Der Kampf um die Kunst der Nacht

Wenn in Deutschland von Kulturkürzungen
die Rede ist wie in den vergangenen Monaten, finden die Theater und Opernhäuser am meisten Gehör. Nicht
ganz ohne Grund, sie beschäftigen am
meisten Mitarbeitende, erhalten das meiste Geld und spielen fast das ganze Jahr.
Museen haben auch recht durchgehend geöffnet, aber weniger Beschäftigte, und Ausstellungsprogramme lassen sich zeitlich strecken; das ist nicht im Sinne von deren Vielfältigkeit und Auftrag, es macht Museen schlimmstenfalls auch zu weniger belebten Orten – fällt aber nicht so schnell auf, als wenn im Theater kaum noch Neuinszenierungen vor irgendwann schwindendem Publikum gezeigt werden. Doch all diese Kulturinstitutionen mussten und müssen nie so direkt um ihre Existenz kämpfen wie etwa Festivals. Die verfügen zumeist über keine eigenen Räumlichkeiten, und wer kein physisches Zuhause besitzt, bei dem sieht man auch nicht, wenn es leer steht. Festivals müssen nicht laut und weithin sichtbar abgerissen werden. Man kann sie leichter verschwinden lassen. Wenn man ihnen zum Beispiel weniger Geld gibt. Oder sie fragt, warum sie denn nicht genug eigenes verdienen, wo sie schon keine Spielstätten zu unterhalten haben.

In Berlin gibt es viele geförderte Festivals zwischen Jazz, Pop und Avantgarde. Gesprächsstoff liefern gerade Ctm und Pop-Kultur, zwei Musikfestivals, die im Fall von Ctm seit über 25 Jahren
und im Fall von Pop-Kultur seit über zehn Jahren mithelfen, Berlin als
Musikhauptstadt zu behaupten – in Deutschland sowieso, aber auch auf dem
europäischen Festland. Nun muss Berlin sparen, das haben alle mitbekommen, gerade in der Kultur. Elektronische Musik (wie bei Ctm) und
Popfestivals (wie Pop-Kultur) genießen in Deutschland noch immer nicht
die gleiche Wertschätzung wie andere Künste. Bei der Musik wird schnell die Frage gestellt: Muss die denn öffentlich gefördert werden, regelt das nicht der Markt? Das hat sich in Berlin unter dem Kultursenator und ehemaligen Musikmanager Joe Chialo nicht geändert. Es sieht so aus, als würde die Frage nun sogar noch lauter gestellt werden. Die Verteilgerechtigkeit im
Kultursektor, in dem sonst so viel von Gerechtigkeit geredet wird, ist in der
Praxis gering und verändert sich kaum. Und der Aufwand, nicht gebundene
Mittel stets von Neuem zu besorgen, verschwendet Kräfte.

Kein Theater musste während der Kürzungsdebatten der vergangenen Monate grundsätzlich an
seinem Konzept arbeiten, geschweige denn damit rechnen, dass es wirklich sofort
zu Ende geht. Bei Pop-Kultur ist das der Fall. Bei Textschluss dieses Artikels steht noch immer zur
Diskussion, ob das veranstaltende Musicboard Berlin eine Summe von 300.000 Euro titelscharf
bei diesem Festival einzusparen hat (was das Ende
bedeuten würde) und nicht woanders kürzen kann. Der Fortbestand des Ctm-Festivals wiederum, dessen aktuelle Ausgabe gerade über verschiedene Berliner Bühnen ging, vom Berghain über das Radialsystem
bis zur Volksbühne, hing vor wenigen Monaten noch an einem seidenen
Faden. 

Jan Rohlf ist
Mitgründer des Ctm-Festivals und dessen Gesicht in der halben Welt, aus der die Hälfte der 25.000 Besucher jeweils Ende Januar kommen (über das Jahr besuchen
10.000 weitere Zuschauer einzelne Ctm-Events). Rohlf ist sichtbar übermüdet,
denn diese Ausgabe wurde unter denkbar schlechten Bedingungen vorbereitet. Obwohl Ctm nicht direkt von den
drastischen Kürzungen des Berliner Kultursenats von Joe Chialo betroffen ist,
spüren Rohlf und sein Team die Situation unmittelbar. „Wir erhalten eine
vierjährige Förderung aus dem Festivalfonds, die uns bereits vor zwei Jahren um
50.000 Euro pro Jahr gekürzt wurde“, sagt er. Doch es braucht trotz
mehrjähriger Förderung jedes Jahr einen neuen sogenannten Zuwendungsbescheid,
um die verbleibende Förderung von 600.000 Euro zu erhalten. „Nach dem
Haushaltsstopp und der chaotischen politischen Kommunikation im Herbst wussten
wir anderthalb Monate gar nicht, ob wir die aktuelle Festivalausgabe
durchführen können.“

Mehr als sechs Wochen Verzögerung in
der Festivalplanung, zufällig das Erste seiner Größe im neuen Haushaltsjahr:
Das ist fahrlässig. Die Leistung musste gedrosselt werden, etwa im Marketing,
wo man ein paar Monate vor Festivalstart alle Ventile öffnen muss. Wann das
Programm veröffentlichen, welche Kanäle bewerben: So was sitzt nach 25 Jahren.
Fiel im Herbst aber alles um. Rohlf lobt dennoch: „Dank an die
Verwaltungsebenen in der Kulturverwaltung, die uns nach vielen Gesprächen
verstanden und sich bemüht haben, uns die Zusage machen zu können. Sonst hätten
wir tatsächlich abbrechen müssen für 2025.“

Zum Vergleich: Es gibt kleine Theater in
Berlin, die erhalten vom Land fast viermal so viel wie die Ctm, haben aber
höchstens ein Fünftel des Publikums, und zwar verteilt über das ganze
Jahr und nicht über zehn Tage Hauptfestival wie die
Ctm. Und so ein kleines Theater erhält das Geld als Regelsubvention. Wenn man das gegenüber Rohlf anspricht, der schon seit Jahrzehnten prekär arbeitet, aber damit einen alternativen
Berliner Leuchtturm geschaffen hat, nicht etwas Nischiges, überlegt er kurz. Und sagt dann: „Wir sind solidarisch mit den Institutionen und
Initiativen, denen man so kurzfristig und so unkommunikativ die Subventionen
kürzt.“ 

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