Vier schlichte Worte,
beinahe bekenntnishaft klingen sie: „Politisch Verfolgte genießen
Asylrecht.“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 16 a, Absatz 1. Der
Parlamentarische Rat, der von September 1948 bis Mai 1949 über das
Grundgesetz beriet, habe damit etwas völlig Neues geschaffen, lautet die
gängige Einschätzung. Von einem „Sonderweg“, eingeschlagen, um
ausländischen Verfolgten umfassend Schutz zu gewähren, sprach unlängst
der Historiker Heinrich August Winkler. Sein Kollege, der
Migrationsforscher Klaus Bade, hat den Artikel 16 sogar als „die
historische Antwort der Deutschen auf die Erfahrungen des
Nationalsozialismus“ bezeichnet.
Vertieft
man sich in die Protokolle des Parlamentarischen Rates und
rekonstruiert man die Debatten, die vor 75 Jahren die Entstehung des
Grundgesetzes begleiteten, ergibt sich ein anderes Bild. Zwar ist das
Grundrecht auf Asyl bis heute eine besondere Errungenschaft der
westdeutschen Demokratie, aber es war seinerzeit weniger eine Lehre aus
der NS-Zeit als eine Reaktion auf die Herausforderungen der
Nachkriegsjahre. Dem Parlamentarischen Rat ging es daher nicht vorrangig
um ausländische Verfolgte – sondern um deutsche.
Ein Asylrecht für Deutsche?
„Die
Gewährung des Asylrechts für politisch verfolgte Ausländer erscheint
als zu weitgehend“, betonte am 16. November 1948 der Redaktionsausschuss
des Rates und legte stattdessen folgenden Entwurf für einen Asylartikel
vor: „Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit,
Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird,
genießt im Bundesgebiet Asylrecht.“
Ein Asylrecht für
Deutsche? Ja, um verfolgten Deutschen aus der sowjetischen
Besatzungszone (SBZ) Schutz zu gewähren. Darum drehte sich die Debatte
im Kern. Heute ist dies so gut wie vergessen. Damals war es alles andere
als ein Geheimnis. So heißt es 1955 in einer Entscheidung des
Bundesgerichtshofs, dass sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes
vorwiegend mit der Frage befasst hätten, „ob deutschen Staatsbürgern
›Asyl‹ zustehe“. Und der Justizminister von Baden-Württemberg, Viktor
Renner (SPD), behauptete am 10. Oktober 1952 im Bundesrat mit Blick auf
das Asylrecht, „dass eben die Ausländer nicht gemeint waren, sondern nur
Deutsche“.
Den Hintergrund dieser Debatte bildete die innerdeutsche Fluchtkrise,
die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte: Seit Jahresbeginn
1947 flohen immer mehr Menschen aus der SBZ in die Westzonen, da sich
ihre Lebensbedingungen massiv verschlechterten und die politische
Verfolgung zunahm. Vor allem Niedersachsen war aufgrund seiner langen
Demarkationslinie zur sowjetischen Zone von illegalen Einreisen
betroffen. Dennoch hatte die britische Besatzungsmacht angeordnet, dass
alle SBZ-Flüchtlinge in der britischen Zone aufgenommen werden müssen.
Mit mehr als zwei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen war
Niedersachsen bald regelrecht überfüllt. Am 7. Mai 1947 erließ die
niedersächsische Regierung deshalb mit britischer Zustimmung eine
Verordnung, wonach nur noch politisch Verfolgte, die „einen Nachweis
hierfür erbringen“, Aufnahme finden sollten. Von diesem Zeitpunkt an
mussten SBZ-Flüchtlinge ein Asylverfahren durchlaufen. Wer keine
Verfolgung nachweisen konnte, durfte nicht bleiben. Das Ziel der neuen
Verfahren (die bald auch die anderen Länder der britischen Zone
übernahmen) war also ein doppeltes: Sie sollten Verfolgte schützen und
zugleich die Zuwanderung reduzieren. Mindestens zwei Drittel der
Flüchtlinge wurden fortan zurückgeschickt.
Anders war die Lage in der
amerikanischen Zone. Die US-Behörden schoben illegal eingereiste
SBZ-Flüchtlinge sofort wieder ab. Selbst politisch Verfolgte verschonten
sie in der Regel nicht. Allein im Sommer 1947 griffen amerikanische
Grenzschützer monatlich rund 36.000 Flüchtlinge auf und übergaben sie
den sowjetischen Grenzbeamten.
Unterschiedliche Motive für die Asylpolitik
Die
Länder in der US-Zone begrüßten dieses Vorgehen, forderten aber
Ausnahmen für politisch Verfolgte. Deshalb führten sie im Frühjahr 1947
informelle Anerkennungsverfahren ein, um Flüchtlinge im Einzelfall
schützen zu können. Die Korrespondentin der Marguerite
Higgins, berichtete am 24. Juli 1947, dass die deutschen Beamten
US-Militärgouverneur Lucius D. Clay durch diese Praxis dazu bewegen
wollten, „seine Haltung etwas zu modifizieren“. Kurz darauf bat der
stellvertretende bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner Clay im
Namen der Länder darum, „eine Ausnahme für die zwei bis drei Prozent der
illegalen Zuwanderer zu machen, die sich in der Situation befänden,
nach ihrer Rückkehr nach Sibirien oder in andere Gegenden verschickt zu
werden“. Doch der Militärgouverneur blieb hart. Er müsse darauf
bestehen, „dass alle zurückgehen“.
Die
Länder der britischen und der amerikanischen Zone hatten also überaus
unterschiedliche Motive für ihre Asylpolitik. Da sich ihre Ziele aber
mit demselben Mittel erreichen ließen – mit Anerkennungsverfahren für
Geflüchtete –, einigten sie sich schon im Sommer 1947 auf ein
einheitliches Asylprozedere: die einen, um mehr Flüchtlinge abschieben
zu können, die anderen, um einige wenige vor der Abschiebung zu retten.
1948 schlossen sich auch die Länder der französischen Zone an.