Nicht aufs Aufhören hören

Weil es noch
nie Konsens darüber gab, was Feminismus ist (oder was Frauen sind), und es
trotzdem – oder gerade deshalb – wichtig ist, über Geschlechterverhältnisse
kritisch und öffentlich zu diskutieren. Auch wo es unbequem ist, auch wo es
einige schon viel zu oft gehört und gelesen haben. Denn jederzeit gibt es auch
diejenigen, für die es augenöffnend ist, die sich zum ersten Mal gesehen oder
verstanden fühlen, die lernen, neu und anders über die Welt nachzudenken.

Weil es
immer noch heißt, dies oder jenes sei ein Frauenthema. Also ein Thema, das nur
für Frauen relevant ist. Ein Thema, das nicht für alle interessant, das auch
ein bisschen peinlich ist. Wie etwa Menstruation, Mental Load, Mutterschaft,
Schönheitswahn, Menopause, Gleichberechtigung, sexualisierte Gewalt im Alltag,
Kinderlosigkeit, Verhütung, Fehlgeburten, Abtreibung, häusliche Gewalt,
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Femizide oder Body Positivity. Das sind
die Themen von . Und bei sind Frauenthemen keine Frauenthemen.

Weil ich
mich von jeher ebenso wenig zum Feminismus bekennen wollte wie zu seinem
Gegenteil, falls es das gibt, schien es mir zunächst seltsam, Co-Redakteurin
einer feministischen Kolumne zu sein. Unsere Kolumne hat funktioniert, weil und
obschon es uns nie ums Funktionieren ging, sondern immer um den nächsten Text
und die Freiräume, die er erhalten und eröffnen kann. Von Frauen für Frauen –
zwei Zutaten, mehr brauchte unsere Freiheit nicht. Diese Kolumne wird beendet
und damit die Freiheit, die wir meinen. Sie zu verlieren, macht deutlich,
welchen Wert es hat, wenn Frauen für Frauen einstehen. Und ja, es gibt ein
Gegenteil von Feminismus. Es ist das Verstummen.

Weil viele
unserer 600 Gastautorinnen erstmalig bei an die Öffentlichkeit treten
und wir ihnen die Zeit einräumen, ihre Stimmen zu entfalten. Um solche
Autorinnen redaktionell begleiten zu können, braucht es Offenheit für ein
Schreiben, das nicht von vornherein reinpasst, sondern das Spektrum des
Lesbaren erweitert.

Weil wir es
wichtig finden, dass Exil-Autorinnen und Autorinnen in Kriegs- und
Krisengebieten gehört werden. In unserer afghanischen Reihe haben Autorinnen
nach dem Fall Kabuls weiter von dort berichtet. Zu all diesen Autorinnen in
Extremsituationen haben wir Vertrauen aufgebaut und die Verbindung gehalten. Diese
Kolumne war für sie ein geschützter Ort, an dem ihre Geschichten erscheinen konnten
– Geschichten, die in der gegenwärtigen politischen Situation unverzichtbar
sind.

Weil bei
nicht über Wissenschaftlerinnen, Sozialarbeiterinnen, Studentinnen
geschrieben wird, sondern von ihnen – und diese Texte entstehen nicht „einfach
so“. Manchmal braucht es nur vorbehaltlose Neugier, manchmal braucht es einen
langen Atem und manchmal eine Texthebamme. Etliche von denen, die bei uns zum ersten Mal publiziert
haben, schreiben seither regelmäßig, bei uns und anderswo.

Weil die
Frage, wer spricht, wer schreibt, wer gehört wird, eine Frage von Macht ist. Unsere
Kolumne hat in den letzten zehn Jahren unzähligen Stimmen Raum gegeben, die in
unserer schnelllebigen Medienwelt ansonsten kein oder kaum Gehör gefunden
hätten. Jetzt verschieben sich Machtpositionen mit schwindelerregender
Geschwindigkeit, so schnell, dass man kaum weiß, wo man ansetzen soll. Setzen
wir doch hier an: bei den Fragen, die wir in den letzten Jahren nicht gestellt
haben, den Diskussionen, den Kämpfen, die wir nicht geführt haben, weil wir das
beschützen wollten, was wir erreicht hatten. Welche Form, welche Inhalte
braucht ein feministisches Medium heutzutage? Wer bestimmt darüber? Welche
Macht haben wir und wie teilen wir sie? Nichts mehr beschützen zu müssen, ist
eine Form von Freiheit. Feminismus lebt von Erneuerung. Setzen wir da an. 

Weil wir
Themen, die noch vor zehn Jahren als abseitig galten, in den Mainstream geholt
haben. Bei Pierre Bourdieu kann man nachlesen, wie der Zyklus von Avantgarde zu
Mainstream abläuft. Ein Medienexperiment muss immer eine Gratwanderung gehen:
Verhält es sich zu unbequem und verletzt es zu sehr die Sagbarkeitsregeln, wird
es gekillt; gehorcht es den Sagbarkeitsregeln zu willig, dann macht es sich
überflüssig. 

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