Meine Reise durch ein unruhiges Land beginnt in Thüringen – und führt mich zu meinem Vater nach Ostfriesland. Unterwegs bin ich vielen Menschen begegnet, die mir von ihren Sorgen und Ängsten erzählt haben – und von ihren Gründen, die AfD zu wählen.

Es sollte eine Reise werden, die ich nie vergessen werde. Eine, die mir immer wieder aufs Neue vermittelte, wie verunsichert so viele in Deutschland gerade sind. Aber auch, was die Republik zusammenhalten kann – der ganzen Risse zum Trotz.

Die Unzufriedenheit mit der Regierung, mit der Migrations- und Wirtschaftspolitik gibt es in ganz Deutschland. Und damit auch den Rechtsruck. In Thüringen und Sachsen allerdings sehen wir, wie weit die AfD schon gekommen ist. Es sind Wahlergebnisse, die noch vor Jahren niemand für möglich gehalten hätte.

Für meine Reportage-Reihe „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ (Montag, 20.15 Uhr, Sat.1) war ich immer wieder in Thüringen, um zu verstehen, was so viele Menschen zu einer Partei treibt, die laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextrem ist. Deren Vorsitzender Björn Höcke (52) Faschist genannt werden darf. Die Höcke-AfD, die besonders radikale Strömung, hat den größten Sieg eingefahren, könnte damit beispielhaft werden für die AfD in ganz Deutschland.

Was mir besonders auffiel: Gerade auch immer mehr Jungwähler bekennen sich sehr offen, machen klar, dass sie AfD wählen. Die Offenheit hat mich überrascht. Nicht nur, was die Wahl angeht. Sondern auch, dass viele bereitwillig mit mir ins Gespräch kamen, um über die Lage im Land zu reden. Viele WOLLEN reden und WOLLEN, dass Journalisten zuhören. Sie fühlen sich zu wenig gehört. Sie sagen, dass die „Berliner Probleme“, also die aus der Politblase Berlins, kaum etwas mit ihren Problemen zu tun haben.

Greiz, Ende Juli: Es ist die heiße Wahlkampfphase in Thüringen. Ich bin im Wahlkreis von Höcke unterwegs, um zu erfahren, was die Menschen an ihm so fasziniert, warum ein Rechtsradikaler hier so viele begeistert. Warum die AfD so groß ist. Die Straßen fast menschenleer. Anwohner, auch solche, die nicht AfD wählen, erzählen mir vom wirtschaftlichen Niedergang ihrer Heimat. Vom Wegzug der Jugend.

Uwe Staps (76), AfD-Funktionär und Höcke-Fan, empfängt mich in seinem Haus. Der ehemalige Polizist sagt: „Die Leute wurden über Jahre manipuliert. (…) Die vorgebildete Meinung ist, ‚Höcke ist ein Nazi‘. Das ist doch gar nicht die Realität.“ Meine Entgegnung, dass der Verfassungsschutz eindeutige Belege gesammelt hat, dass Höcke in der Vergangenheit immer wieder aufgefallen ist, wird sofort weggewischt. Mein Eindruck: Dass Höcke ein Rechtsextremist ist, wird entweder geleugnet oder nicht ernst genommen. Und dann gibt es diejenigen, die sich auch selbst als rechtsextrem bezeichnen, sogar stolz darauf sind.

Höcke: „Legen Sie mal eine andere Kassette ein, junger Mann!“

Interview-Anfragen von mir lehnt Höcke ab. Ich frage ihn bei einem Sommerfest, wie er damit umgeht, dass seine Partei vom Verfassungsschutz als „kämpferisch aggressiv“ bewertet wird.

Höcke, der sich als gestählter Anführer einer von allen bekämpften Bewegung gibt, den nichts aus der Ruhe bringen kann, reagiert überraschend dünnhäutig und unwirsch: „Sagen Sie mal! Legen Sie mal eine andere Kassette ein, junger Mann!“

Um dann zu seinen Anhängern über mich zu sagen: „Ich will ihn nicht wegscheuchen, der Mann ist ja therapiebedürftig.“ Später bauen sich seine Sicherheitsleute vor mir auf. Sie wollen, dass ich gehe. Aber ich bleibe. Weil ich ehrlich wissen will, was die Leute umtreibt.

Die AfD-Unterstützer beim Fest berichten, dass sie von Höcke begeistert sind. Dass Höcke vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, störe ihn nicht, sagt einer. „Er macht seinen Stil, der wird verstanden von dem großen Teil der Bürger in diesem Land.“

Die Wut auf die Ampel bekomme ich überall zu spüren auf meiner Reportage-Reise. Es sind drei Themen, die immer wieder in unterschiedlicher Weise genannt werden: Wirtschaft, Migration und der Krieg in der Ukraine.

Gastauftritt Wladimir Klitschko

Bei den Demonstrationen „für Frieden“ erkennen mich die Menschen als Kriegsreporter von BILD. Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder aus der Ukraine berichtet, auch Präsident Wolodymyr Selenskyj mehrfach interviewt. Meine Haltung stört manche der Demonstranten so sehr, dass sie mich beschimpfen, teilweise auch bedrohen. Es fallen Wörter, die mich schockieren.

Aber die Radikalen, die Wütenden – sie sind NICHT die Mehrheit. Auch bei denjenigen, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, treffe ich viele, die offen sind, diskutieren wollen, bereit sind, andere Meinungen zu akzeptieren.

Mein Eindruck ist, dass vielen hier so ein Ort fehlt, ein Stammtisch, wo sie sagen können, was sie denken, auch einmal Druck ablassen dürfen.

Besonders eindrucksvoll wird diskutiert, als ich Wladimir Klitschko, Ex-Boxweltmeister und Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko, zum Ukraine-Dialog nach Meiningen einlade. Es ist ein offenes Gespräch in Thüringen zwischen Menschen, die GEGEN die Waffenlieferungen sind und einem, der immer wieder an die Front in der Ukraine fährt.

Meine Mission bei dieser Sat.1-TV-Reportage ist vor allem: Zuhören. Ich wollte nicht belehren, sondern verstehen.

Wenn ich etwas gelernt habe auf meiner Reise, ist es: Nichts ist wichtiger als einander zuzuhören und nachzufragen. Wir leben in einem trotz aller Widrigkeiten tollen Land und sollten bereit sein, unterschiedliche Meinungen und Lebensgeschichten wirklich zu akzeptieren. Das kann unser Land wieder zusammenbringen, uns ein Stück weit versöhnen.

Sat.1 und der Streamingdienst Joyn zeigen die erste Ausgabe von „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ am Montag um 20.15 Uhr.