Der Kulturfeind will die Kultur übernehmen

Am Mittwoch erschien auf der Homepage des Kennedy Center ein
gelb unterlegter Warnhinweis. Die Website sei ab Mitternacht Ortszeit
vorübergehend nicht erreichbar, wegen „geplanter Wartungsarbeiten“. Wie weit im
Voraus diese vermeintlichen Wartungsarbeiten wirklich geplant waren, ist
deshalb eine interessante Frage, weil sie zeitlich zusammenfallen mit der
Nachricht vom selben Tag, dass US-Präsident Donald Trump ab sofort eine weitere
Rolle übernehmen wird: den Aufsichtsratsvorsitz des Kennedy Center, der wichtigsten
Stätte für darstellende Künste in der US-Hauptstadt Washington, D. C.

Seinem gesetzlichen Auftrag nach ist das Kennedy Center das
„nationale Kulturzentrum“, als solches wurde seine Errichtung vom US-Kongress
beschlossen und 1958 vom damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower
beauftragt. Seinen vollen Namen als John F. Kennedy Center for the Performing
Arts erhielt das Zentrum im Jahr 1964 im ehrenvollen Gedenken an den ermordeten
Nachfolger Eisenhowers. Die Geschichte des Kennedy Center verweist also schon
in seinem Namen auf eine präsidentielle Rolle, jedoch lediglich die als Ermöglicher der Künste. Das
Kennedy Center erhält vom Kongress bewilligte Bundesmittel, jedoch nur
für den Betrieb und Erhalt seiner Liegenschaften; das Programm selbst wird über Ticketeinnahmen und Spenden finanziert. Und vor Donald Trump
hat es kein US-Präsident gewagt, sich vernehmbar in die Geschicke dieser
Kultureinrichtung einzumischen, gar über sie herrschen zu wollen.

Trump hatte bereits am vergangenen Freitag angekündigt, die
Position als Chairman des Board of Trustees des Kennedy Center zu übernehmen
. Dieses Aufsichtsgremium ist üblicherweise parteipolitisch paritätisch besetzt mit
Vertreterinnen und Vertretern von Republikanern und Demokraten, zuletzt etwa
gehörte ihm der nunmehr ehemalige US-Außenminister Antony Blinken an. Trump
jedoch hat sämtliche Aufsichtsräte der Demokraten aus dem Board entfernen
lassen und lediglich Republikaner neu benannt. Das Gremium wacht sowohl über die Ausgaben wie die künstlerische
Ausrichtung des Kennedy Center. Sein Vorsitzender, künftig also Trump, verfügt
zudem über ein Vetorecht gegenüber Entscheidungen dieses Aufsichtsrats. Da der
nun ausschließlich mit Günstlingen Trumps besetzt ist, darunter Mitgliedern
seines Kabinetts wie der designierten Justizministerin Pam Bondi und der Stabschefin
Susie Wiles, wird er dort jedoch kaum Vetos einlegen müssen.

Am heutigen Donnerstag um sechs Uhr morgens deutscher Zeit
gingen dann erst einmal die Onlinelichter des Kennedy Center aus. Auf dessen
Homepage bat eine schlichte weiße Schrifttafel um Verzeihung für „mögliche
Unannehmlichkeiten“, der Online-Ticketverkauf sei ausgesetzt. Es ist aber auch
eine ziemlich umfängliche Website, die das Kennedy Center üblicherweise
unterhält, allein schon für sein Ankündigungsprogramm in den Sparten Oper,
klassische Musik, Ballett, Theater, Jazz, Hip-Hop und Comedy. Das Kennedy Center
organisiert über 2.000 Veranstaltungen pro Jahr, die mehr als zwei Millionen
Besucher anziehen. Es ist die Spielstätte des National Symphony Orchestra und
der Washington National Opera, sein 1971 eingeweihter Bau am Potomac River ist
auch das größte Kulturzentrum der US-Hauptstadt. Die ist gesegnet mit Museen wie der National
Gallery of Art, dem Smithsonian American Art Museum, der National Portrait
Gallery, dem National Museum of Natural History, dem National Museum of African
American History and Culture. Aber außer dem Kennedy Center verfügt
Washington über keine wesentlichen Bühnen für Opernaufführungen oder klassische
Konzerte. Erst vor ein paar Monaten gastierten etwa die Berliner Philharmoniker
auf ihrer US-Tournee im Kennedy Center.

Nun ist Donald Trump bislang weder als Klassik-, Opern- noch
Theaterfreund bekannt geworden, und nach allem, was man weiß, hat er das
Kennedy Center noch nie betreten. Im Gegenteil, in seiner ersten Amtszeit blieb
er entgegen allen Gepflogenheiten der
Verleihung der Kennedy Center Honors fern, die dort unter der symbolischen
Schirmherrschaft des jeweiligen US-Präsidenten alljährlich an fünf
herausragende Künstlerinnen und Künstler vergeben werden. Auch wurden die
Geehrten während Trumps erster Amtszeit nicht mehr wie üblich im Weißen Haus
empfangen, nachdem 2017 gleich mehrere der Ausgezeichneten angekündigt hatten,
dort wegen Trump nicht erscheinen zu wollen. Während Bilder seiner Vorgänger
Barack Obama (dem bei einer Performance von Aretha Franklin die Tränen kamen)
und Joe Biden aus dem Kennedy Center in Erinnerung blieben, hat Donald Trump sich vorab
schon ein eigenes machen lassen und am vergangenen Samstag auf seiner
Social-Media-Plattform Truth Social gepostet: ein offenkundig KI-generiertes
Foto, das ihn als Dirigenten zeigt
, versehen mit der Botschaft „“

„Antiamerikanische Propaganda“

Es ist ein lächerliches Bild. So wie die
Quasi-Selbsternennung eines sich bislang in Kulturdingen bestenfalls ahnungslos
Äußernden wie Donald Trump zum Chairman des Kennedy Center lächerlich
erscheinen mag. Als er am Montag den früheren US-Botschafter in Deutschland,
Richard Grenell, zum Interims-„Executive Director“ des Kennedy Center ernannt
hat und damit absurderweise auf einen Posten hob, den es gar nicht gibt, schrieb Trump auf Truth Social davon,
er werde im Kennedy Center „antiamerikanische Propaganda“ nicht mehr dulden – was er damit
meinte, ist unklar, anzuführen wusste er nur völlig unschuldige Drag-Shows. Es
ist nicht davon auszugehen, dass der Nichtbesucher Donald Trump irgendeine
Ahnung vom bisherigen Kulturprogramm des Kennedy Center hat. Man weiß bislang
auch nichts über seine Vorstellungen, was dort künftig aufgeführt werden soll.

Womöglich ist Trumps Angriff auf diese Kulturinstitution
aber auch ein ernstes Warnzeichen, dass er sich nicht nur die staatliche
Bürokratie untertan machen und mindestens teilweise abschaffen möchte, nicht
nur die Autorität der Judikative in den USA herauszufordern und jede politische
Norm zu verletzen bereit ist – sondern auch noch die Kultur in den Vereinigten
Staaten von Amerika seinem Willen und persönlichem Geschmack unterwerfen will.
In seiner ersten Amtszeit hat Trump noch beleidigt Abstand gehalten zu
US-Kulturschaffenden, die jedenfalls öffentlich in ihrer überwältigenden
Mehrheit stets Kritik an ihm und seiner Politik geübt haben und sich nie mit
ihm sehen ließen. Nun übernimmt Trump eine ihrer bedeutendsten Institutionen.
Man kann das als Teil von Trumps angekündigtem Rachefeldzug an denen
verstehen, die er offenbar als Feinde begreift. Er selbst war immer ein Feind der Kultur.

Unmittelbar reagiert haben der Musiker Ben Folds, die
Opernsängerin Renée Fleming und die Fernsehserienproduzentin Shonda Rhimes.
Alle drei legten noch am Mittwoch ihre bisherigen Funktionen am Kennedy Center
nieder, Folds und Fleming als musikalische Berater, Rhimes als
Finanzvorständin. Den bisherigen Chairman und also seinen Vorgänger David M.
Rubenstein hatte Trump bereits vor Tagen gefeuert, am gestrigen Mittwoch ließ
er das neu zusammengesetzte Board auch die langjährige Präsidentin des Kennedy
Center, Deborah F. Rutter, noch schnell feuern, bevor sie selbst ihren bereits angekündigten
Rückzug vornehmen konnte. Grenell folgt ihr auf dem Posten – nicht als
Fantasie-„Executive Director“ von Trumps Gnaden, sondern interimistisch als Präsident, der die
Alltagsgeschäfte des Kennedy Center tatsächlich leitet.

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