„Eine KI hätte diese Serie noch nicht schreiben können“

ZEIT ONLINE: Benjamin Gutsche, ingeht es um eine
Familie, die in ein altes Smarthome aus den Siebzigerjahren zieht. Mehr
durch Zufall aktivieren sie auch Cassandra – den dort lebenden
Haushaltsroboter, der sich als gute Fee des Hauses versteht. Nach und nach
übernimmt Cassandra die Kontrolle über das Haus und die Familie.
Soll das eine Warnung sein vor Technologiegläubigkeit?

Gutsche: Für mich liegt der Fokus zunächst einmal auf den Familiendynamiken und auf
den Frauenfiguren. Die Serie hat zwei Handlungsstränge – einer spielt in der
Gegenwart und einer in den Siebzigerjahren. In beiden Handlungen haben wir
diese ambivalenten und starken Frauen, zwei Mütter, die ihre Familie und
ihre Kinder um jeden Preis beschützen möchten. Und es stellt sich die Frage:
Sind wir heute tatsächlich so viel weiter als in den Siebzigern, was das
gesellschaftliche Frauenbild angeht? Oder findet es einfach in anderen Nuancen,
aber immer noch auf ähnliche Weise statt? Ich habe das Gefühl, dass die Geschichte noch einen anderen Kern hat. Aber natürlich geht
es auch um ein Smarthome und natürlich spielt auch der Terror durch die KI
eine Rolle.

ZEIT ONLINE: In geht es auch um den Traum vom Leben nach dem Tod. In den Siebzigerjahren träumt der Vater der Familie davon, Menschen vor dem Tod zu bewahren, indem er deren Bewusstsein auf eine Festplatte lädt. Der Gedanke vom ist heute natürlich nicht mehr neu …

Gutsche: Das stimmt, dafür gibt es ja schon Angebote: Man kann zum Beispiel die Stimme
eines geliebten Menschen aufnehmen lassen und ihn nach dem Tod anrufen –
einfach um diese Person ab und zu noch einmal zu hören. Oder man lässt sich
einen Avatar der Person erstellen. Ich frage mich immer: Hilft das wirklich dabei, die Trauerphase
abzuschließen, oder hängt man dann nicht irgendwie fest? Ich verstehe den Wunsch
total, mit einem geliebten Menschen selbst nach dessen Tod noch zu reden. Aber
gleichzeitig muss man sich klarmachen, dass das eben nicht wirklich dieser
Mensch ist, sondern nur ein sehr gutes Programm, das mit Nullen und Einsen
gefüttert wurde. Deswegen stehe ich dem Ganzen eher skeptisch gegenüber.

ZEIT ONLINE: Würden Sie Ihr Bewusstsein nach Ihrem Tod auf
eine Festplatte laden lassen?

Gutsche Auf keinen Fall. Im Gegenteil, ich überlege mir manchmal, was zum Beispiel
mit meinen Social-Media-Profilen passiert, wenn ich sterbe. Weil ich den Gedanken ganz schlimm finde, dass man diese
Seiten auch nach meinem Tod noch aufrufen kann. Klar, irgendwie hat es was von
einem digitalen Grabstein. Menschen gehen auch auf einen Friedhof und haben die
Möglichkeit, etwas in einem Kondolenzbuch zu hinterlassen. Bei
Social-Media-Profilen kann man stattdessen einen Kommentar schreiben. Aber
irgendwie habe ich das Gefühl, dass man dem so ausgesetzt ist und trotz des
eigenen Todes im Internet festhängt. Und diesen Kontrollverlust, den will ich
nicht.

ZEIT ONLINE: In den USA haben 2023 zahlreiche Drehbuchautorinnen
und Schauspieler gegen den Einsatz von künstlicher Intelligenz in ihrer Branche
protestiert
. Sie
fürchteten, dass KI-Programme in Zukunft Drehbücher schreiben oder künstlich
generierte Avatare die Schauspieler ersetzen könnten. Wie sehen Sie das?

Gutsche: Natürlich macht man sich Sorgen, was die Zukunft angeht. Ob man in zehn
oder 15 Jahren noch als Drehbuchautor engagiert wird oder ob das dann eine KI
übernimmt. Andererseits ist das nicht die erste Neuheit, die die Film- und
Serienbranche erlebt. Es gab auch diesen ganzen
Hype um 3D oder die CGI-Technologie, da hatten wir im Kino gefühlt immer Videospiele auf der
großen Leinwand, weil im Hintergrund nur noch Computeranimationen zu sehen waren.
Für fünf bis zehn Jahre war das total angesagt und dann ist es plötzlich wieder
abgeflacht. Wahrscheinlich werden wir tatsächlich sehr unter Druck
gesetzt durch die Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz mit sich bringt.
Aber letztendlich glaube ich, dass das Publikum etwas sehen möchte, was von Menschen
gemacht ist. 

ZEIT ONLINE: Künstliche Intelligenz basiert ja auf
menschlichen Erfahrungen und Berichten.

Gutsche: Aber letztlich geht es bei Filmen und Serien ja immer noch um Kunst.
Und ist etwas, das auf Algorithmen und Erfahrungen basiert, wirklich Kunst? Ich
habe probiert, ChatGPT einen Pitch zu schreiben zu lassen. Und
das hat witzigerweise gar nicht funktioniert. Ich habe ein paar Stichworte
geliefert, habe gesagt, es geht um ein altes Smarthome, das in den
Siebzigerjahren gebaut wurde und eine Familie, die in das Haus einzieht. Und
dass ich gerne märchenhafte Elemente integrieren würde. Die Version, die
ChatGPT mir geliefert hat, war total generisch. Die Dreidimensionalität und die
Ambivalenz der Charaktere hat gefehlt. Außerdem sind plötzlich Hänsel und
Gretel in dem Haus gewesen und ein Jäger ist aus dem Nichts vor der Tür
aufgetaucht. Ich habe mir gedacht, Gott sei Dank, eine KI hätte diese Serie
noch nicht schreiben können. Ich sehe die ganze Thematik also eher als Ansporn,
eine Geschichte zu erzählen, die von einer künstlichen Intelligenz nicht so
easy hergestellt werden könnte.

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