Sie ist bekannt wie nur wenige Oppositions-Politiker, seit Jahrzehnten umstritten wie nur ganz wenige: Ex-Linken-Ikone Sahra Wagenknecht (55) tritt erstmals mit ihrer Bewegung BSW zur Bundestagswahl an. Doch es kriselt zwei Wochen vor der Wahl. BILD am SONNTAG traf Wagenknecht zum Interview.
BILD am SONNTAG: Aktuell liegt Ihr BSW mal unter, mal knapp über der 5-Prozent-Hürde, zu Hochzeiten lagen Sie bei 10 Prozent. Was läuft schief?
Sahra Wagenknecht: Wir sind eine Partei, die es gerade ein Jahr gibt. Wir haben jetzt in diesem Wahlkampf gespürt, dass uns die anderen Parteien mit allen Mitteln bekämpfen und die Medien, die diesen Parteien nahestehen, auch. Und ich finde, für eine Partei, die so jung ist, sind natürlich Werte von 5,5 Prozent keine schlechten Werte.
Leben wir in Deutschland in Frieden?
Na ja, wir leben in einem harten Konflikt. Wir haben einen furchtbaren Krieg in der Ukraine. Und was ich der deutschen Politik vorwerfe, ist, dass sie nicht viel mehr tut, um diesen Krieg zu beenden.
Sie fordern, weniger Waffen für die Ukraine. Wenn sich einer nicht mehr verteidigen kann, ist natürlich das Morden zu Ende. Ist das Ihre Lösung?
Wir haben gefordert, dass man Russland anbietet, die Waffenlieferungen einzustellen, wenn Russland einem Waffenstillstand zustimmt. Es gibt zum Beispiel seit Mai letzten Jahres einen Friedensplan von Brasilien und China, den auch die Schweiz unterstützt. Er liegt auf dem Tisch. Warum hat nicht mal jemand bei Putin angerufen, ob er bereit wäre, auf Basis dieses Friedensplans die Waffen ruhen zu lassen?
Es gab Verhandlungsangebote an Putin, öffentlich, weltweit unterbreitet. Mehrfach abgelehnt – auch das öffentlich – vom Kreml.
Inzwischen geht doch jeder davon aus, dass der Krieg auf dem Verhandlungsweg endet. Aber ich muss ehrlich sagen: Da bin ich nicht diejenige, die jetzt die große Hoffnung auf Donald Trump setzt. Klar, vielleicht wird Donald Trump diesen Krieg beenden, weil er mit Putin verhandelt. Aber wir als Europäer sollten doch unsere Interessen sehen.
Sie haben einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt – ein Punkt: Mieten in Ballungsgebieten bis 2030 einfrieren! Wie viele Wohnungen werden dadurch neu entstehen?
Das ist nur ein Teil unserer Forderung. Natürlich muss man zunächst die Mieten einfrieren, weil die Menschen einfach arm werden durch diese enormen Mietsteigerungen. Gleichzeitig muss mehr gebaut werden – der Markt bringt es aber nicht: In Deutschland fehlen 800.000 Wohnungen, die Bauwirtschaft ist in einer Krise. Also müssen wir schauen, dass kommunale, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zinsgünstige Kredite bekommen. Und dass natürlich auch das Baurecht geändert wird.
Und was ist mit Enteignungen, wie sie Ihre alte Partei, die Linke, fordert?
Ich finde nicht, dass man irgendjemanden enteignen darf. Aber: Wenn man die Mieten streng reguliert und größere Teile des Wohnungsmarktes den Regeln der Gemeinnützigkeit unterwirft, dann könnten Wohnungsbaukonzerne wie Vonovia, denen es nur um Rendite geht, kein Interesse mehr haben, diese Wohnungen weiterzubetreiben. Dann sollten wir sie tatsächlich zurückkaufen in die öffentliche Hand.
Sie setzen für die deutsche Wirtschaft wieder auf billiges Russen-Gas. Trauen Sie Kreml-Führer Putin?
Wir können eine moderne Volkswirtschaft in unseren klimatischen Breiten nicht alleine mit Sonne und Wind betreiben. Egal, wie viele Windräder man in die schönen Wälder stellt, wenn der Wind nicht weht und wenn die Sonne nicht scheint, brauchen wir was anderes.
Noch mal: Sollen wir bei Wladimir Putin Gas kaufen?
Ich finde diese moralisierende Debatte schwer. Und Putin kann das ganz egal sein. Gazprom hat auch schon wieder dicke Gewinne gemacht.
Sorry, aber Gazprom hat gerade 10.000 Leute rausgeworfen! Noch mal: Trauen Sie Putin?
Ich möchte, dass wir so einkaufen, dass wir hier unsere Wirtschaft stärken und nicht schwächen. Wenn wir unsere Energiepreise nicht senken, dann werden wir bald keinen industriellen Mittelstand mehr haben. (…) Extrem gestiegene Preise bedeuten für Russland, dass die Einnahmen gestiegen sind. Die verkaufen weniger Gas, aber sie verkaufen es so viel teurer, dass es sich für sie lohnt.
Das stimmt nicht. Der russische Staatsfonds ist dramatisch geschrumpft. Aber, nächstes Thema: AfD-Chefin Alice Weidel ist deutlich unbeliebter als Sie, die AfD kommt in den Umfragen aber klar besser weg …
Die AfD ist schon lange am Platz. Es ist wirklich sehr, sehr schwer, in Deutschland eine neue Partei aufzubauen. Wenn nicht Frau Merkel damals die Grenzen geöffnet hätte, wenn Frau Merkel nicht damals das erste Mal diesen Kontrollverlust zugelassen hätte, wäre die AfD wahrscheinlich in der Bedeutungslosigkeit versunken. Sie stand damals bei 3 Prozent.
Sie haben am vergangenen Freitag mit der AfD zusammen für das Asylgesetz von Friedrich Merz gestimmt. Würden Sie auch weiterhin mit der AfD zusammenstimmen und zusammenarbeiten?
Zusammenarbeiten ist etwas anderes als Zusammenstimmen. Ich finde diese Debatte über alle Maßen heuchlerisch und verlogen. Die AfD ist doch nicht deshalb stark, weil hier im Bundestag mit ihr gemeinsam abgestimmt wurde, sondern weil die Ampel jetzt drei Jahre miserable Politik gemacht hat, weil die Probleme im Land nicht gelöst wurden. Dass sich jetzt Grüne und SPD, die hauptverantwortlich dafür sind, als große Antifaschisten inszenieren – diese Debatte geht wirklich am Problem vorbei.
Sie haben Ihre politische Karriere vom Einzug Ihres BSW in den Bundestag abhängig gemacht. Was, wenn es nicht klappt?
Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen. Meine politische Zukunft hängt daran, dass wir im Bundestag sind. Ich sage nicht, dass das BSW irgendwie ganz verschwindet, wenn wir es nicht schaffen. Aber für mich persönlich ist klar: Wenn ich nicht im Bundestag bin, werde ich auch nicht mehr gehört.