Lutzenberger bringt großes Verständnis beispielsweise für eine Kindergärtnerin auf, die 1400 Euro am Ende des Monats nach Hause bringt. „Wie soll die sich teure Dinge leisten?“, stellt er in den Raum.
Dafür bekommt er viele Widerworte von Herrmann und Schnabel. Beide sind sich einig, dass gezieltes Einkaufen angesagt sei. „Lieber eine gute Jeans als zehn billige“, meint Bauingenieurin Schnabel.
Alles andere sei gedankenlos und gleichgültig. „Wegwerfgesellschaft“, bringt es Herrmann auf den Punkt. Er könne es deshalb auch nicht verstehen, dass gerade in Haushalten, in denen das Geld knapp ist, oft nicht mehr zu Hause gekocht wird. „Eine Pizza und ein Burger gekauft – und weg ist das Geld“, verdeutlicht Herrmann den Konflikt.
„Ja, manche Einkäufe dienen der reinen kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung“, gibt Martin Lutzenberger am Ende doch zu. Und bei allen besteht Einigkeit: „Alle Produkte, die wir kaufen, sollten ohne Kinderarbeit und mit einem fairen Lohn für die Mitarbeiter entstanden sein.“
Uneins bei Trump
Donald Trump (78) spaltet die Gemüter. In den USA und bei „Deutschland spricht“. Die Frage, ob der US-Präsident eine Bedrohung für die Demokratie bedeutet, verneint Pädagogin Flora Pich (50) aus Berlin, die früher in den USA gelebt hat.
Sie sagt: „Ich habe kein Problem mit ihm. Ich finde sogar gut, dass er Dinge anpackt, mal wirklich etwas passiert. Die Medien übertreiben in der Berichterstattung über ihn, machen ihn zu einer größeren Bedrohung als er ist.“
Der Teamleiter im Integrationsfachdienst Dirk Plamböck (64) aus Berlin kann diese Ansicht nicht teilen. „Wer mit Denkverboten arbeitet, ist eine Gefahr für die Demokratie. Es zensiert die Wissenschaft. Das ist alles höchst problematisch.“
Streitthema: E-Mobilität
Rentner Ralf Romahn aus Berlin trifft auf den leitenden Angestellten Tobias Pforte-v. Randow aus Berlin. Eines ihrer Streit-Themen: E-Mobilität.
Romahn: „Als ich aus der DDR kam, habe ich Freiheit erfahren. Und jetzt? Dinge wie Verbrenner-Aus und CO₂-Bepreisung sind Zwänge. Obendrein gibt es kaum Lademöglichkeiten für die E-Autos. Wegen meiner Lungenfibrose bin ich auf meine Karre angewiesen.“
Pforte-von Randow: „Es geht nicht um ein Verbot, sondern um Grenzwerte. Klimapolitisch und wirtschaftlich führt kein Weg an E-Mobilität vorbei, sonst geht die deutsche Autobranche unter.“ Am Ende sind sich beide sind einig, dass Deutschland bei der E-Mobilität anschlussfähig werden muss.
Differenzen bei Migration
Der wissenschaftliche Mitarbeiter Friedrich Birr trifft auf Success Manager Richard Weiss, beide kommen aus Berlin.
Weiss betont die Unterscheidung zwischen Arbeitsmigration und Flüchtlingen und fordert, dass straffällige Flüchtlinge ihr Aufenthaltsrecht verlieren: „Wenn jemand Straftaten begeht, dann verwirkt er damit das Recht, dass wir ihn in unserem Land freundschaftlich aufgenommen haben.“
Birr warnt dagegen vor zu einfachen, symbolischen Lösungen: „Die Realität ist eben komplizierter als zu sagen: ,Ab ins Flugzeug und tschüs‘. Es ist trotzdem noch ein Mensch.“