Vier Befragte, vier Pläne für die Zukunft

Das zweite große TV-Duell des Wahlkampfes war kein Schlagabtausch der vier Kanzlerkandidaten. Die Politiker von SPD, Union, Grünen und AfD diskutierten in der ZDF-Sendung nicht
miteinander, sondern stellten sich nacheinander den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.

In 120 Minuten wandte sich eine ausreisepflichtige georgische
Altenpflegerin an die AfD-Kandidatin Alice Weidel. Eine Solingerin trug ihre Sorge um die Sicherheit
ihrer Familie an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heran. Und ein langjähriger Grünenanhänger fragte deren Spitzenkandidaten, Robert Habeck,
was die einstige Friedenspartei eigentlich noch für den Frieden täte. Ein ThyssenKrupp-Mitarbeiter wollte von Merz wissen, wie er Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen will. Jeder Kandidat hatte 30 Minuten. 

Überschattet wurde die Sendung von dem mutmaßlichen Anschlag
in München
, bei dem ein Mann ein Fahrzeug in eine Menschenmenge gefahren hatte. Als die
Sendung mit zehnminütiger Verspätung begann – das ZDF sendete eine
Sondersendung zu der Tat – trat als Erster der Bundeskanzler vor das Publikum.    

„Wir haben Angst“

Die erste Frage kam von einer Frau aus Solingen, wo im
vergangenen Sommer ein Mann bei einem Anschlag drei Menschen tötete. „Wir haben
Angst“, sagte sie. „Wenn Sie nicht massiv etwas ändern, tragen Sie dann
nicht eine moralische Mitschuld an jedem einzelnen Mord, der bisher
stattgefunden hat?“ Jede einzelne Tat sei unerträglich, antwortete Scholz.
Innere Sicherheit müsste mit größter Priorität behandelt werden. Sicherheitsbehörden
bräuchten weitere Befugnisse, zudem müsse es mehr Abschiebungen geben. „Wer
keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und Straftaten dieser Art begeht, der
muss auch damit rechnen, dass wir ihn aus diesem Land wieder zurückbringen,
wegbringen und ihn abschieben“, sagte der Kanzler.

Scholz nutzte die Gelegenheit, um Erfolge seiner
Kanzlerschaft zu nennen: Mindestlohn, Kindergeld und Kinderzuschlag,
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, Ausbau der erneuerbaren Energien
und Investitionen in wichtige Industrien. „Wir haben unser Land sogar
durch die größte Krise der Nachkriegszeit geführt, nach dem russischen
Angriffskrieg auf die Ukraine und dem plötzlichen Ausfall sämtlicher
Energielieferungen.“ Er spiele weiterhin auf Sieg, sagte der Noch-Kanzler auch.
„Ich spiele nicht nur auf Sieg, ich will auch gewinnen. Das gehört dazu.“

Der Vizekanzler wirbt für Kompromissbereitschaft

Nach Scholz kam Habeck. Im Studio trafen die Kandidaten nur in diesen Übergängen aufeinander. In seiner ersten Frage wurde
der Grünen-Kanzlerkandidat auf das Scheitern der Ampelkoalition angesprochen.
Ein Studiogast erzählte von seiner Politikverdrossenheit und fragte: „Wie wollen
sie jetzt Wähler überzeugen, überhaupt wählen zu gehen?“

Die Ampel sei letztlich nicht primär an inhaltlichen
Differenzen gescheitert, sondern weil die Parteien verlernt hätten, Kompromisse
als etwas Gutes zu begreifen, antwortete Habeck. Vor diesem Hintergrund
kritisiert der Vizekanzler Politiker, die „keinen Millimeter
nachgeben“. Das Studio applaudierte.

Weiter ging es mit einem Kernthema der Grünen: der
E-Mobilität. Rückläufige Zahlen bei der E-Auto-Zulassung, auslaufende Förderungen
und eine Autoindustrie, die in der Krise steckt – wo sei der Masterplan für die
Energiewende, die für die Wirtschaft kalkulierbar und damit auch finanzierbar
sei, fragte ein Studiogast. Sein Unternehmen habe aufgrund von gestrichenen
Förderungen seine Fahrzeugflotte nicht elektrifizieren können, warf er dem Grünen-Kanzlerkandidaten
vor.

„Derjenige, der ein Aggressor ist, darf nicht erfolgreich sein“

Habeck verwies auf die schwierige Haushaltssituation: „Wir
hatten 60 Milliarden für solche Transformationsprojekte – und dagegen wurde
geklagt von der Opposition.“ Hätte er geahnt, welche fatalen
psychologischen Effekte die Entscheidung für die Kaufentscheidung vieler
Menschen haben würde, hätte er versucht, Änderungen am Haushalt vorzunehmen. Für
die Zukunft versprach der amtierende Wirtschaftsminister eine Kaufprämie und
steuerliche Unterstützung für den Kauf von E-Autos.

Kritik erfuhr der Kanzlerkandidat der Grünen auch von einem langjährigen
Anhänger. Die Friedensposition der Partei sei nicht mehr klar. Habeck zeigte
sich dankbar über diese Frage. Viele wünschten sich Frieden, ohne sich Putin zu
unterwerfen, sagte Habeck. Doch heute sei die Situation eine andere als noch im
Kalten Krieg. Dieser nun „heiße Krieg“ könne nur mit einer Friedensordnung
beendet werden. „Derjenige, der ein Aggressor ist, darf nicht erfolgreich
sein“, begründete der Grünenpolitiker seine Unterstützung für Militärhilfen an
die Ukraine

Weniger überzeugt zeigte sich das Publikum von der
AfD-Kanzlerkandidatin, als sie von einer Willkommenskultur gegenüber qualifizierten
Zuwanderern sprach. Diese seien auch von der AfD auf dem deutschen Arbeitsmarkt
herzlich willkommen. Damit widersprach sie den bisherigen Positionen ihrer
Partei. 

Die erste Frage stellte jedoch nicht das Publikum, sondern Moderator Christian Sievers der AfD-Kanzlerkandidatin. Er bat sie um eine Einschätzung zu dem mutmaßlichen Anschlag in München. Weidel lehnte das Wort „mutmaßlich“ in diesem Zusammenhang ab.

Weidel spricht von Willkommenskultur

„Welche Zukunft sieht die AfD für Deutschland in Europa?“,
fragte eine junge Frau die AfD-Spitzenkandidatin. Weidel kritisierte in ihrer
Antwort vor allem die EU-Kommission. Sie sprach von einer „Durchbrechung der
Gewaltenteilung“ und einer „Entmachtung der nationalen Parlamente“. Ihre Partei
wolle die Kompetenzen der Kommission zurückbauen und die Parlamente der Staaten
wieder stärken. Zudem fordere die AfD mehr direkte Demokratie.

Als Letzter betrat Merz das Studio. Dort traf er noch auf
Weidel, die einer Zusammenarbeit der beiden Parteien offen gegenübersteht. „Natürlich
sind wir immer bereit für vernünftige Politik“, sagte sie. „Davon
habe ich bisher nichts gehört und gesehen“, entgegnete der Kanzlerkandidat
der Union. Ein solches Angebot würde er ablehnen. „Wir haben nur eine Entscheidung getroffen: mit
Ihnen nicht“, sagte Merz.

Merz erwartet „harte Ansage“ der USA

Angesprochen auf die
Ukrainepolitik kritisierte Merz die amtierende Regierung. Es hätten früher
mehr Waffen geliefert werden müssen, sagte der Kanzlerkandidat. „Wir
werden uns alle den Vorwurf machen, dass wir der Ukraine nicht früher geholfen
haben.“ Seine Sorge sei, dass Wladimir Putin die Nachkriegsordnung
zerstören werde.

Auch mit Blick auf die USA zeigte sich der CDU-Politiker
besorgt. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz erwarte er in den kommenden Tagen eine „brutal harte
Ansage der Amerikaner“
, wenn dort der US-Vizepräsident J. D. Vance spreche.
Dieser werde eine konfrontative Rede halten, sagte Merz und forderte eine „europäische
Antwort“.