Die bayerische Landeshauptstadt: eine einzige Festung. Bewaffnete Polizisten patrouillieren durch die Straßen, ein Blaulicht-Konvoi nach dem anderen fährt durch die Innenstadt. Es ist das Wochenende der Münchner Sicherheitskonferenz, das wohl bedeutendste sicherheitspolitische Ereignis des Jahres im altehrwürdigen Nobel-Hotel Bayerischer Hof. Die wichtigsten Staats- und Regierungschefs, Top-Militärs und Konzernchefs sind angereist.

Erwartet wurde, dass die neue US-Regierung des wiedergewählten Präsidenten Donald Trump (78) die ersten Details über den Friedensplan präsentieren würde, um Russlands Krieg gegen die Ukraine zu beenden.

Doch der große Krieg in Europa und Trumps mysteriöser „Deal“ wurden fast zum Nebenthema. Stattdessen präsentierten die USA einen Deal zwischen Amerika und Europa.

Am Freitagnachmittag trat US-Vizepräsident J.D. Vance vor das Podium. Er gedachte der Opfer des Auto-Anschlags von München, bedankte sich für die Gastfreundschaft der Bajuwaren. Als Applaus aufbrandete, erklärte er: „Ich hoffe, dass dies nicht der letzte Applaus ist, den ich bekomme.“ Die Hoffnung sollte sich nicht erfüllen.

„Die Bedrohung, die mir in Bezug auf Europa am meisten Sorgen bereitet, ist nicht Russland, nicht China“, sondern die Bedrohung „von innen“. Vor allem: die Abkehr von der Meinungsfreiheit, so Vance.

Dann holte der Trump-Vize zum Rundumschlag gegen den Großteil der europäischen Regierungen aus.

Vance warnt Europa: „Dann kann Amerika nichts für Sie tun“

Vance warf Europa vor, Inhalte auf sozialen Medien zu zensieren und kritische Meinungsäußerungen zu verfolgen. Regierungen würden versuchen, mithilfe von „hässlichen Worten aus der Sowjetzeit wie ,Fehlinformation‘ und ,Desinformation‘“ Andersdenkende mundtot zu machen.

Indirekt forderte Vance die deutschen Parteien dazu auf, mit der AfD zusammenzuarbeiten. „Es gibt keinen Platz für Brandmauern“ in der Demokratie. Und stellte lobend fest, dass „immer mehr Menschen politische Führungspersönlichkeiten wählen, die versprechen, der unkontrollierten Migration ein Ende zu setzen“.

Und schließlich erklärte er das, was er verkündet hatte, zur Bedingung für ein gutes Verhältnis zu den USA. Womöglich gar für den Schutz Europas durch die Amerikaner.

„Wenn Sie vor Ihren eigenen Wählern Angst haben, gibt es nichts, was Amerika für Sie tun kann. Und im Übrigen können Sie dann auch nichts für das amerikanische Volk tun, das mich und Präsident Trump gewählt hat.“

Gespräche hinter verschlossenen Türen verliefen harmonischer, als die Vance-Rede vermuten ließ

Viele deutsche Politiker reagierten überrascht bis entsetzt.

Nach BILD-Informationen verliefen die Treffen von JD Vance mit den deutschen Delegationen deutlich harmonischer als die anschließende Rede es vermuten ließ. CDU/CSU-Politiker berichteten von einem zugewandten und interessierten Vizepräsidenten, der kein Wort über die AfD verloren hat. Und Deutschland als wichtigen Partner der USA hervorhob.

Auch den Hinweis der Unions-Delegation, dass die AfD eine im Kern antiamerikanische Partei sei, habe Vance neugierig zur Kenntnis genommen. Erst später kam heraus, dass der Trump-Vize in München auch die AfD-Chefin Alice Weidel (46) getroffen hatte.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz reagierte kritisch auf die Vance-Rede. „Wir respektieren die Präsidentschaftswahlen und die Kongresswahlen in den USA und erwarten, dass die USA dasselbe hier tun“, erklärte der CDU-Chef. Seine Äußerungen gehörten noch zu den freundlichsten aus der deutschen Politik.

SPD stellt sich offen gegen Vance

Mit bebender Stimme erklärte SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Bühne: Vance „spricht von der Annullierung der Demokratie und wenn ich ihn richtig verstanden habe, vergleicht er Zustände in Teilen Europas mit denen in autoritären Regierungen“. Europas Demokratie „wurde vom US-Vizepräsidenten für ganz Europa vorhin infrage gestellt“, so Pistorius. „Das ist nicht akzeptabel.“

Über den großen Krieg in Europa sagte der US-Vizepräsident bei seiner ersten großen Rede in Europa kein einziges Wort.

Vizekanzler Robert Habeck (55, Grüne) sagte bei RTL/n-tv an Vance gerichtet: „Kümmere dich um deinen eigenen Kram, da gibt’s Aufgaben genug in den USA.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich gegen Vance. Er werde es „nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei (der AfD, d. Red.) in unsere Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen.“ Und: „Das gehört sich nicht, erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten.“

Doch genau diese Frage bleibt nach dem Wochenende offen: Bleiben jene europäischen Länder mit den USA befreundet und verbündet, wenn ihre „grundlegendsten Werte“, wie Vance sagte, nicht zur Trump-Regierung passen?

Selenskyj warnt Europa vor Russlands riesiger Armee

Mit einer fast schon verzweifelten Rede versuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (47), das zutiefst verunsicherte, mit sich selbst beschäftigte Europa wieder hinter einem Ziel zu versammeln: der gemeinsamen Verteidigung gegen den russischen Diktator Wladimir Putin (72).

„Es möchte keinen Frieden“, erklärte Selenskyj am Samstag über Russland. „Es bereitet sich nicht auf Dialog vor.“

Russland habe „doppelt so viele“ Soldaten wie die Ukraine und die Nato in Europa zusammen, warnte er. „Selbst zusammen sind wir nicht mit der russischen Armee vergleichbar.“

Es war die Rede eines Mannes, der weiß, was Krieg bedeutet. Und der alles tun will, um ihn zu beenden und einen neuen zu verhindern. „Ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu ihrem eigenen Wohl“, betonte Selenskyj. „Die Zeit ist gekommen, die Streitkräfte Europas müssen geschaffen werden.“