Los ging es mit heißen Getränken, Mütze und Schal. Jetzt stehen etliche Wahlkämpfer mit Polizeischutz an den Infoständen.
Immer häufiger werden Wahlplakate gestohlen oder zerstört – allein in Niedersachsen verzeichnete das LKA seit Jahresanfang 533 Fälle. Auch die Bedrohungen gegen Kandidaten und Mandatsträger nehmen zu.
BILD-Reporter reisten quer durch Deutschland und besuchten Männer und Frauen, die auch im Nebel oder Nieselregen dafür kämpfen, dass sie selbst oder Parteifreunde bei der Bundestagswahl am 23. Februar viele Kreuze bekommen. Klar ist: Die Stimmung hat sich gedreht.
Polizeischutz für die CDU, weil die Antifa drohte
▶︎ Erste Station: Frankfurt (Hessen). Wahlkreis 183 im Stadtteil Sachsenhausen ist eine Hochburg der Grünen. Prominentester Direktkandidat: deren Ex-Parteichef Omid Nouripour (49). Leopold Born (32), Chef der Jungen Union in Hessen, und seine Mitstreiter kämpfen ausgerechnet hier für die CDU.
Als die Asyl-Abstimmung im Bundestag noch bevorstand, berichtete Born gegenüber BILD von positiven Eindrücken: „Das, was Merz gesagt hat, hilft uns auf der Straße.“ Nach der Abstimmung im Bundestag hat sich die Situation auf der Straße aber verändert. „Am Samstag stand der Wahlstand unter massivem Polizeischutz, weil die Antifa angekündigt hatte, dagegen vorzugehen. Vier Streifenwagen waren da.“
Die Situation, mit der Wahlkämpfer teils am Wahlstand konfrontiert sind, ist angespannt. Linksradikale Übergriffe häufen sich. Born: „Die politische Atmosphäre wurde in den vergangenen Tagen vergiftet. Das haben SPD und Grüne bewusst provoziert. So gehen Demokraten nicht miteinander um!“
Apolline Reimers (25) sagte noch vor der Asyl-Abstimmung zu BILD, dass ihr die Wahlkämpfer der Ampel-Parteien leidtun. „Die kriegen verbal ganz schön was ab.“ Doch das wirkt jetzt völlig harmlos gegen das, was die CDU jetzt an den Wahlständen abbekommt.
Vierter Wahlkampf innerhalb eines Jahres
▶︎ Zweite Station: Erfurt (Thüringen). Vor dem Hauptbahnhof haben die Grünen ihren Infostand aufgebaut. Ihre Direktkandidatin Katrin Göring-Eckardt (58) hat im Wahlkreis 192 prominente Mitbewerber: Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (68, Linke), 27-Tage-MP Thomas Kemmerich (59, FDP) und Carsten Schneider (49, SPD), Ost-Beauftragter der Bundesregierung.
„Die Wahrscheinlichkeit, im Wahlkampf krank zu werden, ist im Winter viel höher“, erzählt Vincent Kolipost (21, Student). Für ihn ist das der vierte Wahlkampf innerhalb eines Jahres, nach Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen.
„Viele Wahlkämpfer sind kaputt“, sagt er. Dass die Menschen unzufrieden mit den Grünen und der Politik der Ampel sind, merken er und seine Mitstreiter nicht. „Viele sind überrascht, dass wir bei der Kälte draußen stehen.“
Thomas Schaefer (24, Student) erzählt: „Vor Weihnachten hatten wir Schnee, deshalb sind wir vom Lastenrad auf einen Truck mit heißem Tee umgestiegen.“
Vor 50 Jahren holte die SPD hier 45 Prozent
Dritte Station: Hamburg. U-Bahnstation Hallerstraße in den feinen Stadtteilen Harvestehude und Rotherbaum. Im Wahlkreis 20 wird vor allem Schwarz oder Grün gewählt. „Deshalb kommen wir her“, erklärt Alica Huntemann (31).
Die Bezirksabgeordnete der SPD organisiert über eine WhatsApp-Gruppe mit 40 Mitgliedern den Wahlkampf rund um Wolfgang Schmidt (54). Der Kanzleramtsminister und engste Vertraute von Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) kandidiert zum ersten Mal für den Bundestag.
„Dieser Wahlkampf ist besonders: kalt, kurz – und doppelt“, sagt Huntemann. Denn in Hamburg wird eine Woche nach dem Bundestag die Bürgerschaft gewählt.
Viktor Rengsdorf (75) hat schon viele Wahlkämpfe bestritten. Er erzählt vom Wahlkampf 1972: Rainer Barzel (CDU-Chef) gegen Willy Brandt (SPD-Kanzler). „Da ging es hoch her. Und wir standen mit Flugblättern vor den Fabriken.“
Die Sozialdemokraten holten damals mit 45,8 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte. In Hamburg liegt die Partei derzeit stabil immerhin bei mehr als 30 Prozent. Davon kann die Bundespartei nur träumen.
„Seit den Corona-Maßnahmen will ich mit keinem Politiker mehr zu tun haben“, sagt ein älterer Herr zu Wolfgang Schmidt. Der fragt, ob der Senior gut durch die Zeit gekommen ist. „Nee, man hat mir meine Freiheit genommen“, ruft der empört. Schmidt bittet den Senior trotzdem um seine Stimme.
„Die stehen bleiben, sind erstaunlich freundlich“
▶︎ Vierte Station: Dresden (Sachsen). „Kaufland“ an der Kesselsdorfer Straße. Benita Horst (45) tritt im Wahlkreis 159 für die FDP als Direktkandidatin an. Die Partei holte 2021 in der Landeshauptstadt 12,2 Prozent. Bei der Landtagswahl im Herbst kamen die Liberalen nur noch auf 0,9 Prozent.
„Es wird eng“, gibt Torsten Herbst (51) zu. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion steht bei der Sachsen-FDP auf Listenplatz 1.
Der Straßenwahlkampf läuft für die Liberalen eher zäh. Viele hasten vorbei, wenn Horst und Herbst ihre Flyer hinhalten. „Die stehen bleiben und sich mit uns unterhalten, sind dann aber erstaunlich freundlich“, freut sich Herbst.
Damit Herbst es wieder in den Bundestag schafft, muss die FDP in Sachsen auf mindestens drei Prozent kommen und es bundesweit über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Damit das klappt, haben Herbst und Horst insgesamt 25 Stand-Termine getaktet.
„Die Menschen wollen einen Wechsel“
▶︎ Fünfte Station: München (Bayern). Die CSU ist in Siegesstimmung beim Haustürwahlkampf im Stadtteil Feldmoching. „Das ist mein dritter Bundestagswahlkampf“, sagt Tina Pickert (40), Vorsitzende des Ortsverbandes Olympiadorf. „Wir spüren deutlich: Die Menschen wollen einen Wechsel.“
Von der Bundestagsdebatte über das Asylgesetz fühlt sich die CSU mehr bestärkt als entmutigt. Hans Theiss (47), der CSU-Direktkandidat im Wahlkreis 216: „Dass Friedrich Merz mit dem Asylgesetz in den Bundestag gegangen ist, erhöht unsere Motivation.“
Demonstrationen gegen Rechts gibt es auch in München. Nach Krawallen in anderen Städten hält die Münchner Polizei Kontakt zu den Wahlkämpfern in der Stadt. „Angriffe gab es aber keine“, sagt Theiss. „Wir mussten sie nie rufen.“
Sorgen macht dagegen das neue Wahlgesetz. „Nach den neuen Regeln wären bei der Wahl 2021 alle Münchner Mandate gestrichen worden“, sagt Tina Pickert. Die CSU bräuchte jetzt ein deutlich besseres Ergebnis. „Im Moment haben wir 10 Prozent mehr“, sagt sie vorsichtig optimistisch.
Security-Mitarbeiter sorgt für Sicherheit
▶︎ Sechste Station: Dresden (Sachsen). Dieses Mal der Wochenmarkt an der Lingner-Allee. Thomas Ladzinski (35) will im Wahlkreis 158 für die AfD das Direktmandat holen. Seine Helfer werden bereits beim Aufbau dicht umlagert.
Vor allem Ältere fragen nach Kugelschreibern, Bierdeckeln und Schlüsselanhängern. „Ich habe immer CDU gewählt, aber denen traue ich nicht mehr“, schimpft ein 73-Jähriger. Ein Ehepaar um die 60 diskutiert mit Ladzinski über Flüchtlingspolitik. „Wir brauchen auch Zuwanderung“, beharrt die Frau.
Ein Auto fährt vorbei. Hupt. Die drei Insassen zeigen den Stinkefinger. Ein stämmiger Mann im Hintergrund beobachtet das Ganze aufmerksam. Der erste Security-Mitarbeiter, dem die Reporter auf ihrer Reise begegnen. „Ohne geht nicht“, sagt Ladzinski. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bauen die „Omas gegen Rechts“ auf. Am AfD-Stand bitten Passanten den AfD-Kandidaten derweil immer wieder um ein Selfie.
„Die Menschen sind freundlicher als im Internet“
▶︎ Siebte Station: Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen): Auf dem Marktplatz der Kreisstadt herrscht dichter Nebel. Nur wenige bleiben stehen. Die Grünen bauen ihren Stand bereits wieder ab, aber die Anhänger des BSW halten durch.
„Ich hatte mich auf einen Sommer-Wahlkampf gefreut. An Wochenenden auf Schützenfesten“, sagt Maik Smidt (46), Platz 5 auf der BSW-Landesliste. Stattdessen verteilt der IT-Projektleiter bei zwei Grad minus Kugelschreiber, Armbänder und Taschenwärmer in Herzform.
„Viele sind noch unentschlossen“, bemerkt auch Smidt. „Und überraschend freundlich. Ganz anders als im Internet.“ Die Gesprächsthemen wechseln zwischen Steuergerechtigkeit, Frieden und Migration. „Der Raum ist wieder offen, darüber zu sprechen. Auch über das, was da versäumt wurde.“
Ein Mann steuert zielgerichtet auf den Stand zu. „Die einzige Partei, die man wählen kann“, ruft er und fragt Smidt: „Warum hat sich das BSW nach den Landtagswahlen im Osten nicht anders verhalten?“ Smidt zuckt mit den Schultern, sagt: „Entscheidungen der Landesverbände.“
„Brauchen keinen Polizeischutz“
▶︎ Achte und letzte Station: Halle (Sachsen-Anhalt). Noch einmal CDU. Vor dem seit mehr als zwei Jahre leer stehenden Kaufhof auf dem Marktplatz baut die CDU ihren Wahlkampfstand auf.
Von den zehn Direkt-Kandidaten ist niemand bundesweit bekannt. 2021 holte Karamba Diaby (63, SPD) mit 28,8 Prozent das Direktmandat, tritt aber nicht wieder an. Christoph Bernstiel (40, CDU) folgte damals mit 20,7 Prozent. Dieses Mal kämpft er gegen Alexander Raue (51, AfD) um den Sieg im Wahlkreis.
„Auf die Debatte im Bundestag bekommen wir viel Zuspruch. 80 Prozent finden absolut richtig, wie Friedrich Merz es gemacht hat. Die anderen warnen, wir sollen aber nicht zu nah an die AfD rücken“, erzählt Bernstiel.
Claudia Schmidt (44), die den Stand koordiniert, wundert sich, dass niemand außer der CDU auf dem Markt steht. „Das war sonst anders“. Schmidt sagt auch: „Natürlich passiert viel über Social Media, aber da bleibt man in seiner Blase. Am Stand kommen wir mit allen ins Gespräch.“
Auch nach der Debatte im Bundestag, Demos gegen Rechts und Angriffen auf CDU-Büros machen Schmidt und ihre Mitstreiter weiter. Ohne Polizeischutz. „Das Angebot gibt es, aber bisher brauchen wir keinen“, so Bernstiel.