Darüber streiten heute Tausende Menschen

An diesem Sonntagnachmittag werden sich in Deutschland Tausende, einander bisher fremde Menschen zu einem Date der besonderen Art treffen, in Cafés oder an einem anderen öffentlichen Ort. Sie werden sich an einen Tisch setzen und eine politische Diskussion führen, über Migration, den Ukrainekrieg, Gerechtigkeit und all die anderen Fragen, die derzeit das Land entzweien. Und sie werden versuchen, ihr Gegenüber dabei etwas besser zu verstehen.

Das ist die Idee von , einer Aktion, die ZEIT ONLINE erstmals vor acht Jahren organisierte. Rund 10.000 Menschen haben sich für die aktuelle Ausgabe registriert, indem sie auf ZEIT ONLINE und auf den Seiten der diesjährigen Medienpartner und -Zeitung acht kontroverse Fragen beantwortet haben: Ist Deutschland ein gerechtes Land? Sollte die Regierung das Bürgergeld kürzen? Sollte Deutschland Geflüchtete an der Grenze zurückweisen? Anschließend hat ein Algorithmus jene Menschen zusammengebracht, die in möglichst vielen dieser Fragen uneins sind – und bestenfalls nah beieinander wohnen. An diesem Sonntag treffen sie sich überall in Deutschland, eine Woche vor der Bundestagswahl. 

Ein Blick auf die Diskussionspaare in diesem Jahr zeigt: Noch nie waren die Teilnehmer von so unterschiedlich, selten kamen sie aus derart verschiedenen Milieus. Ein Triebfahrzeugführer trifft auf einen promovierten Informatiker, eine Sicherheitskraft auf einen Ingenieur, eine Rentnerin auf einen Lokführer im Ruhestand. Ein Grund dafür ist, dass der Algorithmus viele Leserinnen und Leser der -Zeitung und der mit ZEIT-ONLINE-Lesern zusammengebracht hat. Alle drei Medienpartner unterscheiden sich auch in ihrer Leserschaft. 

In den Antworten der Teilnehmenden spiegeln sich zudem die politischen Debatten der letzten Wochen wider. Kein Thema ist unter den Teilnehmenden so kontrovers wie das der Migration. Rund 60 Prozent befürworten, dass Deutschland Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen sollte, etwa 40 Prozent sind anderer Meinung. Fast 70 Prozent der Teilnehmenden sprechen sich für mehr Abschiebungen aus. Auch in der Frage, ob Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern soll, sind die Diskutanten gespalten: 60 Prozent befürworten das, 40 sind dagegen.  

Wie auch in früheren Jahren unterscheidet sich das Antwortverhalten von Männern und Frauen deutlich. Bei fast allen Fragen neigen die weiblichen Teilnehmenden zu liberaleren Positionen. Auf die Frage, ob Donald Trump eine Gefahr für die Demokratie ist, antworteten 83 Prozent der Frauen mit Ja. Unter den Männern stimmten dem nur rund 63 Prozent zu. Noch größer ist die Diskrepanz bei der Frage nach zusätzlichen Mitteln im Kampf gegen den Klimawandel. Rund 74 Prozent befürworten, dass der deutsche Staat mehr Geld ausgibt, um das Klima zu schützen. Bei den Männern sind es nur rund 48 Prozent. 

Große Unterschiede zwischen jung und alt, Stadt und Land

Auch das Antwortverhalten der Jungen und Alten ist auffällig unterschiedlich. Beispiel Klima: Mehr als 80 Prozent der unter 30-Jährigen befürwortet höhere Ausgaben für den Klimaschutz, bei den über 65-Jährigen sind weniger als die Hälfte dafür. Besonders stark ist der Generationenunterschied bei der Migrationsfrage: Nur ein Viertel der unter 30-Jährigen befürwortet mehr Abschiebungen, bei den über 65-Jährigen sind es fast 70 Prozent. Beispiel Bürgergeld: Auch hier sind die Jungen – anders als die Älteren – mit großer Mehrheit gegen eine Kürzung der Sozialtransfers. Ähnlich ist die Tendenz, wenn man Stadt und Land vergleicht: Die Bewohner der Großstädte vertreten deutlich liberalere Positionen als die Landbewohner.  

Alt und Jung, Männer und Frauen, Stadt und Land: Bei treffen diese unterschiedlichen Perspektiven am heutigen Nachmittag aufeinander. Es wird sicherlich gestritten werden, dafür unterscheiden sich die politischen Auffassungen zu sehr. Und doch könnten die tausendfachen persönlichen Begegnungen auch etwas bewirken, was Deutschland gerade gut gebrauchen könnte: Das Gefühl, dass man am Ende doch noch einen Kompromiss finden kann, der die Mitte zusammenhält.